EuGH-Urteil zum Einsatz von Samples: HipHop siegt auch in Luxemburg
Kraftwerk versus Moses Pelham: Der Europäische Gerichtshof erlaubt das Sampling von Tonfetzen aus fremden Musikstücken.
HipHop-Künstler dürfen „Audiofragmente“, also kurze Tonschnipsel, aus anderen Musikstücken verwenden, ohne vorher fragen zu müssen. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) im langen Streit zwischen dem Frankfurter HipHop-Produzenten Moses Pelham und den Düsseldorfer Elektro-Pionieren von Kraftwerk.
Pelham hatte 1997 – ohne um Erlaubnis zu fragen – ein kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ benutzt. Es war dann als durchlaufender Beat auf dem Stück „Nur mir“ der Rapperin Sabrina Setlur zu hören.
Die beiden Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider verklagten Pelham daraufhin – zeitweise mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Jahr 2012, das Leistungsschutzrecht der Musiker und Plattenfirmen gelte auch für „kleinste Tonfetzen“. Diese dürften nur dann frei genutzt werden, wenn sie nicht „in gleichwertiger Weise“ nachgespielt werden können. Bei dem Kraftwerk-Sample wäre das möglich gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch im Jahr 2016, dass das BGH-Urteil die Kunstfreiheit von Moses Pelham verletzte. „Der Einsatz von Samples ist ein stilprägendes Element des HipHop“, stellten die Verfassungsrichter damals fest. Der Zugriff auf das Originaldokument diene der „ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften“.
Andere Songs „zitieren“ ist legal
Das Karlsruher Sampling-Urteil hatte aber nur begrenzte Bedeutung. Denn seit 2001 ist das Urheberrecht EU-weit durch eine Richtlinie harmonisiert. Für die Auslegung des gemeinsamen Urheberrechts in der Zeit ab 2001 ist daher der Europäische Gerichtshof zuständig. Deshalb legte der BGH im Sommer 2017 auch diesen Sampling-Streit dem EuGH vor.
Nun hat allerdings auch der EuGH im Sinne von Moses Pelham entschieden. Der EuGH unterscheidet dabei zwei Sampling-Konstellationen, die aber beide ohne Erlaubnis möglich sein können. In der ersten Konstellation bleibt die Herkunft des gesampelten Tonfetzens aus dem ursprünglichen Musikstück erkennbar. Hier handele es sich um ein „Zitat“, so die EU-Richter. Ein solches Ton-Zitat sei dann zulässig, wenn das neue Stück mit dem ursprünglichen Werk „interagieren“ will, so die EU-Richter.
In der zweiten Konstellation wird das Sample so in das neue Stück eingefügt, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist (wie es auch bei Moses Pelham der Fall war). Dies ist laut EuGH ebenfalls zulässig – wenn der Künstler hier „in Ausübung seiner Kunstfreiheit“ handelt. HipHopper, für die das Nutzen und Zitieren fremder Tonfetzen zur DNA ihrer Kunstform gehört, können sich künftig also auf das EuGH-Urteil berufen. Dagegen sind Schlagerproduzenten, die sich zur Kostenersparnis einen pfiffigen Beat klauen wollen, von dieser Auslegung des EU-Urheberrechts nicht geschützt.
Der Rechtsstreit geht nun wieder zurück an den Bundesgerichtshof, der das EuGH-Urteil auf den konkreten Fall anwendet. In den letzten Jahren hatte sich in der Musikwirtschaft die Praxis durchgesetzt, dass Samples nur mit Genehmigung benutzt werden. „Auch wenn es um Sekundenschnipsel geht, ist der branchenübliche Weg, deren Nutzung bei den Rechteinhabern anzufragen und die nötigen Lizenzen einzuholen“, sagte VUT-Sprecherin Laureen Kornemann. Der VUT ist der Branchenverband der Independent-Plattenfirmen.
Das ist angesichts des sampling-freundlichen Karlsruher Urteils erstaunlich. Vermutlich hatte die Branche aber befürchtet, dass die Sache beim EuGH auch anders ausgehen könnte. Möglicherweise ändern sich künftig die Branchengepflogenheiten.
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