Ethische Standards auf Youtube: Grenzen testen für Klicks
Beim Streben nach Aufmerksamkeit verletzen YoutuberInnen bisweilen ethische Standards oder Gesetze. Aber wer ist dafür zuständig?
Man nehme ein billiges Mikrofon, einen Haufen Jugendlicher und eine Menge Alkohol – fertig ist der neue YouTube-Hit! So muss sich das zumindest der YouTuber urgeOn gedacht haben, als er im vergangenen Sommer auf dem „Schools Out“-Festival in Braunschweig unterwegs war.
In seinem Video schweift er durch die Menge betrunkener Jugendlicher, greift sich immer wieder Einzelne aus der Masse heraus und lässt 14- bis 17-jährige SchülerInnen ihre Fehlstunden und Zeugnisnoten in die Öffentlichkeit posaunen. Als Highlight müssen sie noch mit einem Alkoholtester ihren benebelten Zustand beweisen, die minderjährigen Mädchen dürfen sich dabei noch anzügliche Witze anhören. „Kann sie gut pusten?“, fragt urgeOn die Begleiter eines Mädchens, das mit über zwei Promille schon im Stehen wankt. Über zwei Millionen mal haben Menschen ihr mittlerweile dabei zugeschaut.
YouTuber urgeOn nennt das „Street Comedy“ – die zuständigen Behörden finden die Sache deutlich weniger komisch. Das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz ermittelt nun gegen den YouTuber, der in seinem analogen Leben Gideon Koch heißt. Die Behörde vermutet, dass sich Koch hier eines Ehrverletzungsdelikts schuldig gemacht haben könnte. Dann drohten ihm laut Landesamt bis zu 50.000 Euro Strafe.
Eine angemessene Kontrolle von Medieninhalten auf Plattformen ist schwierig, schließlich kann mittlerweile beinahe jeder Videos und Podcasts im Netz ausstrahlen. Für traditionelle Medien in Deutschland ist die Sache indes deutlich: Sie müssen sich an Presse- und Rundfunkgesetze halten, und verpflichten sich darüber hinaus dem Pressekodex. Das Filmen von betrunkenen Jugendlichen, wie YouTuber Gideon Koch es tut: im klassischen TV fast undenkbar.
Wer kontrolliert?
Doch im Netz sind Grenzüberschreitungen ein Garant für Klicks. Prominentestes Beispiel ist hier wohl der US-amerikanische YouTuber Logan Paul: Vor zwei Jahren stapfte er durch den Aokigahara-Wald in Japan, der für seine auffällig hohe Zahl an Selbstmördern bekannt ist und deshalb auch schon „Suizidwald“ genannt wird. Bei seiner Wanderung entdeckte Paul einen leblosen Körper – und hielt drauf. Das Video erzielte innerhalb eines einzigen Tages über sechs Millionen Klicks, YouTuber Logan Paul wurde massiv kritisiert und löschte schließlich das Video.
Greifen für die neuen MedienmacherInnen dieselben Vorgaben, an die sich Rundfunk und Presse halten müssen? Schließlich sind nicht alle YouTuberInnen so bekannt wie ein Logan Paul, der laut Webanalyse-Unternehmen Social Blade täglich stabil mehrere Millionen Klicks bei seinen Videos verzeichnet.
Die Behörden sehen die Kontrollpflicht eher bei anderen: Auf die Frage, wie man künftig Videos wie das von Gideon Koch verhindern möchte, weist das niedersächsische Verbraucherschutzamt die Verantwortung YouTube zu. „Allenfalls wäre die Plattform angehalten, die Inhalte zu sichten“, so eine Vertreterin des Amtes. YouTube sowie Gideon Koch reagierten nicht auf taz-Anfragen.
Für den Kölner Medienrechtler Karl-Nikolaus Peifer offenbart sich das Problem auch im kommenden Medienstaatsvertrag, wie die neue Fassung des Rundfunkstaatsvertrages heißen wird. In ihm würden YouTuberInnen weiter nicht wirklich erfasst. „Für die gibt es dann überhaupt keine Regelung“, bemängelt Peifer. YouTuberInnen müssten sich dann „nur“ ans Zivil- und Strafrecht halten – also lediglich an dieselben Vorgaben, die schon gelten, „wenn man in der Kneipe vom Leder zieht“.
Zulassungspflicht wird weniger streng
Echtzeitübertragungen wie Livestreams, die täglich Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer auf Plattformen wie Twitch und YouTube erreichen, können schon heute als Rundfunk gesehen werden, wenn sie mindestens 500 ZuschauerInnen gleichzeitig haben. Ein Livestream mit wenigen hundert ZuschauerInnen könnte demnach als Rundfunk gelten, eine YouTuberin mit einem monatlichen Millionenpublikum hingegen nicht, sofern sie ihre Videos nicht live oder nach einem festen Sendeplan ausstrahlt.
Mit dem kommenden Medienstaatsvertrag werden diese Vorgaben sogar noch aufgeweicht. Künftig gelten Streamerinnen und Streamer nämlich erst dann als zulassungspflichtiges Medium, wenn sie innerhalb eines halben Jahres durchschnittlich 20.000 Zuschauer pro Monat haben.
„Das Problem hat sich nicht erledigt, es hat sich verschärft“, urteilt Medienrechtler Peifer. Bereits in der Vergangenheit hätte man zumindest den StreamerInnen auferlegen können, Zulassungen zu beantragen. Doch der Gesetzgeber habe sich dagegen gewehrt – aus Angst vor Shitstorms im Netz.
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