Essay Konservative Grüne: Der rechte Weg zur Macht

Sozialpolitik? Geschenkt. Kriegseinsätze? Immer her damit. Reichensteuer? Beerdigt. Die Grünen umarmen die CDU – doch der Partei droht die Spaltung.

Frische Ideen? Nicht mehr mit den Grünen. Bild: imago/Hubert Jellinek

Es müsse ein „robustes Mandat“ geben, forderte Katrin Göring-Eckardt, als es darum ging, wie die internationale Gemeinschaft den sogenannten Islamischen Staat am besten bekämpfen soll. Deutschland müsse bereit sein, auch die Bundeswehr in Syrien einzusetzen. „Wenn herauskommt, dass am Boden agiert werden muss, würden wir das unterstützen.“

Die Fraktionschefin der Grünen will Bodentruppen nach Syrien schicken. Die Osteuropaexpertin Marieluise Beck kokettiert mit Waffenlieferungen in die Ukraine. Der Parteivorsitzende Cem Özdemir wiederum wirbt für eine EU-Armee.

Entschuldigung, wo bitte geht’s zum Krieg? In der Außenpolitik sind die Grünen für jede Idee zu haben, solange sie zwei Bedingungen erfüllt: Sie muss Schlagzeilen produzieren und die Regierung rechts überholen.

Angesichts so viel bellizistischen Übermuts ist man recht dankbar, dass ein nüchterner Sozialdemokrat im Außenamt sitzt und keine grüne Frohnatur.

Jedes Kind kann es nach oben schaffen. Wenn es sich bildet. Das pflanzte die SPD einst in die Köpfe der Menschen. Heute studieren in Deutschland so viele wie nie zuvor. Doch die Abbrecher-Quote ist hoch. Ob und was da falsch läuft, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. April 2015. Linke Grüne verstehen ihre Partei nicht mehr: Die huscht so beflissen in die Mitte, dass sich selbst gestandene CDU-Profis wundern. Und: Die Pferdestaffel der Münchner Polizei. Eine Einsatzbegleitung. Außerdem: Hymnen auf die Komplizenschaft der Liebe – das neue Album von Tocotronic. Plus: Hausbesuch im Magdeburger Hundertwasserhaus. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Keine Partei für Hartz-IV-Empfänger

Die Außenpolitik ist nur ein Feld von mehreren, auf denen die Partei in die konservative Ecke drängt. In der Sozial-, Steuer- oder Familienpolitik, überall rücken die Grünen so beflissen in die Mitte, dass sich selbst gestandene CDU-Politiker wundern. Die Hartz-IV-Empfängerin mit zwei Kindern sollte sich auf die neuen Grünen besser nicht verlassen, der gut verdienende Rechtsanwalt, der Solarzellen auf dem Dach hat und dessen Gattin ehegattengesplittet die Kinder hütet, umso mehr.

Die Basis klingt ehrlich verzweifelt. Die Grünen würden als „künftige Koalitionäre der CDU im Wartestand“ wahrgenommen, schrieben Parteimitglieder Mitte Februar in einem offenen Brief an ihren Bundesvorstand.

Was der Öffentlichkeit suggeriert werden soll, ist offensichtlich: Wir, die Grünen, sind bereit, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen. Leider bewirken übereifrig vorgetragene Bekenntnisse oft das Gegenteil. In der Außenpolitik wirken sie unhistorisch und naiv, weil sie nicht nur die Parteigeschichte ignorieren, sondern auch die außenpolitische Realität in einer von Krisen geschüttelten Welt.

Ähnlich deprimierend sieht es auf wichtigen Feldern der Innenpolitik aus. Bis zur verlorenen Bundestagswahl dachten die Grünen die Interessen marginalisierter Menschen ausdrücklich mit. Sie warben für die Bekämpfung der Altersarmut, für eine leichte Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, für die Besserstellung von Alleinerziehenden. Sie wollten das Ehegattensplitting abschaffen, eine wenig thematisierte, aber politisch skandalöse Regelung im Steuerrecht, die sehr gut verdienenden Ehepaaren bis zu 16.000 Euro im Jahr schenkt, während unverheiratete Mütter oder Väter leer ausgehen.

Solche Töne sind im öffentlichen Konzert der Grünen verstummt. Das Ehegattensplitting, das antiquierte Staatssponsoring der Ehe, wird natürlich so bleiben, wie es ist, auch wenn Grüne ab 2017 regieren. Eine Abschaffung käme beim ökoaffinen, aber verheirateten Bürgertum schlecht an. Diese Einschätzung teilt Katrin Göring-Eckardt mit Jürgen Trittin, was lustig ist, weil die neue starke Frau und der alte starke Mann der Grünen sonst wenig gemein haben.

Womit wir bei der Steuerpolitik wären, diesem Tabuwort, das im grünen Wortschatz schon lange nicht mehr existiert. Deutschlands Reiche mehr belasten, um bessere Schulen und eine ehrgeizige Energiewende zu finanzieren? Die Grünen tun so, als hätten sie diese Frage nie gestellt. Beim Geld hört bei den Eliten der Spaß auf, das hat die Partei im Wahlkampf 2013 gelernt.

Gute Themen: Zeit, Essen

Die Vermögensabgabe hat Cem Özdemir in Interviews beerdigt. Bei der Erbschaftsteuer eiern die Grünen hilflos herum, weil sie keine Linie haben. Einerseits loben sie Wolfgang Schäuble, weil er Unternehmenserben wenigstens moderat besteuern will. Winfried Kretschmanns Landesregierung dagegen würde die Superreichen gerne schonen. Klingt absurd, ist aber Fakt: Teile einer ehemals linken Partei loben die Reform eines konservativen Finanzministers, während andere Teile versuchen, sie zu torpedieren, weil ihnen die Reform zu links ist.

Die Grünen akzeptieren also, dass sich Vermögen und Macht bei immer weniger Superreichen konzentrieren. Sie verlassen genau den Bereich, in dem Veränderungen wehtun. Die Partei widmet sich stattdessen anderen Aufgaben. Es gibt sie noch, die guten Themen: Essen und Zeit.

Indem sich die Grünen mit dem Umbau der industriellen Landwirtschaft beschäftigen, legen sie sich mit einer mächtigen Industrie an. Gutes Essen, das betrifft den Alltag aller Menschen und schlägt einen eleganten Bogen zum grünen Megathema, dem Klimaschutz. Auch die Zeitpolitik, die die Grünen heute auf ihrem kleinen Parteitag in Berlin diskutieren, trifft einen Nerv in progressiv denkenden Milieus. Viele gestresste Paare zwischen 30 und 50 reiben sich auf bei dem Versuch, die Lasten von Beruf und Familie fair zu teilen.

Beide Themen haben aber etwas gemeinsam. Sie sprechen die Bedürfnisse der Mittel- und Oberschicht an. Derjenigen Menschen also, die interessante Jobs haben, gut verdienen und gerne etwas mehr Geld für ein Biodinkelbrot ausgeben.

Hatten die Grünen bisher die ganze Gesellschaft im Blick, Arme, Abgehängte, Randgruppen inklusive, zoomen sie jetzt heran an die Interessen und Ängste des wohlsituierten Bürgertums.

Nicht für schwule Romajungen

Eine Kulturwissenschaftlerin, die sich von Vertrag zu Vertrag und Richtung Altersarmut hangelt, sollte besser nicht auf diese Grünen bauen. Die alleinerziehende Friseurin, die ihr Gemüse bei der Tafel besorgt, auch nicht. Und der schwule Romajunge, der in seiner Heimat diskriminiert wird, erst recht nicht. Dafür hat Kretschmann gesorgt, als er im Bundesrat dafür gestimmt hat, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer gelten.

Viele der beschriebenen Schwenks sind erst mal nur politische PR. Zwar zeichnen wichtige Grüne in Interviews ein konservatives Bild der Partei, aber offiziell beschlossen ist dieser Kurswechsel nicht. Darunter liegt ein Parteiprogramm, das oft ganz anderes will. Die Grünen geben in der Öffentlichkeit vor, etwas zu sein, was sie nicht sind. Präziser: was sie noch nicht sind.

Diese Umdeutung wird von einer Gruppe innerhalb des Realoflügels vorangetrieben, die vor allem aus den starken Landesverbänden im Südwesten kommt und die von Özdemir im Bund vertreten wird. Ihr Ziel ist klar: Alle sperrigen Inhalte, die eine Koalition mit der Union im Bund verhindern könnten, werden abgeschliffen.

Die interessante Frage ist nun ja nicht mehr, ob Grüne im Jahr 2017 Schwarz-Grün überhaupt wollen dürfen. Natürlich dürfen sie. Ein Bündnis mit Merkel ist kein Pakt mit dem Teufel, sondern nach Lage der Dinge die einzige Machtoption, die die Grünen haben. Spannender wird es, wenn man andere Fragen stellt. In welchem Zustand müssten die Grünen 2017 sein, um sich in ein für sie brandgefährliches Bündnis zu wagen? Und wie ließe sich als kleiner Partner möglichst viel herausholen?

Der vorauseilende Gehorsam gegenüber Merkel, diese Unterwerfungsgesten, die einige Grüne praktizieren, machen Schwarz-Grün jedenfalls nicht zum Selbstläufer. Für Schwarz-Grün bräuchte die Parteispitze echte Erfolge, mit denen sie ihre skeptische Basis überzeugen könnte. Solche Brocken holt eine Partei mit elf, zwölf Prozentpunkten nur, wenn es harte Unterschiede gibt, die sie in Verhandlungen ausspielen kann. Die SPD hat vorgemacht, wie viel sich mit einem linken Programm erreichen lässt.

Viel wichtiger aber ist, dass eine zweifelnde Partei eine Koalition mit der Union nicht beschließen wird. Wohlgemerkt, mit am Tisch säße ja eine CSU, die aus Angst vor der AfD auf eine rechtspopulistische „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“-Rhetorik setzt. Grüne, die das aushalten wollen, brauchen eine klare Agenda, Geschlossenheit und Vertrauen in die Führung. An all dem mangelt es.

Özdemir und seine Kollegen spalten mit ihrer CDU-Umarmungsoffensive die Grünen, statt sie zu einen. Und sie bringen den Großteil der Partei so gegen das Ziel auf, das sie herbeisehnen. Außerdem haben sie keine Antwort auf die böse Frage, die über allem schwebt: Wofür braucht es Schwarz-Grün, wenn es zwischen CDU und Grünen keine Unterschiede mehr gibt?

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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