Eskalation in Nicaragua: Ortega ruft zur letzten Schlacht
In Nicaragua ist der Dialog vorbei. Stattdessen bläst die Regierung zur Offensive gegen die Oppositionellen. Die halten weiterhin Straßen blockiert.
Begleitet nur von seiner Frau, den zahlreichen Kindern und Dutzenden schwer bewaffneten Polizisten, trat Ortega seit vielen Wochen erstmals wieder an die Öffentlichkeit. In einem Rundumschlag gegen seine ehemaligen Bündnispartner in der Kirche und dem Unternehmerverband kündigte er de facto den bereits suspendierten Dialog auf, bei dem es um eine Vorverlegung der Wahlen zur Demokratisierung des Landes und einem unblutigen Regierungswechsel gehen sollte.
In dem Auftritt vor mehreren zehntausend aus allen Landesteilen herbeigekarrten öffentlichen Angestellten und tatsächlichen Parteigängern warf er den Unternehmern vor, „den Terrorismus“ zu finanzieren und wetterte gegen alle, „die uns im Namen religiöser Institutionen verwünschen“. Von einer Vorverlegung der Wahlen, die er Delegierten aus den USA und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bereits zugesagt hat, war keine Rede.
Seit Mitte April tobt in Nicaragua ein großteils unbewaffneter Aufstand, dem Regierungskräfte mit scharfer Munition und dem Einsatz paramilitärischer Kräfte begegnen. Die Bilanz der Todesopfer bewegt sich auf die 300 zu.
„Abgemagert und vorzeitig gealtert“
Silvio Báez, Weihbischof von Managua, reagierte schnell: „Wir haben keine Angst“, ließ er wissen. Der Schriftsteller Sergio Ramírez, während der Sandinistischen Revolution in den 1980er Jahren Vizepräsident an der Seite Ortegas, bescheinigt dem Auftritt seines einstigen Freundes Verzweiflung. „Abgemagert und vorzeitig gealtert“ habe der sich präsentiert. Trotz der Durchhalteparolen habe er in seinem Gesicht eher Niederlage als Siegesgewissheit gesehen.
Der Auftritt hätte eigentlich als Höhepunkt des „taktischen Rückzugs“ in der knapp 30 Kilometer entfernten Stadt Masaya erfolgen sollen. Jedes Jahr wird Ende Juni dieses taktische Ausweichmanöver der sandinistischen Guerillatruppen vor dem finalen Schlag gegen die Somoza-Diktatur 1979 mit einem Marsch nach Masaya begangen. Doch Masaya ist heute in der Hand der Protestbewegung. Der Marsch wurde nicht nur mehr als eine Woche verschoben. Er kam wegen der zahlreichen Straßensperren der Aufständischen gar nicht aus Managua hinaus.
Obwohl eine Abordnung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) im Lande ist und die Greueltaten der vergangenen Monate dokumentiert, werden weiterhin täglich Demonstranten erschossen. Staatsangestellte, die sich der Zwangsmobilisierung verweigern, werden entlassen. Täglich verschwinden weitere Regimegegner in Geheimgefängnissen.
An die sandinistischen Parteigänger ergehen Aufrufe, sich zu bewaffnen und an allen Gegnern Rache zu nehmen. In der Nacht von Montag auf Dienstag soll eine große Offensive beginnen, die mit den Barrikaden und Straßensperren aufräumen soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter