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Eskalation in Nahost„Hamas bleibt Hausherr in Gaza“

Der Politologe Yagil Levy über die Weigerung der Hamas, Spielregeln zu akzeptieren und warum Militärschläge im Gazastreifen nicht viel verändern werden.

„Unter der palästinensischen Bevölkerung wächst die Not und die Frustration.“ – Beerdigung im Gazastreifen. Bild: reuters
Interview von Susanne Knaul

taz: Israel ist mit mehr als 100 Raketen beschossen worden. Welchen Zweck verfolgt die Hamas im Gazastreifen mit den neuen Angriffen?

Yagil Levy: Die Hamas ist zur Zeit sehr geschwächt. Grund dafür ist die politische Isolation und die Blockade von beiden Seiten, Israel und Ägypten. Seit sechs Monaten können die Gehälter für die 40.000 Mitarbeiter der Hamas-Verwaltung nicht mehr gezahlt werden. Unter der palästinensischen Bevölkerung dort wachsen Not und Frustration. Die neue Gewalt könnte ein Versuch sein, den Status quo aufzubrechen.

Israels Regierungschef Netanjahu hat die Luftwaffe anfänglich auf den Beschuss von Waffenlagern und –produktionsstätten beschränkt, jetzt setzt er die Kampfflieger auch gegen Privathäuser von Hamasfunktionären an. Reagiert er damit auf den Druck des Außenministers Avigdor Lieberman?

Das glaube ich nicht. Allerdings ist Netanjahu eher unfreiwillig in den aktuellen Schlagabtausch hineingezogen worden. Der Regierung muss klar sein, dass sie mit neuen Militärschlägen im Gazastreifen letztendlich nicht viel verändern wird. Die Hamas ist Hausherr und wird es auch bleiben. Gleichzeitig konnte Netanjahu die massiven Raketenangriffe der Islamisten nicht unbeantwortet lassen. Die Hamas weigerte sich, die Spielregeln von „Ruhe für Ruhe“ zu akzeptieren.

Rechnen Sie mit einer Ausweitung der Offensive und einer Invasion von Bodentruppen?

Israel wird alles daran setzen, eine Bodenoffensive zu verhindern. Im Moment droht die Armee, indem sie die Truppen im Grenzgebiet zusammenzieht. Dabei geht es aber eher um das Signal: Wir könnten, wenn wir wollten. Wenn der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen andauert und vielleicht noch massiver wird, dann bleibt Israel kaum eine Alternative, und die Truppen werden reingehen. Erfahrungsgemäß wird es dann zu internationaler Empörung kommen, und auch innerhalb Israels ist man äußerst empfindlich, wenn es Tote unter den eigenen Soldaten gibt. Für Netanjahu ist es eine „lose-lose“-Situation. Er kann eigentlich nicht gewinnen.

Wie würde, Ihrer Erfahrung nach, das Ende einer solchen Offensive aussehen?

Jede kriegerische Auseinandersetzung setzt, um beendet zu werden, eine Form von beiderseitigem Übereinkommen voraus. Wir haben das Anfang 2009 erlebt, als im Rahmen der Operation „Gegossenes Blei“ israelische Bodentruppen drei Wochen lang im Gazastreifen kämpften. Auch Israel wird dann Zugeständnisse machen müssen, um der Hamas die Zustimmung zu einem Waffenstillstand zu ermöglichen. In der Vergangenheit ging es um erleichterte Einfuhrbestimmungen und eine Lockerung der Seeblockade, was für die Fischer in Gaza wichtig ist, damit sie mit ihren Booten weiter rausfahren können.

Bild: privat
Im Interview: Yagil Levy

56, ist Professor für Politikwissenschaft an der Open University in Herzlija. Er war früher Oberstleutnant in der israelischen Armee.

Könnte die gemäßigtere Fatah nicht die Führung im Gazastreifen übernehmen?

Ganz sicher nicht. Die Fatah ist im Sommer 2007 brutal aus dem Gazastreifen vertrieben worden und hat es bis heute nicht geschafft, neue Machtstrukturen aufzubauen. Die Hamas ist vorläufig die einzige politische Bewegung, die den Gazastreifen verwalten kann, wobei die noch radikalere Opposition stärker wird. Die Hamas verliert ja gerade an politischer Macht, weil sie die noch radikaleren Extremisten bislang an Angriffen gegen Israel hinderte. Für uns ist ganz wichtig, dass die Hamas eine starke Macht bleibt. Der Aufbau eines Hamas-Staates in Gaza ist für Israel von fundamentalem Interesse.

Wie steht es mit den Palästinensergebieten? Kann es im Westbank ruhig sein, wenn sich Gaza im Krieg befindet, und umgekehrt?

Nein. Hier ist eine Trennung nicht möglich. Die israelische Regierung sollte sich nicht die Illusion machen, sie könne die Hamas im Westjordanland zerschlagen, und die Hamas im Gazastreifen schaut dabei ruhig zu. Hier besteht ein klarer Zusammenhang, und die Hamas wird, sobald es zu Waffenstillstandsverhandlungen kommt, die Entlassung der Hamas-Leute fordern, die während der Suche nach den drei entführten und ermordeten Teenagern verhaftet wurden.

Gibt es überhaut noch einen Weg zur Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen?

Dazu wären klare Angebote nötig. Israel müsste den Siedlungsbau einfrieren und Gefangene aus den Gefängnissen entlassen. Außerdem müsste es Garantien dafür geben, dass die Kernpunkte des Konflikts behandelt werden. Dazu gehört der endgültige Grenzverlauf, der Status von Jerusalem und die Zukunft der Flüchtlinge.

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5 Kommentare

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  • Werte Frau Knaul! Wie wärs zur Abwechslung einmal mit der Forderung nach einer neutralen Untersuchung der durch ISRAEL ermordeten und verletzen Menschen - sowie dem Ruf nach einem ausführlichen neutralen Bericht über die Zerstörungen und Toten im GAZASTREIFEN / WESTJORDANLAND? Oder sind SIE h i e r f ü r vielleicht einfach nicht die adäquate Auslandskorrespondentin?

  • Es scheint so als könnte die israelische Regierung nur verlieren und müsste letztendlich der Hamas Zugeständnisse machen. Warum wird die Hamas nicht abgesetzt und durch eine moderatere Regierung ersetzt. Z.B. unter der Kontrolle der UN könnten Neuwahlen stattfinden.

    Ansonsten wäre ja auch Interessant welche Zugeständnisse im Gegenzug die Hamas machen muss. Aufklärung der Morde an den jüdischen Jungen, Bestrafung der Täter und ein Konzept zu Verhinderung des Beschusses von israelischen Zivilisten - das wären doch mal interessante und legitime Forderungen.

  • D
    D.J.

    "Jede kriegerische Auseinandersetzung setzt, um beendet zu werden, eine Form von beiderseitigem Übereinkommen voraus."

     

    Aber gewiss doch. Aber was, wenn die Spielregel der einen Seite schariatisches Kriegsrecht heißt? Und das bedeutet, dass die Hamas mit der dar al-harb (Haus des Krieges), wozu nun Israel zweifellos nach deren Ideologie gehört, keinen Frieden schließen d a r f, sondern höchstens zeitlich begrenzte Waffenstillstände (nach schariatischem Kriegsrecht höchstens 10 Jahre).

    Hat uns die Geschichte des 20. Jh. nicht gelehrt, dass Vernichtungsankündigungen fast immer wahrgemacht werden, wenn die Gelegenheit besteht?

    Wenn die Hamas sagt, sie will Israel von der Landkarte radieren, meint sie es so. Wenn ein Radikaler in Brüssel Juden ermordet, weil sie Juden sind, meint er damit alle Juden. Als mir vor einigen Jahren im libanesischen Tripolis jemand sagte, er liebe Hitler für das, was er tat, meinte er das so. Was ist daran eigentlich so schwer zu verstehen? Dass es immer noch radikalere gibt, die sogar Waffenstillstände ablehnen, ändert daran nichts.

    Meine Lösungsvorstellungen? Bitter, ich weiß es nicht.

    • @D.J.:

      Die Hamas sagt.....

      Israel dagegen macht..... !

      redet Tacheles - d.h. mordet seit Tagen Hamas, Männer, Frauen und Kinder,

      Israel hingegen weiß sich ob seiner gewaltigen modernen Rüstungs-Übermacht in Sicherheit - es wird nach Strich und Faden gelogen (alles wird mit "Hamas") gerechtfertigt, Palästinenser werden verhöhnt und verlacht (selber schuld, was schützen die noch nicht mal ihre Kinder?),

      und die Wahrheit wird verdreht, (daß dieses grausame Morden völlig ok sei -

      wir ahnen es schon - wegen der Hamas...)

      Israel verursacht Magenkrämpfe und Brechreiz.

       

      ein Ende des Schreckens

      für die Menschen in Gaza ist nicht in Sicht.

    • @D.J.:

      Was soll denn das heißen Ende kriegerischer Auseinandersetzungen in "beiderseitigem Übereinkommen",

      wenn eine der Parteien f a l s c h spielt und offensichtlich gar kein Interesse an "Frieden" hat /niemals haben wird.

      Israel wird deshalb immer mehr gehaßt, was nachvollziehbar ist,

      und weil es statt auf Mitmenschlichkeit/

      Brüderlichkeit auf seine WAFFEN baut.

      Seitens Israel: "Frieden"? alles nur Bluff, leere Worte und viel viel viel verlorene Zeit.