Eskalation in Hongkong: Verheerende Radikalisierung
Auf die Forderung nach Unabhängigkeit Hongkongs wird sich Peking nie einlassen. Die autoritäre Führung würde die Proteste eher blutig niederschlagen.
E s wird immer hässlicher in Hongkong. Jetzt hat ein mit Metallstangen und Schlagstöcken bewaffneter Mob friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten bei ihrer Rückkehr von einer Demokratie-Kundgebung in einem Bahnhof brutal attackiert und sie krankenhausreif geschlagen. Einer von ihnen schwebt in Lebensgefahr.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Schlägern um Angehörige der Hongkonger Mafia handelt, von denen bekannt ist, dass sie enge Beziehungen zum chinesischen Festland pflegen, ist groß. Und dass diese Triaden womöglich gar im Auftrag Pekings gehandelt haben, ist ebenfalls nicht ganz abwegig.
Zuzutrauen ist ein solches Vorgehen der kommunistischen Führung jedenfalls. Vor drei Jahren hat sie bereits Buchhändler von Hongkonger Boden aus in die Volksrepublik verschleppen lassen, weil sie ihr zu Peking-kritisch waren. Sie tauchten Wochen später im chinesischen Staatsfernsehen mit erzwungenen Geständnissen auf. Rechtsstaatlich geht es in der Volksrepublik auch weiterhin nicht zu. Und immer weniger auch in ihrer Sonderverwaltungszone Hongkong.
Doch auch der Protest der Hongkonger Bürger scheint sich auf tragische Weise zu radikalisieren. Schon mit der Erstürmung des Parlaments Anfang des Monats, als eine Gruppe von Demonstranten mit Eisenstangen und Rohrzangen das Innere des Gebäudes verwüstete, wurden die Grenzen des zivilen Ungehorsams überschritten, der Hongkongs Demokratie-Protest bis dahin geprägt hatte.
So nachvollziehbar die Ungeduld der zumeist jungen Aktivistinnen und Aktivisten ist, die anders als ihre Elterngeneration nicht von Chinas Aufstieg profitieren, sondern unter dem Ansturm reicher Festlandchinesen in ihrer Stadt und dem daraus resultierenden Kostendruck leiden – diese Radikalisierung ist tragisch.
Jeder weiß: Auf die Forderung einer Unabhängigkeit Hongkongs wird sich Peking nie einlassen. Die autoritäre Führung würde sich auch nicht davor scheuen, die Proteste blutig niederzuschlagen. Dazu will es Peking sicherlich nicht kommen lassen, aber auszuschließen ist das nicht.
Aussichtslos ist der Protest trotzdem nicht. Zwar soll in 28 Jahren Hongkongs Teilautonomiestatus gänzlich fallen. Dann soll die 7-Millionen-Einwohner-Metropole eine von Dutzenden chinesischen Großstädten sein. Bis dahin aber für die Rechte zu kämpfen, die den Hongkongern nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ verfassungsgemäß zustehen, ist strategisch richtig. Denn bis dahin kann sich noch sehr viel ändern. Nicht zuletzt auch in Peking.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!