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„Es ist echt. Es ist falsch. Es ist echt falsch“

■ „German Trash Prosa“ gibt dem literarischen Untergrund eine weitere Chance. Ein bißchen Punk liegt in der Luft – doch das meiste bleibt Authentizitätsgeschwalle

Nun geht es doch weiter bei Galrev – zur Leipziger Buchmesse hatte es Gerüchte vom Ende des Ostberliner Druckhauses gegeben, das immer noch viel im kulturellen „Untergrund“ Programm macht, ungeliebte Genres (Lyrik) und widerspenstige Äußerungsformen verlegt. 1993 zum Beispiel kam dort „Slam! Poetry“ heraus, ein Buch, das die neuen Impulse der US-amerikanische Spoken-Word- Szene sichtbar machte. Rowohlt gibt sich immerhin 1996 mit der Textsammlung „Poetry! Slam! Texte der Pop-Fraktion“ (rororo) die Ehre, diese musikinspirierte Livekunst mit Tagebucheintragungen junger deutscher Kulturschaffender zu verwechseln (aber immerhin war das Lektorat ja bei der Titelfindung recht aufgeweckt!).

Mehr im stillen ist in diesem Jahr auch bei Galrev eine Anthologie mit Texten junger AutorInnen erschienen, sie trägt den Titel „German Trash Prosa“. Während das große Verlagshaus also die (Neben-)Produkte von SchriftstellerInnen, MusikerInnen und JournalistInnen in der hippen Verpackung „Performance-Poetry“ beziehungsweise „Popdiskurs“ zu lancieren versucht, gibt sich das kleine Verlagshaus den rebellischen Touch. Unter dem ebenfalls anglo-amerikanisierten Label „German Trash“ soll der Beweis angetreten werden, „daß abseits der kalkulierten & staubtrockenen Archive recherchierter Lit. literarische Wirklichkeit existiert...“

Gute Idee, mag man zunächst denken, einmal unter einen Buchdeckel zu bringen, was so geschrieben wird jenseits etablierterer Szenen. Enno Stahl, der Herausgeber, mutmaßt im Vorwort, was die hier Ausgewählten unter den Gemeinschaftstitel gebracht haben könnte: „Es geht um Geschwindigkeit, ums Ausgehustete, es geht ums Unmittelbare der Existenz“, lautet ein Vorschlag, der am ehesten eine gemeinsame Tendenz dieser Texte zu treffen vermag.

Daß hier noch einmal nicht unbekannte Autoren wie Jörg Fauser und Rolf Dieter Brinkmann vertreten sind, muß wohl auf ein Interesse an Genealogie zurückgehen. Deren Fundstücke enthalten bereits Material und Technik, mit denen auch die jüngeren AutorInnen arbeiten: hier die „Druckkabinen der Gegenwart“ (Brinkmann) und da der eigene Versuch, via „Authentizität“ aus ihnen rauszukommen. Das „Sich-Spüren“ gegen die „blöde Tristesse des Bewußtseins“ (ders.) verläuft dabei meist auf dem schmalen Grad der Selbstdestruktion mittels Droge. Die Texte erheben den Anspruch, nah am eigenen Leben gebaut zu sein, berichtet wird in kurzen Sätzen; Flaneur kann man schon lange nicht mehr sein, nur noch beschreiben, wie die Welt ihre Splitter durch einen hindurchjagt. Neu bei den jüngeren AutorInnen ist das Schreiben über Role Models oder der Umgang mit Verschwörungstheorien; sie verfremden die Ablagerungen, die die moderne Medien- und Informationsgesellschaften in den Gehirnen ihrer Bewohner hinterläßt. Manchmal entstehen dabei interessante Effekte, wie bei Matthias BAADER Holst (dem 1990 tödlich verunglückten Sänger und Dichter), in dessen Verarbeitung von Werbe- und Floskelvokabular die Sprache ihr Gewaltpotential offenlegt.

Viele Texte bleiben aber bei der minuziösen Wiedergabe von Sauf- und Fickszenen stehen, biederes Authentizitätsgeschwalle – zum Teil natürlich ironisch gebrochen wie in Jörn Luthers Trinkertagebuch „Voll das Leben“ – aber wo soll darin der Witz stecken, der noch zieht?

Eine Sehnsucht nach Punk liegt in der Luft. Der Wunsch, dem musikalischen Revival literarisch nachzusetzen, bleibt aber bei der Nachahmung des längst Gewesenen stehen, und die schlichte Aufbereitung von Fanzine-Flugschriften nervt auf die Dauer. Enno Stahl: „Nur wo du richtig nackt & bar aller Illusion & Schminke bist, kannst Du ,Trash‘-Dichter/in sein.“ Das allein reicht nun aber wirklich nicht mehr aus. Guter Trash schraubt sich eben nicht mit ungeschminkter Slackness durch Klischees, sondern gibt seinem Stoff mit einem Lächeln die Sporen.

Es gibt Spuren solchen Könnens in „German Trash Prosa“. Zum Beispiel von der aufgrund einschlägiger Veranstaltungen im Berliner „Ex'n Pop“ Poetry-Slam- erprobten „Elisabeth“, die sich in „Sex 1/2/4/8/13/15/22/Das beste Pferd im Stall“ angenehm offensiv in bataillescher Säftezirkulation übt, oder in Roland Adelmanns mit Drive erzählter Alltagsgeschichte „Manchmal können sich auch Leute ohne Führerschein in die Seele eines Autos versetzen“.

Zu den Texten, die beweisen, daß im literarischen „Independent-Bereich“ sehr wohl Entdeckungen gemacht werden können, gehört auch eine Story von Petra Lüschow, in der zwei junge Girlies, „Flores und Antiflores“, einen brütend heißen Tag vom 150sten Stockwerk ihrer Wohnung aus angehen. Diese Geschichte ist so böse, wie zehn Tage Saufen & Huren nicht sein können. Sie unterhält mit Glamour, sie reflektiert die Bilder, die sie liefert, und sagt damit beständig, was andere Texte in der Langeweile ihrer Erzählunfähigkeit oder -verweigerung verschlucken: „Es ist echt. Es ist falsch. Es ist echt falsch.“ Gaby Frank

„German Trash Prosa“. Hg. v. Enno Stahl, mit Fotografien von Hans-Martin Sewcz, Galrev, Berlin 1996, 28 DM

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