Es hat sich aushannovert: Der letzte Oberschnulli
Olaf Glaeseker ist nur einer der Ex-Wulff-Gefährten, die nun abstürzen. Das Politpersonal von der Leine wird nach hinten durchgereicht.
„Hannover ist das Gegenteil von Sommer. Von Urlaub. Wäre Hannover eine Jahreszeit, käme der November in Frage. Hannover als Essen vorgestellt wäre eine Brühe (oder Brühreis), und müsste man Hannover mit einer Geste beschreiben, würde man gähnen. Hannover heißt durchfahren, aber nicht bleiben. Es ist die beste Umsteigestadt in Deutschland.“ Zauberhafte Zeilen, 2003 verfasst von einem Autor der Berliner Zeitung. Es war Post-Expo-Zeit, Schröder-Zeit. Der hitlerische Maschsee, die Niki-de-Saint-Phalle-Grotte, die Scorpions und Heinz-Rudolf Kunze versorgten die Hauptstadt Niedersachsens mit dem höchstmöglichen Glamourfaktor.
Nichts ist doofer als …? Das war mal. Hannover-Bashing ist aus der Mode, das Gegriene über staubtrockene Niedersachsen und das größte Schützenfest der Welt abgeebbt. Und sorry, liebe Rot-Grünen, ihr müsst jetzt tapfer sein, aber das hat auch mit der Regierungszeit von Christian Wulff (2003–2010) zu tun. Logisch, Glamour ist etwas Relatives, aber inzwischen tauchen ja nicht nur die Ferres und Furtwänglers und Burdas in Harn-Over auf. Dagegen früher: Hillu Schröder und der Currywurst-Krieg. Was spannend ist: Die Zeit, in der die Wulff-Entourage quasi das gesamte Großberliner Hoffnungspolitpersonal bestückte, endet just in diesen Wochen.
Das wird an dem Tag überdeutlich, an dem vor dem Landgericht Hannover der Prozess gegen Olaf Glaeseker, Exsprecher des einstigen Minister- und Bundespräsidenten beginnt. Ursula von der Leyen, Wulffs Sozialministerin, verbaselt gerade offenbar denselben Posten auf Bundesebene an die sieche SPD. Philipp Rösler, Wirtschaftsminister Wulffs, hat nicht nur Amt und Mandat verloren. Seine Partei jagte den tränenden Rösler beim Parteitag am Wochenende mit Zwergenapplaus als eine Art peinlichsten Chef aller Zeiten vom Hof. Röslers Exgeneral Patrick Döring: Muss in seiner Heimatstadt Hannover wieder Handys und Hunde versichern.
Und David McAllister, Röslers Buddy und Wulffs Kettenhund, jahrelang eine Art Prinz Charles der niedersächsischen Landespolitik, dann doch Regierungschef, im Januar krachend Wahlverlierer? Jetzt Spitzenkandidat der CDU bei der Europawahl. Noch Fragen?
Er hat sich verkrümelt und schweigt eisern
Olaf Glaeseker ist nicht nur der Mann, der die Niedersachsen-Crew an vorderster Front in die Gazetten der Republik jubelte, er ist auch der letzte in der Reihe der offenkundig Überschätzten, dessen Abstieg nun verhandelt wird. Der Sprecher hat den furztrockenen Dauerwahlverlierer Wulff zum Schwiegermutterschwarm und zu Deutschlands beliebtestem Politiker hochgejazzt.
Glaeseker hat die Deals mit der Bild eingefädelt, ihre Redakteure zu ersten Auftritten mit der neuen Flamme Bettina beim Public Viewing der Fußball-WM 2006 gelotst. Oder zum Fototermin des neuen Superpaars der deutschen Politik in den Stadtwald Eilenriede gerufen. Wo war der „siamesische Zwilling“ (Wulff über Glaeseker) eigentlich, als Wulff „Ich bin auf dem Weg zum Emir“ zur Mailbox von Bild-Chef Kai Diekmann sagte?
Seit zwei Jahren tut Glaeseker, 52, etwas für ihn völlig Unübliches: Er hat sich in sein Haus am Steinhuder Meer verkrümelt und schweigt eisern. Für den „Oberschnulli“ (Glaeseker auch über Wulff) geht es im Landgericht derzeit um einen politischen Freispruch erster Klasse in Sachen Vorteilsnahme – Wulff erhält lebenslang einen Ehrensold von derzeit 217.000 Euro. Pro Jahr.
Für seinen Spindoctor ist der Bestechlichkeitsprozess weniger komfortabel. Glaesekers Versorgungsansprüche sind mit dem Urteil verknüpft. Er habe sich „im Sinne meines Dienstherren engagiert“, sagte Glaeseker am Montag vor Gericht. Vorwurf: Er soll dem Eventmanager Manfred Schmidt 2007 bis 2009 bei der Sponsorensuche für das Promi-Fest „Nord-Süd-Dialog“ geholfen, dieser soll ihn dafür zu Gratisurlauben eingeladen haben. Fest steht: Auch der „Dialog“ hatte nur ein Ziel: mehr Glamour nach Hannover zu holen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“