: Es bleibt nur die Flucht in den Wald
Zehn Tage neuer Krieg im Ostkongo haben nach UN-Angaben 500.000 neue Hilfsbedürftige produziert
BERLIN taz ■ Die ohnehin dramatische Lage der Zivilbevölkerung im zwischen Milizen umkämpften Osten der Demokratischen Republik Kongo verschlechtert sich rapide. Dies bilanzieren UN-Hilfswerke als Ergebnis der jüngsten Offensiven lokaler Mayi-Mayi-Milizen gegen die in der Region herrschende Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie). Die RCD ist geschwächt, seitdem ihre Schutzmacht Ruanda ihre rund 23.000 Soldaten aus dem Ostkongo abgezogen hat, und kontrolliert nur noch einige größere Städte – am 13. Oktober verlor sie sogar Uvira an der Grenze zu Burundi an die Mayi-Mayi.
Eine halbe Million Menschen zusätzlich sind nun dringend auf Lebensmittelhilfe angewiesen, berichtete das UN-Welternährungsprogramm WFP am Freitag. „Etwa 1,3 Millionen Menschen, zu 60 Prozent Frauen und Kinder, brauchen Lebensmittelhilfe – das sind 500.000 mehr als zu Beginn der Kämpfe vor zehn Tagen“, sagte der WFP-Koordinator für Ostkongo, Jean-Charles Dei. „Wenn nicht sehr schnell etwas getan wird, gibt es eine humanitäre Katastrophe.“ Schätzungsweise drei Millionen der 20 Millionen Menschen in Ostkongo sind seit 1998 bereits dem Krieg und seinen Folgen wie Vertreibung, Hunger und Seuchen zum Opfer gefallen.
Die vom WFP gewünschte schnelle Reaktion ist unwahrscheinlich, da die Arbeitsbedingungen für Hilfswerke schwieriger werden. Carolyn McAskie, Vizekoordinatorin für UN-Hilfe im Kongo, sagte letzte Woche, in mehreren Städten im Landesinneren hätten Hilfswerke ihre Aktivitäten einstellen und sich evakuieren lassen müssen. Selbst in Bukavu, die von Mayi-Mayi-Milizen belagerte Provinzhauptstadt an der Grenze zu Ruanda und Zentrum der WFP-Aktionen für die Region, ist das UN-Personal auf die zweithöchste Alarmstufe gesetzt worden, eine Stufe unter dem Evakuierungsbefehl.
Aufgrund des massiven internationalen Drucks kündigten die Mayi-Mayi-Milizen in Uvira am Samstag an, sich aus der frisch eroberten Stadt wieder zurückzuziehen, um „Massaker an der Zivilbevölkerung“ zu vermeiden. Zuvor hatte die RCD den Milizen 48 Stunden gegeben, Uvira zu verlassen, und ansonsten mit einer Gegenoffensive gedroht. Zugleich hatte Ruanda angekündigt, es sei bereit, seine eben erst aus dem Kongo abgezogenen Truppen erneut in das Nachbarland zu entsenden. Unklar ist, was passiert, falls die RCD versucht, selber wieder in Uvira einzurücken, wo die Bevölkerung ihre Vertreibung durch die Milizen gefeiert hatte. Es ist nicht damit zu rechnen, dass in der Region jetzt Frieden einkehrt.
Wenn die Kämpfe auf diese Weise eskalieren, droht der Zivilbevölkerung neues Leid. „Die Hilfsbedürftigen sind vor allem Bauern, die in den Wald fliehen mussten, ohne irgendetwas mitnehmen zu können“, schildert das Welternährungsprogramm die Lage. „Die, die nicht fliehen konnten, bleiben in den großen Städten und sind dort von bewaffneten Gruppen belagert, sodass sie nicht auf ihre Felder zurückkönnen. Die Mehrheit der Männer ist in die verschiedenen kämpfenden Gruppen eingezogen worden. Die Frauen und Mädchen sind ständig sexueller Gewalt ausgesetzt, wenn sie Nahrung zum Überleben suchen.“
DOMINIC JOHNSON
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen