Erstes neues US-AKW seit 30 Jahren: Atomenergie ist zu teuer
In den USA ist ein neues Atomkraftwerk in Betrieb gegangen. Doch ein Zeichen einer globalen Renaissance der Kernkraft ist das keineswegs.
I m Bundesstaat Georgia ist mit dem dritten Block des Atomkraftwerks Vogtle der erste US-Reaktor seit 30 Jahren in Betrieb gegangen. Block vier soll nächstes Jahr folgen. Ist das ein „beeindruckendes Beispiel für unsere Energiezukunft“, wie der Chef der Betreiberfirma Georgia Power stolz erklärte? Ist dies der Beginn einer Trendwende, der Aufbruch zu einem glanzvollen nuklearen Comeback?
Dreimal nein. Die gute Nachricht für die Atomindustrie begrenzt sich auf die schlichte Tatsache, dass der Reaktor tatsächlich in Betrieb geht, was bei Neubauprojekten der westlichen Industrieländer nicht mehr selbstverständlich ist, wie aktuell das Neubaudesaster in Frankreich zeigt.
Auch das US-AKW Vogtle ist wieder ein beeindruckendes Beispiel für Kostenexplosionen, immense zeitliche Verzögerungen und ökonomisches Harakiri. Beim Baubeginn 2013 war die Stimmung noch prächtig: Diesmal werde es keine Bauverzögerungen geben und der Kostenplan werde strikt eingehalten, versprach Georgia Power. Doch die Kosten für die beiden Meiler sind von 14 auf rund 30 Milliarden Dollar gesprungen, der Zeitplan wurde um sechs Jahre verfehlt. Budget-Überschreitungen bei US-Atomkraftwerken werden seit 1966 analysiert, sie liegen im Schnitt bei 207 Prozent.
Während die Inbetriebnahme des neuen Vogtle-Reaktors große Medienaufmerksamkeit bekommt, wurden die Stilllegungen in den USA beinahe geräuschlos vollzogen. Seit 2012 schrumpfte die größte Reaktorflotte der Welt von 101 auf 92 Blöcke. Jetzt sind in den USA wieder 93 Atommeiler in Betrieb. Ihr Anteil an der Stromversorgung ist zuletzt unter die 20-Prozent-Marke auf 18,9 Prozent gefallen.
Auch in den USA boomen Wind- und Solarenergie. Die Kosten von Photovoltaikanlagen fielen seit 2009 um 90 Prozent, die für Atomkraftwerke stiegen um 36 Prozent. Atomenergie ist nicht mehr konkurrenzfähig. Schon 2019 hat in den USA die installierte Kapazität der Windanlagen die der AKWs überholt.
Dennoch fließen weiterhin immense Subventionen in den US-Nuklearsektor. Sie sollen die bestehende, stark überalterte Reaktorflotte in Betrieb und die Betreiberfirmen bei Laune halten. Laufzeitverlängerungen auf 60 und bei zehn Reaktoren sogar auf 80 Jahre sind genehmigt worden.
Unterdessen hat mehr als die Hälfte der US-Reaktorflotte die normale Laufzeit von 40 Jahren überschritten. Weitere Abschaltungen werden trotz aller Subventionen künftig nicht zu vermeiden sein, zumal teure Reparaturen und Stillstandszeiten bei den Altreaktoren zunehmen. Die Talfahrt der Atomenergie hat längst auch die USA erreicht. Atomics are out of time.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich