: Erster Mai – ohne Polizei
Viel Politik, keine Polizei: FU-Professor will mit breitem Bündnis einen friedlichen 1. Mai in Kreuzberg organisieren. Mit dabei sind auch Teile der Autonomen, andere wollen das Konzept boykottieren
von FELIX LEE
Der revolutionäre 1. Mai ganz ohne Polizei? Für viele Kreuzberger unvorstellbar, hat es doch in den letzten 15 Jahren am traditionellen linken Feiertag immer wieder Straßenschlachten zwischen Polizisten und Demonstranten gegeben. In diesem Jahr – das erste Mal unter einem rot-roten Senat – könnte der Maifeiertag anders aussehen. Unter dem Motto „Denk Mai neu!“ trifft sich seit Wochen das so genannte „Personenbündnis“, ein Zusammenschluss aus Vertretern von Bürgerrechtsorganisationen, Migrantengruppen, Gewerkschaften und linken Gruppen, die den 1. Mai 2002 „neu gestalten“ wollen und heute ihr Konzept der Öffentlichkeit vorstellen. Beteiligt sind neben den Grünen, den Jusos und der PDS auch die globalisierungskritische Gruppe Attac und die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB).
Das Bündis will anstelle von martialischen Polizeiaufgeboten und steinewerfenden Demonstranten das gesamte Gebiet zwischen Oranien-, Lausitzer- und Mariannenplatz zu einem großen politischen und kulturellen Straßenfest umwandeln. „40.000 bis 60.000 Berliner wollen wir nach Kreuzberg mobilisieren“, heißt es in dem Aufruf; die Plätze für die Veranstaltungen seien bereits angemeldet.
Die Initiative hat Peter Grottian gestartet, Professor an der Freien Universität und Mitglied beim „Komitee für Grundrechte und Demokratie“. Grottian: „Wir wollen den 1. Mai wieder zu einem politischen Tag machen, an dem Demokratie von unten praktiziert werden kann.“ Viele Menschen hätten sich in den vergangenen Jahren am 1. Mai gar nicht mehr auf die Straße getraut, und gerade viele junge Leute wüssten nicht einmal, mit welchen politischen Inhalten der 1. Mai eigentlich besetzt sei. Deshalb hat das Bündnis für diesen Tag ein umfangreiches Rahmenprogramm aufgestellt, das neben den beiden traditionellen Demonstrationen – die eine um 13 Uhr, die andere um 18 Uhr – auch das Familienfest am Mariannenplatz einbezieht. Darüber hinaus sollen Workshops und Vorträge zu vielfältigen politischen Themen wie Armut, Rassismus und Krieg stattfinden; den Nachmittag wollen die Veranstalter kulturell füllen mit Filmen, Ausstellungen und Straßentheater.
Ein ehrgeiziges Projekt, denn nach den Vorstellungen des Bündnisses ist dafür ein polizeifreies Berlin-Kreuzberg die Voraussetzung. „Wer ein solches Konzept vor fünf Monaten der Öffentlichkeit vorgestellt hätte, wäre der politischen Blauäugigkeit verdächtigt worden“, so Grottian. Das Bündnis fordert vom Senat „die komplette Abstinenz der Polizei in Kreuzberg“. Sobald sich nur eine Polizeieinheit dem Mariannenplatz nähert, werde die gesamte Veranstaltung abgeblasen.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat sich nach Grottians Worten gesprächsbereit gezeigt und will über das Konzept nachdenken. Die harte Schiene, wie sie der damalige Innensenator Eckart Werthebach (CDU) letztes Jahr gefahren ist, will Körting um jeden Preis vermeiden. „Wir hätten schon viel erreicht, wenn wir die Leute, die Krawall machen wollen, stärker von ihren Sympathisanten isolieren könnten“, kündigte Körting bereits vor mehreren Wochen an.
Geht es nach dem Willen des Bündnisses, soll es dazu aber erst gar nicht kommen. Grottian betont zwar, dass auch das Bündnis nicht dazu fähig sein wird, „alle potenziellen Gewaltdynamiken unter Kontrolle zu halten“. Sie wollen das politische und kulturelle Angebot so gestalten, dass gewaltbereite Jugendliche auch ohne Krawalle Spaß haben. „Das wird die Gewalt minimieren.“
Ob das gelingt, hängt aber nicht nur davon ab, inwieweit Innensenat und Polizei sich auf das Konzept einlassen werden. Denn die Mobilisierungskraft der im Bündnis vertretenen Personen wird in autonomen Kreisen als gering eingeschätzt. Mit der AAB ist im Bündnis allerdings eine der wichtigsten autonomen Gruppen der Stadt vertreten, die in den vergangenen Jahren maßgeblich an der Organisation der 1.-Mai-Demos beteiligt war.
Im Internet häufen sich bereits Aufrufe, das neue Konzept zu boykottieren. „Kommunistische und autonome Gruppen aus Kreuzberg“ sehen darin ein „Reformkonzept“, um „sich mit einem vermeintlichen Befriedungsprojekt beim rot-roten Senat anzubiedern.“ Zwar haben auch die Verfasser nichts gegen eine polizeifreie Zone am 1. Mai in Kreuzberg einzuwenden, politische Forderungen müssten aber auch weiterhin „konfrontativ“ auf die Straße getragen werden. Das Bündnis versuche nichts anderes als das, was die Polizei in den vergangenen Jahren mit den staatlich initiierten Bürgerfesten stets vergeblich probiert habe. „Das wird auch dem Bündnis nicht gelingen.“
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