olympyada-yada-yadaMarkus Völker : Erster Olympionike der DDR: der boxende Schlosser
Wolfgang Behrendt empfängt den Gast mit dem Händedruck eines Boxers: Überraschend fest drückt der kleine Mann zu – mit seinen 88 Jahren. Viel passiert nicht mehr in seinem Leben, man habe ihn vergessen, sagt der erste Olympionike der DDR, also der erste Goldmedaillengewinner. 1956 hat er in Melbourne die Plakette als Teil der gesamtdeutschen Mannschaft gewonnen, im Bantamgewicht für Faustkämpfer bis 54 Kilogramm Lebendgewicht. „Warten Sie“, sagt Behrendt, steht unter Schmerzen auf – im Winter hat er sich die Hüfte gebrochen – und holt die Medaille. „Is nur so’n kleenes Ding“, berlinert er. Sie liegt in einer weißen Schatulle, ohne Band wurde sie überreicht. „Ja, so war das damals, allet bescheidener, allet weniger wichtig.“ Er präsentiert in seiner kleinen Wohnung in Berlin-Johannisthal auch noch einen goldenen olympischen Ring, den er seinerzeit bekommen hat. „Schön, nich!?“
Im Finalkampf der Sommerspiele hat er den Südkoreaner Soon Chang Song mit 2:1 Richterstimmen geschlagen, im Halbfinale den Iren Fred Gilroy. Behrendt war damals 20 Jahre alt, und dass er Gold holte, kam überraschend. Man hatte das eher Christa Stubnick (100-Meter-Sprint) oder Gisela Köhler (80 Meter Hürden) zugetraut, aber nun hatte es der Maschinenschlosser aus dem Volkseigenen Betrieb Niles Großdrehmaschinenbau geschafft. Harry Kurschat, der Westboxer, wurde Zweiter im Leichtgewicht bis 60 Kilo. Zwischen beiden bestand eine Verbindung, die bis zum Mauerfall hielt.
Mit der Goldmedaille hat Wolfgang Behrendt auch einen Lebenslauf für den Gast herbeigeschafft. Dort steht schwarz auf weiß, was sein Gedächtnis manchmal nicht mehr erinnern mag. Aufgewachsen ist er im Prenzlauer Berg in der Gubitzstraße, dann Anfang der 60er Jahre Umzug in die Schievelbeiner, seit über 50 Jahren wohnt er am Rand der Großstadt. 201 Kämpfe hat Wolfgang Behrendt bestritten: 188 Siege, fünf Unentschieden, acht Niederlagen. K.o. ist er nie gegangen.
„Der linke Jab war mein bester Schlag“, sagt er und boxt in die Luft. Er hat den ersten Sohn Mario, auch er war ein DDR-Meister im Boxen, überlebt, seine Frau und auch DDR-Reporter Heinz Florian Oertel. „Ja, alle tot“, sagt Behrendt und zeigt auf das Foto mit der Trompete, das im Arbeitszimmer an der Wand hängt. Der Boxer besaß offenbar nicht nur einen formidablen Mutterwitz, er war auch musikalisch, ein kleiner Entertainer. Er spielte Trompete. Der Schnappschuss zeigt ihn vorm ND-Redaktionsgebäude, also vor dem Neuen Deutschland.
Da war er bis 1990 als Sportfotograf angestellt, reiste mit seiner Nikon zu acht Olympischen Spielen, Fußball-Weltmeisterschaften, zur Friedensfahrt der Radler. Angefangen hatte er als Kameraassistent beim Deutschen Fernsehfunk. „Ich kannte da ein paar Leute, so kam das“, sagt Behrendt. Ein Fernstudium für Fotografie an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee folgte. Seine Bilder waren nicht nur Massenware: Er schoss bisweilen in der DDR das „Sportfoto des Jahres“. In Damaskus und Peking gewann er bei der „Weltausstellung der Sportfotografie“ zweimal die Goldmedaille für Schwarzweißfotos. Wenn man zum Beispiel im Bildband des DDR-Sportverlags „Fussball. Magnet für Millionen“ blättert, erahnt man sein Talent für besondere Sportmomente.
Nach seinem Olympiasieg wurde er ein bisschen herumgereicht. Der damalige DDR-Präsident Wilhelm Pieck gratulierte ihm – West-Pendant Theodor Heuss auch –, er wurde „Verdienter Meister des Sports“ und bekam das „Silberne Lorbeerblatt“. Zum großen Repräsentanten des DDR-Sports reichte es aber nie, weil er schon in den 1950er Jahren Trouble mit ein paar Sportfunktionären hatte: „Ich war halt nicht der große Urkommunist“, sagt Wolfgang Behrendt, der nach der Wende ein paar Klamaukauftritte mit Heinz Florian Oertel hinlegte. Er schlug sich daneben als freier Fotograf durch, „ein hartes Brot“. Das alles verschwindet nun langsam im Dunkel der Erinnerung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen