Erneuerbare Energie: Standortfrage bleibt unentschieden
Ob Windräder im Norden oder Süden stehen, ist laut einer neuen Studie kostenmäßig egal. Nur im Meer sollte weniger gebaut werden
BERLIN taz | Die Frage ist unter den Planern der Energiewende heiß umstritten: Sollen die neuen Windräder und Solaranlagen eher dort gebaut werden, wo der Wind weht und die Sonne scheint – oder lieber an den Standorten, wo der Strom verbraucht wird?
Jetzt gibt es auf diese Frage eine Antwort in einem neuen Gutachten des Thinktanks „Agora Energiewende“. Das Ergebnis: Aus Kostengründen ist es egal, wo die Anlagen entstehen – nur der Ausbau der Windkraft im Meer müsse gedrosselt werden, um die Kosten nicht explodieren zu lassen.
Agora Energiewende ist eine Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation, die Fragen der Energiewende möglichst im Konsens debattieren will. Für die Studie haben Experten der Beratungsfirma Consentec und des Fraunhofer Instituts IWES berechnet, welche Kosten der Ausbau der Erneuerbaren verursacht, wenn er eher an den Idealstandorten (Wind im Norden, Sonne im Süden) oder näher am Verbrauch (Wind und Sonne im Westen und Süden) stattfindet.
Aber „auf die Kosten des Gesamtsystems hat die regionale Verteilung der Anlagen keinen wesentlichen Einfluss“, sagte am Dienstag Agora-Direktor Rainer Baake. „Die Politik hat damit einen großen Handlungsspielraum.“ Den muss der Bund in der nächsten Legislaturperiode durch Änderungen am Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) ausschöpfen. Über die Förderbedingungen kann er indirekt steuern, wo welche Anlagen gebaut werden.
Die Kosten des gesamten deutschen Energiesystems für das Jahr 2033 beziffert die Studie auf 83 Milliarden Euro jährlich. Ein optimierter Ausbau könne je nach Szenario etwa 3 bis 4 Milliarden Euro sparen. Dafür müsse vor allem der geplante Ausbau der Offshore-Windfarmen vor der Küste deutlich langsamer weitergehen, schlägt das Gutachten vor, „sonst wird Offshore der neue Kostentreiber“, sagte Baake.
Batteriespeicher derzeit nicht realistisch
Die Studie kommt noch zu zwei weiteren Schlüssen: Der Ausbau der Stromnetze sei zwar nötig und mache sich auch bezahlt, aber die Energiewende könne auch vorangehen, wenn sich der Ausbau „um einige Jahre“ verzögert. Und schließlich räumt die Modellrechnung mit der Vorstellung auf, die flächendeckende Versorgung mit dezentralen Solaranlagen plus Batteriespeichern sei eine realistische Variante für die neue Stromversorgung.
Wegen der hohen Kosten sei ein solches Szenario erst realisierbar, wenn sich die Preise für Anlagen und Batterien in 20 Jahren um 80 Prozent reduzierten, heißt es.
Die Ergebnisse der Studie „Kostenoptimaler Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland“ sollen am Mittwoch bei einer Konferenz mit Vertretern der Länder, des Bundes und der Energiewirtschaft debattiert werden. Dabei haben viele Beteiligten ihre eigenen Interessen: Nordländer wie Schleswig-Holstein wollen zu großen Stromexporteuren werden und befürworten daher die Offshore-Expansion, Südländer wollen ihre eigenen Kapazitäten aufbauen.
Und die großen Stromkonzerne haben an Offshore ein vitales Interesse, weil sie vor allem in diesen Milliardenprojekten ihre neuen Geschäftsfelder sehen.
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