„Ernährung“ als Schulfach: Kinder sollten kochen lernen
In Berlin feiert die Grüne Woche den gesellschaftlichen Wandel beim Umgang mit Lebensmitteln. Doch was lernen Kinder in der Schule?
Die Volksmeinung wähnt der Minister auf seiner Seite, gaben doch 92 Prozent der für die Ernährungsstudie Befragten an, sie würden einen „verpflichtenden Unterricht über eine gesunde Ernährungsweise in den Schulen“ befürworten. Der CSU-Minister ist nicht der Erste, der eine Ernährungswende über die Schulbank anstrebt.
Schmidts Vorvorgängerin Renate Künast (Grüne) versuchte in ihrer Amtszeit als Landwirtschaftsministerin ebenfalls, die KMK zu diesem Schritt zu bewegen – erfolglos. „Die damalige KMK-Vorsitzende Dagmar Schipanski wollte das nicht“, erinnert sich Künast. „Kinder wissen heute viel über Autos und Computer, aber über ihren eigenen Körper und die Ernährung lernen sie zu wenig“, glaubt die Grünen-Politikerin. So fällt der Rückblick auf ihre Impulse als Verbraucherschutzministerin „zwiespältig“ aus, wie sie sagt: „Wir haben zwar jetzt massenhaft Modellprojekte, es fehlt aber die flächendeckende Umsetzung“ einer Schulbildung für gesunde Ernährung.
Die KMK ihrerseits hat in den Jahren 2012 und 2013 zwei Grundsatzschlüsse zur „Verbraucherbildung an Schulen“ getroffen. Darin ist „Ernährung und Gesundheit“ allerdings nur eines von vier Themengebieten, die stärker in den Unterricht einfließen sollen – neben Wirtschaft, Medien und nachhaltiger Entwicklung.
KMK: Ein eigenes Schulfach sei nicht nötig
„Das Thema Ernährung“, lässt die KMK auf Anfrage ausrichten, „ist in allen 16 Ländern Teil der Lehrpläne und wird in verschiedenen Unterrichtsfächern, wie Sachkunde, Hauswirtschaft, Biologie, sowie fachübergreifend und durch verschiedene extracurriculare Maßnahmen aufgegriffen.“ Ein eigenes Schulfach sei daher nicht nötig, Ernährung komme im Unterricht ausreichend vor. Zumal angesichts der bestehenden Stundenpläne, so ein KMK-Sprecher, eine weitere Ausdehnung des Fächerkanons kaum akzeptiert werden würde.
Dass Ernährungsfragen in den Schulen ausreichend behandelt würden, bestreitet Lotte Rose von der Fachhochschule Frankfurt. Selbst wenn Ernährung im Stundenplan auftaucht, werde viel zu theoretisch und kopflastig vermittelt. Nötig sei, den Schülern auch den praktischen Umgang mit Lebensmitteln – sprich kochen – beizubringen.
L. Rose, Fachhochschule Frankfurt
Am besten über das Schulessen, betonte Rose kürzlich auf einer Bildungskonferenz von „Slow Food“, einer Bewegung für nachhaltige Ernährung, in Berlin. „Leider gibt es zwischen der Bildungsebene und der Versorgungsebene in den deutschen Schulen kaum Berührungen“, bedauerte Rose.
Lobbyschulmaterial statt neutraler Information
Die meisten Schulen sind ohne eigene Küchen und beziehen das Essen von Cateringfirmen. Ernährungsbildung brauche eine Renaissance der Schulküchen. Da einheitliche Lehrpläne fehlen und die Ausgestaltung des Ernährungsthemas weitgehend dem Gusto des jeweiligen Lehrers folgt, sind anderen Einflüssen Tür und Tor geöffnet.
Die Verbraucherorganisation foodwatch hat in den vergangenen Jahren eine massive Zunahme von Unterrichtsmaterialien festgestellt, die von der Lebensmittelindustrie den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. So vertreibe der Schokoladenhersteller Ritter Sport eine Unterrichtsmappe an Biologie- und Geschichtslehrer, in der Schokolade als „ein Stückchen Energie“ dargestellt werde, das „schmerzlindernd“ und „gut für Herz und Kreislauf“ sei, berichtet Oliver Huizinga von foodwatch. Auch Dr. Oetker, Kellogs oder der Zwiebackhersteller Brandt vermischten Nahrungsinformation mit Produktwerbung.
Neutrale Information, wie sie der vom Landwirtschaftsministerium finanzierte Agrar-Informationsdienst aid herausgibt, müssten die Lehrer bezahlen, kritisiert Huizinga. Eine entsprechende Beschwerde hat die KMK abgebügelt: Die Schulen seien auf das Sponsoring aus der Wirtschaft angewiesen. Und im Übrigen seien die Lehrer kritisch genug, unerwünschte Werbeeinblendungen auszusparen.
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