Ermittlungen zur Neonazi-Bande: Präziser Terror
Die Opfer des Neonazi-Terrortrios waren nicht zufällig ausgewählt wie bisher gedacht. Aus Skizzen und Karten geht hervor, dass die Taten detailliert geplant waren.
![](https://taz.de/picture/238563/14/11120110_nazis_dapd_web.jpg)
Die Täter haben nichts dem Zufall überlassen", sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke am Donnerstag in Karlsruhe. Gemeinsam mit Generalbundesanwalt Harald Range stellte er neue Ermittlungsergebnisse im Fall der rechtsterroristischen Mordserie vor.
"Die Opfer wurden nicht willkürlich ausgewählt, sondern regelrecht ausbaldowert", sagte Ziercke unter Hinweis auf "Skizzen, Karten und handschriftliche Aufzeichnungen". Details zu den Auswahlkriterien wollten die Ermittler aber nicht nennen. Dass einer der neun erschossenen Kleingewerbler kein Türke, sondern ein Grieche war, sei "kein Versehen", so Ziercke. "Für die Täter machte es keinen Unterschied, ob sie einen Türken oder einen Griechen erschossen." Die drei hätten das "Lebensrecht aller ausländischen Mitbürger verneint", sagte Range.
BKA und Bundesanwaltschaft sprechen inzwischen nicht mehr von "Döner-Morden", sondern von "Ceska-Morden", weil bei allen Taten eine Pistole dieses Typs verwendet wurde. Daneben werden der NSU die Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn, zwei Sprengstoffanschläge in Köln sowie mindestens 14 Banküberfälle vorgeworfen. Die Raubzüge sollen insgesamt rund 600.000 Euro erbracht haben.
Weitere Beziehungen zur NPD?
Zum "Nationalsozialistischen Untergrund" rechnen die Ermittler nach wie vor nur drei Personen, die gemeinsam 1998 untertauchten: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, die sich Anfang November nach einem Banküberfall vor dem Zugriff der Polizei selbst töteten, sowie Beate Zschäpe, die sich einige Tage später der Polizei stellte. Nach Zeugenaussagen soll es einen Plan gegeben haben, im Fall der Entdeckung "gemeinsam aus dem Leben zu scheiden und sich nicht in die Hand der Sicherheitsbehörden zu begeben", sagte Ziercke.
Appell: Das Bundeskriminalamt (BKA) bittet die Bevölkerung um Hilfe. Im Zuge der Ermittlungen gegen die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) startete BKA-Präsident Jörg Ziercke an diesem Donnerstag eine breit angelegte Öffentlichkeitsfahndung. Sein Appell wurde gestern von mehreren TV-Sendern live übertragen. Die Polizei will so erfahren, wo sich die drei NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den letzten Jahren aufgehalten haben, welche Fahrzeuge sie angemietet haben und zu wem sie Kontakt hatten. "Wir hoffen, so auch weitere Unterstützer und Hintermänner der Gruppe identifizieren zu können", sagte Ziercke.
Bevölkerung: Die drei Rechtsterroristen dürften auch Kontakte jenseits der rechten Szene gepflegt haben, zum Beispiel bei ihren regelmäßigen Camping-Urlauben. Bei der Fahndung werden Fotos benutzt, die der Polizei von Urlaubsbekanntschaften zur Verfügung gestellt wurden. Bisher hat die Polizei erst rund 240 Hinweise aus der Bevölkerung erhalten. Ziercke rechnet jetzt aber "mit einem großem Hinweis-Aufkommen". Für die Aufklärung der Mordserie ist - wie schon seit Jahren - eine Belohnung von 300.000 Euro ausgesetzt.
Rechtsradikale Aussteiger: Am Schluss der Pressekonferenz des BKA wandte sich Generalbundesanwalt Harald Range ausdrücklich an aussteigewillige Mitglieder der rechtsradikalen Szene: "Sie können den Behörden auch anonym Hinweise zukommen lassen, etwa indem Sie sich an Rechtsanwälte oder Geistliche wenden."
Neben Zschäpe sind bislang drei weitere Unterstützer in Haft: Holger G., der den dreien Ausweise überlassen und Wohnmobile für sie angemietet haben soll, André E., der wohl die Bekenner-DVD hergestellt hat, sowie Ralf Wohlleben, der der Gruppe eine Waffe besorgt haben soll. "Wir haben aber noch eine gute Handvoll weiterer Unterstützer im Visier", sagte Generalbundesanwalt Range. Eine Person soll regelmäßig Fahrzeuge für die Gruppe angemietet haben. "Wenn jemand sagt, er habe seinen Ausweis verloren und dieser sei missbraucht worden, müssen wir ja erst einmal das Gegenteil beweisen können", sagte Ziercke.
Einen klaren Bezug zur NPD hat bisher nur Ralf Wohlleben, der zeitweise stellvertretender Landesvorsitzender in Thüringen war. Doch Ziercke erklärte: "Ich bin überzeugt, dass wir noch weitere Beziehungen zur NPD entdecken werden." Bisher gebe es allerdings noch keine Hinweise, dass Infrastruktur der NPD für Terrorzwecke genutzt wurde.
Noch viel zu untersuchen
Immer wieder mussten Range und Ziercke darauf verweisen, dass viele der 2.500 Beweisstücke noch gar nicht untersucht werden konnten. 1.800 davon stammten aus dem von dem NSU-Trio bewohnten Haus in Zwickau, das Zschäpe vor ihrer Flucht in Brand setzte. Weitere 500 Asservate stammten aus dem Wohnmobil, in dem Böhnhardt und Mundlos starben. Die übrigen Beweisstücke kamen aus Hausdurchsuchungen in der Unterstützerszene.
Die Polizei hat derzeit 420 Beamte für die Aufklärung des NSU-Terrors zur Verfügung, 230 vom BKA und 190 aus den Ländern. Zusätzliche 50 Landesbeamte sollten bald dazustoßen. Die größten "Erfolge" hat die Polizei bisher bei der Zuordnung von Fahrzeugen. In 56 Fällen konnte rekonstruiert werden, dass die NSU oder ihre Unterstützer Pkws oder Wohnmobile angemietet haben. Wenn das Fahrzeug für einen Mord benutzt wurde, erfolgte die Anmietung stets weit entfernt vom Tatort.
Ob die inhaftierten Unterstützer Aussagen machen, ließ Oberermittler Range offen: "Das fällt in den Kernbereich der Ermittlungstätigkeit."
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