Ermittlungen zum „NSU 2.0“: Datenabfrage zu Böhmermann
Daten des Satirikers sind von einem Polizeicomputer abgefragt worden. Ob das in Zusammenhang mit einer Drohmail des „NSU 2.0“ steht, ist unklar.
Welche Daten von Böhmermann konkret abgefragt wurden und wann das der Fall war, sei am Donnerstag im Innenausschuss des hessischen Landtags nicht erwähnt worden, sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Freitag.
Die Frankfurter Rundschau berichtete am Freitag der Berliner Polizist habe die Daten am 25. Juli von einem Polizeirechner in Berlin abgerufen. Am 1. August sei eine Drohmail von „NSU 2.0“ an mehrere Adressaten verschickt worden. An Böhmermann ging die Mail nicht, allerdings werde in dem Schreiben „Böhmermanns Adresse verwendet“.
Zunächst hieß es vom Justizministerium, der Berliner Polizist habe sich erinnern, aber nicht darlegen können, in welchem Zusammenhang seine Abfrage erfolgt sei, so der Sprecher. Die Berliner Polizei verwies auf die Staatsanwaltschaft Frankfurt, die ermittelt. Es müsse nun aufgeklärt werden, was geschehen sein, hieß es.
Laut einer Stellungnahme der Polizei vom Freitag habe die Abfrage der Meldeanschrift im Juli 2019, nicht im Juli 2020 stattgefunden. Die Überprüfung habe „nach jetzigem Kenntnisstand (…) aus einem dienstlichen Kontext heraus“ stattgefunden. Anders als vom Justizministerium dargelegt, hätte der Berliner Polizist plausibel erklären erklären können, warum er die Abfrage tätigte und werde nicht als Tatverdächtiger geführt.
Berliner Grüne: Von Einzelfällen reden ist „bewusst naiv“
Kürzlich war bekannt geworden, dass zwei Berliner Polizisten Daten einer Kabarettistin abgefragt haben, die später ebenfalls „NSU 2.0“-Drohschreiben erhielt. Das soll am 5. März 2019 geschehen sein, am selben Tag gab es demnach eine ähnliche Abfrage auch in einer Polizeiwache in Wiesbaden.
Die Berliner Grünen forderten: „Der Senat muss öffentlich erklären, wer aus welchem Grund diese Daten abgefragt hat und ob es Zusammenhänge zwischen diesen und anderen unter Rechtsextremismusverdacht stehenden Polizisten gibt.“ Weiterhin von Einzelfällen zu reden, sei „bewusst naiv“.
Es gehe um bundesweit agierende Netzwerke, die auch behördenübergreifend ermittelt werden müssten. „Gerade weil die große Mehrheit der Polizisten jeden Tag wichtige Arbeit für den demokratischen Rechtsstaat leistet, müssen mögliche rechtsextreme Netzwerke konsequent aufgeklärt und verfolgt werden.“
25 Verfahren gegen 50 Verdächtige
Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatten im August ein Elf-Punkte-Konzept gegen rechtsextremistische Einstellungen bei einzelnen Polizisten vorgestellt. Dabei ging es unter anderem um einen Extremismusbeauftragten, ein System für anonyme Hinweise, Überprüfungen bei Einstellungen und eine regelmäßige wissenschaftliche Studie zu Einstellungen und Werten der Polizisten. Laut Senat gab es aus den vergangenen vier Jahren 33 Disziplinarverfahren wegen extremistischer Vorfälle.
Mehrere Politikerinnen und eine Frankfurter Rechtsanwältin, die im Prozess um die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) Opferfamilien vertreten hatte, erhielten unter anderem Drohschreiben. Bei einigen waren zuvor persönliche Daten von Polizeicomputern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen worden.
Bei den Ermittlungen zu rechtsextremen Chats von Polizisten und Drohmails gibt es nach Angaben von Hessens Justiz mittlerweile 25 Verfahren gegen 50 Verdächtige. Von 105 Drohschreiben werden 88 dem Komplex „NSU 2.0“ zugerechnet.
Wie taz-Recherchen ergeben haben, wird in dem „NSU 2.0“-Fall seit Längerem gegen einen konkreten Verdächtigen ermittelt. Der Frankfurter Polizist Johannes S. soll im August 2018 die private Daten der Anwältin im Dienstrechner abgerufen und Drohfaxe an sie verschickt haben.
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