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Ermittlungen gegen „FragDenStaat“Gesetzesbruch für Pressefreiheit

Jean-Philipp Baeck
Kommentar von Jean-Philipp Baeck

„FragDenStaat“ hat Gerichtsbeschlüsse aus laufenden Verfahren veröffentlicht, obwohl das illegal ist. Das Infoportal will eine Korrektur erwirken.

Zitate aus Gerichtsunterlagen könnten eine bessere demokratische Kontrolle der Justiz ermöglichen Illustration: Andrea Koopmann/dieKLEINERT

D ie Kol­le­g*in­nen vom Informationsfreiheits-Portal FragDenStaat.de bleiben für uns restliche Jour­na­lis­t*in­nen wohl immer so wie die Mathe-Streber aus der ersten Reihe. Ohne Furcht vor Zahlen ackern sie an Lösungswegen, während wir abzuschreiben versuchen. Am Ende kommt für alle Gutes dabei heraus. So wie nun vielleicht in einem aktuellen Fall zum Thema Pressefreiheit.

Denn „FragDenStaat“ kämpft auf dem Feld der demokratischen Öffentlichkeit für Transparenz und schlägt die Behörden oft mit ihren eigenen Waffen: Amtsdeutsch und Vorschriften. Über ein Online-Formular hilft das Projekt, offizielle Dokumente öffentlich zu machen. Grundlage dafür sind die Informationsfreiheitsgesetze und zahlreiche Gerichtsentscheidungen, die „FragDenStaat“ erwirkte.

In einer aktuellen Kampagne geht es nun grundsätzlich um den Paragrafen 353d Nr. 3 StGB. Also eine Regelung aus dem Strafgesetzbuch über „Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“. Wer beispielsweise eine Anklageschrift im Wortlaut veröffentlicht, bevor das Verfahren abgeschlossen ist, der könnte mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt werden. Das droht nun Arne Semsrott, dem Chefredakteur bei „FragDenStaat“, sofern das Bundesverfassungsgericht diesen Paragrafen nicht korrigiert. Und genau das will Semsrott versuchen.

Die bestehende Regel ist absurd. Bekommen beispielsweise investigativ arbeitende Jour­na­lis­t*in­nen Dokumente durchgestochen, können sie die selbst dann verwenden, wenn In­for­man­t*in­nen sie illegal beschafft haben. Ob ein öffentliches Interesse besteht, wägt allein die Redaktion ab. Nur bei laufenden Gerichtsverfahren ist das anders: Aus Dokumenten darf höchstens indirekt umschrieben, nicht aber wörtlich zitiert werden. Semsrott tat das trotzdem zweimal ganz offen.

Ermittlungen gegen Chefredakteur

Am 22. August 2023 stellte er Beschlüsse des Amtsgerichts München aus einem laufenden Verfahren online. Hintergrund sind Ermittlungen gegen die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen der „Letzten Generation“ wegen angeblicher Bildung einer kriminellen Vereinigung. Im Mai kam es zu Durchsuchungen. Monatelang wurden auch Telefone abgehört – inklusive Gespräche mit Jour­na­lis­t*in­nen, was viel kritisiert wurde. Vier Beschlüsse dazu lassen sich nun nachlesen. Laut Semsrott zeigen sie, dass das Amtsgericht Grundrechte wie die Pressefreiheit gar nicht geprüft hat.

Ebenfalls am 22. August veröffentlichte Semsrott einen Beschluss des Landgerichts Karlsruhe. Die Richter hatten die Anklage gegen einen Journalisten des freien Senders „Radio Dreyeckland“ nicht zugelassen und erklärt, warum in seinem Fall die Pressefreiheit geschützt ist.

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe unter anderem die Redaktionsräume durchsucht, nur, weil in einem Online-Artikel auf das Archiv des verbotenen linksradikalen Portals „Indymedia Linksunten“ verlinkt wurde. Das Oberlandesgericht traf später eine zweite Entscheidung, zu Ungunsten des Journalisten. Diese ist in der Landesjustizdatenbank einsehbar, nicht aber der erste Beschluss des Landgerichts. Semsrott stellte ihn online.

In beiden Fällen ermittelt jetzt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Chefredakteur. Am Montag reichte „FragDenStaat“ mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Stellungnahme ein: Das Verfahren solle ausgesetzt und die Frage durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden. Das Verbot aus Paragrafen 353d Nr. 3 sei verfassungswidrig und schränke die Pressefreiheit ein. Sie berufen sich auf Urteile des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Demokratische Kontrolle der Justiz

Aber was, wenn rechte Medien wörtlich aus Akten zitieren, die etwa kritische Jour­na­lis­t*in­nen bloßstellen? Zunächst geht es hier nur um die Möglichkeit, in Einzelfällen überhaupt Ausnahmen im Sinne der Pressefreiheit zuzulassen. Auch bleiben die Regeln der Verdachtsberichterstattung und die journalistische Sorgfaltspflicht, Persönlichkeitsrechte abzuwägen, bestehen. Semsrott zeigte diese Verantwortung und schwärzte Namen und Adressen.

Unangenehme Details werden schon heute als Umschreibungen veröffentlicht. Original-Zitate aus Gerichtsunterlagen könnten eine bessere demokratische Kontrolle der Justiz ermöglichen. Das zeigen die Fälle aus Karlsruhe und München.

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Jean-Philipp Baeck
Investigativreporter
stv. Ressortleiter Reportage & Recherche. /// Zuvor: Produktentwickler der taz im Netz, Chef vom Dienst der taz nord in Hamburg, Redakteur und Volontär der taz in Bremen. /// Seit 2011 Journalist bei der taz, mehrere Jahre zudem auch beim Norddeutschen Rundfunk NDR. /// Soziologe und Kulturwissenschaftler, Studium in Bremen und Melbourne. /// Herausgeber von "Rechte Egoshooter - Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat", Ch. Links Verlag 2020, mit Andreas Speit /// Rainer-Reichert-Preis zum Tag der Pressefreiheit 2024 /// Threema-ID: UWSDA226 /// PGP Fingerprint: 3045 4A0E 6B81 226A A64E 0790 36BF 9C3A 6EC6 5D1F
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1 Kommentar

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  • Danke - anschließe mich &!Chapeau - mE kann Karlsruhe gar nicht anders als grundrechteorientiert normreduzierend entscheiden! Gell