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Erlebnisse auf der WeinmesseDas Paradies des Teufels

Große Gewächse, Scheißburgunder und Touren durch den After – drei Brüder besuchen eine Weinmesse in der ehrlichen Absicht, alles zu genießen.

Die beiden Brüder des Autoren auf der Weinmesse Foto: Clemens Sarholz

Meine Gedanken schweifen gerade ein wenig ab, als Aurelie mir eine Spätlese einschenkt. Erdener Treppchen. Sie steht bei den Bischöflichen Weingütern auf einer Weinmesse, wo sonst Einkäufer, Verkäufer und Gastronomen Kontakte knüpfen, um ihre Taschen mit Wein oder Geld zu füllen, und sie hat große, runde Augen und eine entwaffnende Herzlichkeit. Ich glaube, ich habe mich kurz verliebt.

Möglicherweise liegt das auch an dem, was schon seit ein paar Stunden meine Kehle hinunterfließt, in Probierportiönchen zwar, aber trotzdem in rauen Mengen. Mit dem Kellermeister der Bischöflichen Weingüter spreche ich über den 3 Hektar großen Weinkeller, wo die Arbeiter mit Fahrrädern hindurchfahren und über die 125 Hektar, die von ihnen an der Mosel beackert werden; und auch darüber, dass einige Weinberge noch aus dem Ablasshandel der katholischen Kirche stammen. Der Tag ist herrlich.

Ich bin mit meinen Brüdern unterwegs, Til und Jörg, und mit Freunden, die allesamt in der Gastronomie arbeiten. Die wissen, was gut ist. Das Messegelände hat eine Hallenfläche von 261.817 Quadratmetern und darauf finden viele Welten Platz, unter anderem Südamerika, Chile, Neuseeland, Italien, Spanien, Frankreich, Ungarn, Deutschland, Österreich. Wir bleiben in Europa, weiter schaffen wir es nicht. „Schnaps, Cider, Wein, Bier, Branntwein, so muss das Paradies aussehen“, sagt Jörg.

Genauer: Das Paradies des Teufels. Der ist nämlich ein Verführer. Ich habe keine Ahnung von Wein, aber allein die Namen! Piesporter Himmelreich, Kaseler Nieschen, Kröver Nacktarsch oder mein Favorit: Ürziger Würzgarten. Der Wein scheint sich seinen Namen selbst auf die Zunge zu legen. Da beginnt die Verführung bereits im Klang.

taz am wochenende

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Wir reden darüber, dass wir ja auch schon im Weinberg gestanden haben, 2020, als die Coronapandemie volle Fahrt aufnahm, die osteuropäischen Saisonarbeiter zu Hause bleiben mussten und auf den Feldern die Reben zu verrotten drohten. Da kam es ganz gelegen, dass ich in Trier wohne. Wir, also Til, Jörg und ich, bauten an der Mosel Hunderte Meter Zaun, pflanzten auf 10 Hektar Stecklinge, Riesling und Weißburgunder, den alle nur Scheißburgunder nennen, weil er zum einen nur selten gut schmeckt, zum anderen die Pflanze superschnell abbricht. Und jede Pflanze muss tausendmal angefasst werden, bevor sie irgendwann passablen Wein hervorbringt, außerdem macht man sich seinen Rücken kaputt, weil man sich ständig bücken muss. Irgendwann beginnt man sich über die Steillagen zu freuen, die rutscht man einfach runter, dann ist zwar der Hintern dreckig, aber dem Rücken geht’s gut.

Mit unserem Fachwissen schleichen wir uns, ganz ohne es zu wollen, in die Herzen der Winzer auf der Weinmesse und haben recht schnell alles probiert, was es zu probieren gibt. Aber was soll man dazu schon sagen? Wein, Wein, Wein, Kippe, Kippe, Kippe. Nach den ersten 20 Probierportiönchen ist man nicht nur froh, dass die Portionen wirklich klein sind, man schmeckt auch nicht mehr, was man schmecken soll.

Alles über 50 Franken ist nur noch Prestige

Hamza, der in der Schweizer Gastronomie arbeitet

Außer man macht es wie meine Freunde Hamza und Patrick. Das sind zwei Hornochsen, die vor 14 oder 15 Jahren ihre Ausbildung in der Gastronomie gemacht haben und damals das Leben noch nicht so genau nahmen. Die Weine, die sie kredenzen sollten, konnte man ihnen nicht anvertrauen, weil sie die auch gerne mal selbst getrunken haben. Und dann legten sie sich in die Hotelbetten, die sie machen sollten, um zu pennen, bis dass ihre Chefin sie ungalant daran erinnerte, dass sie zum Arbeiten dort seien. So zumindest die Legende.

Mittlerweile ist der Beruf der beiden aber obszön solide geworden. Die spucken die Weine wieder aus. „Die Nase ist geil“, sagt Patrick, der seinen Zinken meterweit ins Glas reinschiebt, um mit seinem linken Nasenloch daran zu riechen. „Aber mit der trinkt man leider nicht“, erwidert Jörg zum Muscat Ottonel. Der riecht geil, im ersten Moment schmeckt er auch noch gut, aber nach einer Millisekunde ist der ganze Zauber wieder dahin.

Am enttäuschendsten sind die Weine, die sich Großes Gewächs nennen. Ich wiederhole es gerne noch mal: Ich habe keine Ahnung von Wein oder kulinarisch wertvollen Ergüssen, von Parker-Punkten, dem Gault Millaut oder Michelinsternen – aber wieso schmecken diese Großen Gewächse denn alle nach einem Lederlappen?

Ich muss wieder an Aurelie denken und die Bischöflichen Weingüter, die feine Süße in den Spätlesen und die knackige Säure im Moselriesling. Soll man deswegen jetzt den Ablasshandel loben, weil der der Kirche so schöne Berge und gute Lagen beschert hat? Oder steckt in der Religion doch mehr? Alkohol wird ja auch als Sprit bezeichnet. Und Sprit ist nur ein „i“ von Spirit entfernt. Ist Alkohol die Brücke zum Großen Geist, die Brücke zum Himmel? Jesus sagte schon: „Selig sind die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ „Das Piesporter Himmelreich“, ergänzt Til. Wir machen einen Abstecher nach Osteuropa, trinken Weine aus Ungarn, Schnaps aus Österreich. Wir sind glücklich.

Patrick steht auf das gute Zeug, irgendwie hat er da einen Riecher. Zielsicher greift er immer zum teuersten Wein, selbst wenn kein Preis dransteht. Wir stehen am österreichischen Weingut Krispel. „Einmal Sauvignon Blanc, alte Rebe bitte“, höre ich Patrick sagen. Der Preis für eine Flasche: 34 Euro. Das ist günstig. „Cle“, sagt er immer zu mir, „wenn die Leute etwas teuer verkaufen, dann wissen die in der Regel auch, wieso.“ „Papperlapapp“, grätscht Hamza bei solchen Gesprächen dazwischen. Er arbeitet in der Schweiz. „Alles über 50 Franken ist nur noch Prestige.“ Der Sauvignon Blanc, alte Rebe, schmeckt jedenfalls ganz in Ordnung.

Wir sehen, dass es einen Händler gibt, der Weine von Egon Müller haben soll. Den Namen haben wir schon gehört, seine Weinberge schon bewundert. Denn sie liegen auch an der Mosel und sind umzäunt von Rosenbüschen mit satten Farben. Das hat allerdings nichts mit Ästhetik zu tun. Rosen werden schlicht und einfach früher von schädlichen Pilzen heimgesucht als die Weinrebe. Und wenn der Winzer sieht, dass die Rosen befallen sind, kann er sich rechtzeitig um die Probleme kümmern.

Nach vollbrachter Weinmessentour Foto: Clemens Sarholz

Die Pflege des Weinbergs hat einen besonderen Grund: Der Wein wird im Berg gemacht, nicht im Keller. Da kann man zwar mit Chemie und allerhand Tricks noch das ein oder andere rausholen, aber die große Kunst ist das nicht. Egon Müller jedenfalls, der verkauft seine 375 Milliliter Trockenbeerenauslese gerne mal für mehrere Tausend Euro auf Weinauktionen. Dafür werden die Rosinen schon im Weinberg rausgepickt.

Vor uns steht ein glattgeleckter Typ. Er mustert uns und will uns von Egon Müller nichts geben. Ein paar Besoffene, denkt er, die das teure Zeug für umme abgreifen wollen. Stimmt ja auch. Als wir dann vom Wiltinger Scharzhofberg erzählen, so heißt die Lage seiner teuersten Tropfen, und von den Rosen um den Berg, und unsere kleine Tour durch seinen After hinter uns gebracht haben, bringt uns der Geleckte doch ein Schlückchen. Keinen Egon Müller. Sondern einen 2019er Torres Varieteat Recuperade No. 23., 75 Euro. Und dieser Wein, dem ein guter Ruf vorauseilt, die Farbe blassgelb wie dünner Kamillentee, der Geruch erdig mit einem Hauch Honig – schmeckt, was soll ich sagen, nach Leder.

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