Erinnerungspolitik in Hannover: Koloniales Unrecht anerkennen

SPD und Grüne in Hannover wollen die koloniale Geschichte der Stadt mithilfe eines Beirats aufarbeiten. Hamburgs Pendant wird kritisiert.

Auschnitt aus einer Ausstellung zu Hannovers kolonialer Geschichte, im Vordergrund sind Kisten und Fässer zu sehen, im Hintergrund Bilder von Schiffen

Koloniale Ausbeutung fand nicht nur ökonomisch statt: Hier eine Ausstellung in Hannover Foto: Michael Matthey/dpa

HAMBURG taz | Die rot-grüne Mehrheitskoalition im Rat der Stadt Hannover will einen Beirat zur „Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzeptes“ berufen. Einen entsprechenden Antrag hat sie vergangene Woche eingereicht. Auch in Hamburg gibt es bereits Erfahrungen mit einem solchen Beirat.

„Hannover hat aufgrund der langjährigen Personalunion mit Großbritannien eine doppelte Kolonialgeschichte“ heißt es in dem Antrag. Zwischen 1714 und 1837 war der König von Hannover aufgrund einer Thronfolgeregelung auch König von Großbritannien – das wie später das Deutsche Reich viele Kolonien hatte – gewesen.

Die Rolle Hannovers und seine „historische Verantwortung im Zeitalter des deutschen, britischen und europäischen Kolonialismus und Imperialismus“ soll mit der Entwicklung eines Erinnerungskonzepts anerkannt werden. Dafür möchten SPD und Grüne einen Beirat einrichten.

In Hannover gibt es bereits seit Jahren Auseinandersetzungen um die Umbenennung von Straßen und Plätzen, wie etwa zur Walderseestraße und zum 1988 zum „Mahnmal gegen den Kolonialismus“ umgestalteten Carl-Peters-Denkmal. Alfred von Waldersee war um 1900 von Hannover aus nach China entsandt worden, um die dortige Boxer­bewegung niederzuschlagen, die sich gegen den europäischen Imperialismus zur Wehr setzte. Carl Peters war ein Hannoveraner Kolonialist, der wegen seines brutalen Vorgehens gegenüber der lokalen Bevölkerung im heutigen Tansania bekannt wurde.

Für Liam Harrold, der für die Grünen in der Ratsversammlung sitzt, soll sich der Beirat allerdings nicht nur um Straßenumbenennungen kümmern. Für ihn ist es wichtig, Ak­teu­r*in­nen aus der Stadtgesellschaft miteinzubeziehen, rassistische Strukturen abzubauen und einen Perspektivwechsel auszulösen: „Bisher ist das Thema viel von einer weißen Mehrheitsgesellschaft her thematisiert worden“, sagt Harrold. Laut dem Antrag soll der Beirat ein „dekolonialisierendes Erinnerungskonzept“ ausarbeiten und Handlungsempfehlungen für die Stadt benennen.

Ratsfraktionen von SPD und Grünen

„Hannover hat eine doppelte Kolonialgeschichte“

Daniel Kalifa, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Generation Postmigration“ fordert, dass der Beirat multiperspektivisch zusammengesetzt ist und „Expert*innen aus der afrodiasporischen Community dabei sind“, die auf konzeptioneller Ebene mitgestalten sollen. Der Verein setzt sich dafür ein, dass postmigrantische Perspektiven strukturell öffentlich präsent sind. Zudem ist Kalifa wichtig, dass der Beirat mit genug Ressourcen ausgestattet sei und „die Power“ habe, „Sachen umzusetzen“.

In Hamburg gibt es einen vergleichbaren Beirat seit 2019. Dem vorausgegangen war ein runder Tisch, an dem sich sowohl Ak­ti­vis­t*in­nen als auch Wis­sen­schaft­ler*innen und Ver­tre­te­r*in­nen von Institutionen versammelt hatten. Ulrich Hentschel, ein Teilnehmer des runden Tisches, sieht den Hamburger Beirat skeptisch. Der pensionierte Pastor engagiert sich schon seit Jahren erinnerungspolitisch.

Seiner Meinung nach hat der Beirat die Arbeit des runden Tisches und der zivilgesellschaftlich Engagierten ausgebremst. Zudem kritisiert er die Intransparenz des Beirats: „Der Beirat wurde durch den Kultursenator eingesetzt und hat sich verpflichten lassen, öffentlich nichts zu sagen.“ Es gebe keine Protokolle der Beiratssitzungen, die öffentlich einsehbar seien.

Auch Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ sieht beim Beirat ein „Transparenzproblem“. Das liege laut Zimmerer vor allem daran, dass „nie genau geklärt wurde, was für ein Beirat das sein soll“. Wie der Beirat arbeitet, hätte seiner Meinung nach vom runden Tisch bestimmt werden müssen. Wenn der Beirat sich äußert, müsse das öffentlich werden und der Senator oder die Behörde müsse dazu öffentlich Stellung nehmen, findet Zimmerer.

Debatte um Öffentlichkeit

Für den Wissenschaftler ist es allerdings wichtig, dass es den Beirat gibt. „Dekolonialisierung muss zwei Pfeiler haben“, sagt er, „einerseits die wissenschaftliche Forschung und Aufarbeitung und andererseits die Perspektive der Betroffenen“. Für den Hannoveraner Beirat hat Zimmerer zwei Empfehlungen: Einerseits brauche der Beirat ein eigenes Budget, zum anderen müsse geklärt werden, welches Initiativrecht der Beirat haben soll.

Enno Isermann, Sprecher der Hamburger Kulturbehörde, erklärt, dass sich der Beirat selbst eine ­Geschäftsordnung gegeben habe, „in der über die Beratungen selber Vertraulichkeit vereinbart wurde – auch damit dort eine offene Debatte möglich ist“. Darüber hinaus sei „selbstverständlich jeder und jede frei, sich zu äußern“. Die Sitzungen würden protokolliert. Und: „In den deutlich größeren Sitzungen des runden Tisches wird auch über die Arbeit berichtet“, sagt Isermann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.