Erinnerungskultur in Prenzlauer Berg: Es ist nur ein Denkmal unter vielen
Der Senat will das Ernst-Thälmann-Denkmal sanieren. Das ist spektakulär, aber nicht verwunderlich. Denn es hat auch nach der Wende nie aufgehört, ein Denkmal zu sein
Vierzehn Meter hoch, fünfzehn Meter breit, fünfzig Tonnen schwer: Das Ernst-Thälmann-Denkmal in Prenzlauer Berg, das 1981 bis 1986 vom sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel geschaffen wurde und laut DDR-Museum die gesamte Jahresproduktion am Bronze in der DDR verschlang – es ist gerettet. „Ab 2020 sollen der Granitsockel und die Bronzebüste saniert werden“, sagte Anja Scholtyssek, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Kultur, der taz. „Wir müssen handeln, damit es uns nicht auf die Füße fällt.“
Laut Landesdenkmalamt wird das zwischen 100.000 und 150.000 Euro kosten. Die Stahlträger im Inneren der Büste müssen vom Rost befreit werden, Risse und Dreck beseitigt. Politisch, heißt es nun in den Medien, sei lange um das Denkmal am S-Bahnhof Greifswalder Straße gestritten worden. Jetzt komme die Wende.
Wer sich etwas genauer mit dem Sturz politischer Denkmäler der DDR nach 1989 befasst, wird schnell darauf kommen, dass die gerade beschlossene Sanierung weniger eine Wende denn eine logische Weiterführung darstellt. Denn in kaum einer anderen Stadt haben so viele Denkmäler der DDR den Systemwechsel überlebt wie in Berlin.
Der Pressesprecherin des Landesdenkmalamts, Christina Wolf, fällt am Telefon auf Anhieb nur ein einziger Abriss in Berlin ein: der des Lenin-Denkmals ab dem 8. November 1991 am heutigen Platz der Vereinten Nationen. Der Kopf des Denkmals wurde anschließend im Köpenicker Forst verbuddelt und ist seit nicht allzu langer Zeit wieder in der Ausstellung „Enthüllt!“ in der Zitadelle zu sehen.
Demokratischer Denkmalsturz?
Historiker David Johst, der sich in einer Studie namens „Demokratischer Denkmalsturz?“ mit der Materie befasst hat, weiß darüber hinaus nur von wenigen kleineren verschwundenen Denkmälern, zum Beispiel dem im Volkspark Prenzlauer Berg für die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, auch einfach Kampfgruppen oder Betriebskampfgruppen genannt, eine paramilitärische Organisation von Beschäftigten in Betrieben der DDR – und hier muss man vielleicht wirklich daran zweifeln, ob man sich tatsächlich auf diese Art weiter an diese Kampfgruppen hätte erinnern wollen.
Die Bronzefigur eines Spanienkämpfers aus dem Jahr 1968, das Denkmal des gemeinsamen Kampfes polnischer Soldaten und deutscher Antifaschisten aus dem Jahr 1972, beide im Volkspark Friedrichshain. Der Bauarbeiter in der Karl-Liebknecht-Straße, Marx und Engels, die bald wieder am alten Ort stehen werden, die Marx-Büste am Strausberger Platz: Sie alle sind nicht demontiert worden, ganz zu schweigen von zahlreichen Kunstwerken, die nie Denkmäler waren, aber sichtbar im Dienst des Sozialismus entstanden sind. Man kann sie nach wie vor auf Schritt und Tritt in zahlreichen Parks und auf vielen öffentlichen Plätzen im Ostteil der Stadt studieren.
Anders als in anderen Städten der neuen Bundesländer, in denen vor allem an den zentralen Orten Denkmäler oft klammheimlich und ohne öffentliche Debatte entsorgt worden sind, so Johst zur taz, sei es in Berlin vergleichsweise glimpflich ausgegangen für sozialistische Denkmäler – nur leider gebe es darüber nach wie vor keine genauen Zahlen.
Auch, wenn eine Historiker-Kommission des Berliner Senats Anfang der 1990er Jahre dafür plädierte, das Thälmann-Denkmal abzureißen, war es offenbar nie in akuter Gefahr. Der Westberliner Denkmalschutz, so Wolf vom Landesdenkmalamt, übernahm es von der Denkmalliste der DDR, es war also schon Denkmal, bevor die Plattenbauten hinter dem Denkmal 2014 unter Denkmalschutz gestellt wurden, also die Siedlung Ernst-Thälmann-Park.
An diesem Ort gab es auch einmal Anderes
Natürlich ist die Bronzefigur dadurch nicht sakrosant – immer wieder werden auch Denkmäler abgerissen. Trotzdem ist es keine unangenehme Erfahrung, auf dem Weg zur S-Bahn Thälmann zuzuwinken oder Berlinbesuchern plastisch demonstrieren zu können, dass an diesem Ort in Prenzlauer Berg auch einmal Anderes existierte als schicke Cafés, in denen man überteuerten Milchkaffee zu trinken pflegt.
Und außerdem: Der Thälmann in Prenzlauer Berg hebt ja nicht umsonst die Faust zum Gruß des Rotkämpferbundes. Er war und ist weniger umstritten als Lenin, war nicht nur Folklore in der DDR, sondern auch eine wichtige Figur in der Arbeiterbewegung und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste