Erinnerung an den „Blutsonntag“: Als in „Klein-Moskau“ Schüsse fielen
Am 1. August 1933 ließ die nationalsozialistische Justiz in Altona bei Hamburg ihre ersten Opfer hinrichten: ein Racheakt.
Hamburg taz | Versteckt hinter Büschen und Gestrüpp, im Hof des Amtsgerichts Altona steht ein kleiner Gedenkstein. Was aussieht wie ein Grab, ist ein Andenken an die ersten vier Opfer der nationalsozialistischen Justiz, denen hier vor genau 85 Jahren das Leben genommen wurde. Die vier Kommunisten Bruno Tesch, Walter Möller, Karl Wolff und August Lütgens wurden am 1. August 1933 auf dem „Weiberhof“ des Altonaer Gefängnisses – dem heutigen Amtsgericht Altona – mit dem Handbeil hingerichtet; eine Folge des „Altonaer Blutsonntags“ am 17. Juli 1932.
An jenem Tag planten SS und SA eine Demonstration, bei der etwa 7.000 uniformierte und teils bewaffnete Nazis aus ganz Norddeutschland durch das preußische Altona laufen wollten. Ihre Parole: „Denen in Klein-Moskau zeigen wir es“, denn Altona galt damals als „rotes Viertel“, in dem mehrheitlich Kommunisten und Sozialdemokraten lebten. Begleitet und beschützt von der Polizei marschierten sie durch die Stadt.
Trotz aller Bemühungen der Antifaschistischen Aktion in Altona, den Marsch zu verhindern, ließ der Polizeipräsident Otto Eggerstedt, zugleich Reichstagsabgeordneter für die SPD, die Demonstration im Rahmen des NSDAP-Wahlkampfes zu. Die Anwohner rief Eggerstedt dazu auf, an dem Tag die Stadt zu verlassen – und tat dies auch selbst. Eggerstedt starb ein Jahr später im für „Schutzhäftlinge“ eingerichteten KZ Estherwegen.
Gegen Mittag zogen die Nazis dann mit antisemitischem Gesang und faschistischen Parolen durch Altona. Sie schlugen Anwohner zusammen, bis irgendwann Schüsse fielen – zwei SA-Männer wurden tödlich verwundet. Der Polizei diente der Vorfall zum Anlass, ihrerseits das Feuer zu eröffnen und willkürlich auf vermeintliche Heckenschützen auf den Dächern zu schießen. 16 Anwohner starben, 68 wurden verletzt, insgesamt 5.000 Projektile wurden abgefeuert.
Wer hat angefangen ?
Jahrelang waren Historiker sich einig: Die Kommunisten schossen zuerst. Sie töteten die SA-Männer Heinrich Koch und Peter Büddig – und eröffneten damit den blutigen Sonntag. Bis heute wird diese Version in konservativen Medien wiederholt. Dank des Résistancekämpfers Léon Schirmann, der 1992 die Akten des Altonaer Blutsonntags neu auswertete, weiß man inzwischen, dass die tödlichen Kugeln vielmehr aus Polizeipistolen gekommen waren. Dafür, dass protestierende Anwohner schossen, gab es nie einen Beweis.
Damals jedoch wurden Lügen und bezahlte Falschaussagen in die Akten aufgenommen und die vier Kommunisten Tesch, Möller, Wolff und Lütgens kamen im Herbst 1932 in Untersuchungshaft. Nach einiger Zeit wurde das Verfahren eingestellt – und wieder aufgenommen, kurz nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Am 4. Juni 1933 wurden die vier Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Mordes zum Tode verurteilt. Vorsitzender der Verhandlung war Johannes Martensen Block, den später, nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ sowjetischen Kräfte verhafteten und selbst zum Tode verurteilten.
Der Altonaer Blutsonntag hatte für die NSDAP großen politischen Nutzen: Altona war damals ein Teil von Preußen, und die Ereignisse vom 17. Juli waren ein Vorwand für den „Preußenschlag“: der Absetzung der letzten sozialdemokratischen Landesregierung im Deutschen Reich durch Reichspräsident Paul von Hindenburg – der Anfang vom Ende der Weimarer Republik.
Die SPD nahm diese Absetzung, gerechtfertigt unter Hinweis auf angebliche Unfähigkeit und einen Kontrollverlust der Regierenden, passiv hin; Aufrufen etwa zu Streiks begegnete sie mit Ablehnung. Die Hoffnung der Sozialdemokraten richtet sich auf die Wahlen im November 1932– bei denen dann die NSDAP stärkste Kraft wurde.
Die Vier aus Altona
August Lütgens hatte bereits für die Novemberrevolution gekämpft, war Teil des Kieler Matrosenaufstandes gewesen. „Wenn ihr größer seid und die Weltgeschichte studiert habt“, schrieb er am Tag vor seiner Hinrichtung an seine Kinder, „dann werdet ihr begreifen, was euer Papa war, warum er kämpfte und starb, auch werdet ihr begreifen, warum euer Papa so und nicht anders handeln konnte, nun lebt wohl und werdet Kämpfer.“
Bruno Tesch war der Jüngste der Vier: Mit gerade mal 20 Jahren wurde er hingerichtet. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine von Verfolgung bedrohte Frau mit ihren Kindern in einem Hof in Sicherheit gebracht, wo er dann festgenommen wurde.
Walter Möller war Mitglied der Eppendorfer „Antifaschistischen Aktion“. Am Tag des Altonaer Blutsonntags unterstütze er Arbeiter bei dem Versuch, den Aufmarsch der Nazis zu verhindern. Er wurde zusammen mit Karl Wolff festgenommen und verurteilt – fußend auf den Aussagen zweier SA-Männer.
Der Schumachermeister Wolff schließlich schrieb kurz vor seiner Hinrichtung an einen Freund: „Ich schreibe dir nochmals, dass ich unschuldig bin und hoffe, dass meine Unschuld noch an den Tag kommt.“
Tesch, Möller, Wolff und Lütgens wurden erst 1992, als Folge von Léon Schirmanns Recherche, als Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus anerkannt – und ihre Todesurteile aufgehoben. Die Verurteilungen anderer Antifaschisten, die in Zusammenhang mit dem Blutsonntag zu Gefängnisstrafen und teilweise später zum Tod verurteilt wurden, sind bis heute gültig.
Wer heute aufmerksam durch das seit 1937 zu Hamburg gehörende Altona läuft, findet vielleicht noch das eine oder andere Andenken an Tesch, Möller, Wolff und Lütgens: Im Hinterhof des Amtsgerichts, dem Ort der Hinrichtung, ist ein Gedenkstein für die Vier aufgestellt worden, allen vieren ist ein Stolperstein gewidmet, Straßen und Parks im einst „roten“ Altona tragen ihre Namen.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) hat es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass der damals geleistete Widerstand nicht vergessen wird. Alljährlich am 1. August organisiert sie eine Gedenkveranstaltung für die vier Kommunisten: am Ort des Geschehens, hinter dem Amtsgericht Altona. „Wir sind der Meinung, dass nichts und niemand vergessen werden darf“, sagt Cornelia Kerth, die Bundesvorsitzende der Vereinigung. „ Weder die Opfer noch die Täter und schon gar nicht die, die Widerstand geleistet haben.“
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