Erinnerung an Hanau-Anschlag: Wessen Normalität
Knapp sechs Monate nach dem rassistischen Anschlag von Hanau fordert ein CDU-Politiker, wieder zur Normalität zurückzukehren. Was für ein Hohn!
B ald ist es sechs Monate her, dass ein rechter Attentäter neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordete.
Seit dem rechten Anschlag werden an einem Denkmal der Brüder Grimm mitten auf dem Marktplatz in Hanau Blumen, Kerzen und Bilder der Ermordeten aufgestellt. Das Denkmal hat sich zum Gedenkort entwickelt. Für die Angehörigen, für alle Hanauer:innen.
Den CDU-Landtagsabgeordneten Heiko Kasseckert stört das. In einem Gastkommentar im Hanauer Anzeiger forderte er kürzlich, dass die Stadt zur Normalität zurückkehren müsse. Zur Bewältigung von Trauer gehöre auch das Loslassen, schrieb er. Er wünsche sich, dass das Nationaldenkmal wieder ausschließlich den beiden Brüdern gewidmet werde. Schließlich überstand es „alle Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges“.
Kasseckert schreibt wie jemand, der den starken Wunsch hat, das Andenken einfach wegzuwischen. Wie einen Fleck, der stört, weil er an Unangenehmes erinnert.
Betroffene werden überhört
Die Initiative 19. Februar, die sich kurz nach dem Anschlag von Hanau gründete und aus Angehörigen und Unterstützer:innen besteht, schreibt in einer Pressemitteilung als Reaktion: „Es darf kein Zurück zu einer Normalität geben, in der sich ein solch rassistischer Anschlag ereignen konnte. Es muss sich etwas ändern in dieser Gesellschaft.“
Viel zu viele Jahre wurde von rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt Betroffenen nicht ausreichend zugehört. Sie wurden übergangen, vergessen. Ihre Erfahrungen und Ängste wurden weggewischt, so wie es jetzt auch der CDU-Politiker versucht. Wegwischen, vergessen.
Wer wegwischt, muss sich nicht fragen: Was habe ich (als Politiker) dazu beigetragen, dass so eine Tat passieren konnte? Welche Fehler habe ich begangen?
Ein Davor und ein Danach
Die Forderung nach Normalität ist nicht nur respektlos gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Sie geht auch an der Realität vorbei. Zurück zu welcher Normalität? Zu einer, in der Menschen in Angst vor rechtem Terror leben müssen? Oder zurück zu wessen Normalität? Der von Kasseckert, die eben nicht von rassistischer Gewalt geprägt ist?
Es kann keine Normalität nach Terror geben. Es kann nur ein Vorher geben und ein Nachher.
Das Mindeste, was getan werden muss, ist deshalb, zu erinnern, für immer. Und dann dafür zu sorgen, dass das Nachher sicherer ist als das Vorher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen