Erika Pluhar über Politik, Liebe und Glück: „Jetzt rülpsen sie ins Internet“
Die Schauspielerin war Vamp und Emanze zugleich. Heute ist sie Schriftstellerin und Sängerin. Ein Gespräch mit Apfelstrudel im Wintergarten.
Erika Pluhar wohnt im Wiener Stadtteil Grinzing, oben auf dem Berg, in der Huschkagasse. Ihr Haus ist ganz zugewachsen mit Wein und Rankwerk, vor der Tür parkt ein alter, schwarzer Mercedes. Ein Eichhörnchen huscht über die Fassade, entfleucht über das Dach. Nach dem Läuten öffnet sich ein Fenster im ersten Stock und eine dunkle, vertraut wirkende Stimme fragt: „Seids ihr schon da?“ Im Wintergarten gibt es köstlichen Apfelstrudel, den die slowakische Haushälterin gebacken hat.
taz. am wochenende: Entschuldigen Sie, ich finde dieses Aufnahmezweitgerät nicht, aber dann muss halt das iPhone reichen…
Erika Pluhar: Ich habe gar keines. Ich will nicht von meinen Mails begleitet werden. Ich habe meinen Laptop, da lese ich meine Mails, googel ab und zu. Aber die digitale Revolution, der wir alle unterworfen sind, steigert nicht die Lebensqualität. Mein Haus ist so gelegen, dass ich den Luxus von Stille habe.
Hier sind Sie weit ab vom Wiener Zentrum. „Ein Abend am Naschmarkt“, so heißt ein Album von Ihnen. Wiener Lieder zumeist.
Ja, es gab früher mal ein Theater dort, das Theater am Naschmarkt. Das waren die ersten Konzerte, die ich gemeinsam mit dem Klaus Trabitsch gemacht habe. Die Fotos auf dem Album, da sehen wir beide so jung aus…ich hatte noch lange Haare. Und er ist jetzt auch ein reifer Mann.
Das war 1995.
Ich habe oft das Gefühl, dass es verschiedene Leben sind, die ich gelebt habe. Da komme ich in der Chronologie schon gar nicht mehr richtig mit . . .
Dann versuche ich Ihnen mal zu helfen. Eingeschult wurden Sie, als der Krieg zu Ende war, in Wien.
Ich bin geboren zu Kriegsbeginn, 1939. In einem meiner jüngsten Lieder geht es darum, dass ich mittlerweile rundum Menschen habe, die den Krieg nicht erlebt haben. Man kann noch so grausige Bilder im Fernsehen sehen, es bleibt eine Art Fernsehkrimi. Und anstatt darauf zu achten, den Sozialstaat und die Demokratie möglichst zu bewahren, wird nur gemeckert.
Vor der letzten Präsidentschaftswahl haben Sie sogar einen Brief an Österreich geschrieben…
Ja, der hat genau damit zu tun, dass ich meinen Österreichern sagen will, dass sie nunmehr drei Generationen lang Frieden erlebt haben und darauf aufpassen sollen. Und dass es natürlich Gefährdungen und Probleme gibt, aber dass man sich trotzdem bewusst sein muss, dass Österreich weltweit gesehen eines der bestregierten Länder ist.
Österreich hat im Vergleich zu Deutschland schon eine etwas längere Erfahrung mit dem Rechtspopulismus.
Ja, Haider war vorher. Als meine Tochter starb, war ich eine allen bekannte Haider-Gegnerin…
Ihre Tochter Anna Proksch starb 1999 an einem Asthma-Anfall.
…wir hatten auch ein Haider-Spottlied im Programm seinerzeit. „Shitstorms“ gab es noch nicht, man bekam anonyme Briefe. Und ich habe viele bekommen mit dem Inhalt, dass mir das schon recht geschieht, dass meine Tochter gestorben ist – weil ich gegen den Haider bin. Beim ersten Brief dachte ich noch, die Erde unter mir tut sich auf – aber da wurde mir bereits klar, dass dieses Potenzial von faschistoiden Menschen nie aussterben wird. Und wenn man das jetzt noch ankurbelt? Was mit dem Trampel passiert…
Trampel?
Trump. Als der gewählt wurde, habe ich gedacht: Wie kann man denn nur? Und dann habe ich mir gesagt: Erika, der Hitler war mindestens genauso grauslisch. Ein kleines, dürres scheußliches Manderl mit einem Bart, wo du auch sagst, das ist doch eine Witzfigur – und er hat es auch erreicht.
Sie waren früh antifaschistisch gesinnt. Ihr Vater war Nazi, Sie wurden 68erin.
Ich hatte im Gymnasium eine wunderbare Geschichtsprofessorin, die uns alles bis hin zu Schmalfilmen mit den Befreiten aus den KZs gezeigt hat. Da gab es empörte Eltern, auch Nazi-Eltern. Aber 1968, da muss ich gestehen, habe ich mich nicht sehr beteiligt, da war ich beschäftigt mit einer schwierigen Ehe…
…mit dem Künstler André Heller…
Die Person: Geboren 1939 in Wien. Tochter Anna verstarb 1999. Sie adoptierte ihren Enkel Ignaz. Geschieden von Udo Proksch, André Heller.
Das Werk: 40 Jahre Wiener Burgtheater. Über 30 Bücher („Die öffentliche Frau“), über 30 Alben („So oder so ist das Leben“), mehr als 40 Filme („Bel Ami“).
. . . mit dem auch. Und mit Kind und Beruf. Ein politisch bewusster Mensch wurde ich erst später, als ich durch António de Almeida die Revolution in Portugal kennengelernt habe.
Die Nelkenrevolution, 1974.
Da habe ich dann eine Weile geglaubt, dass ich die Welt tatsächlich verändern kann, wenn ich etwas sage oder ein Lied singe.
Haben Sie denn Herrn Kurz gerade etwas zu sagen, Ihrem Außenminister? Der Bürgermeister von Lampedusa hat ihn gerade als „Neonazi“ bezeichnet.
Da schäme ich mich natürlich. Ich habe einmal versucht, zusammen mit meinem Enkelsohn mit ihm über die Situation in der Westsahara zu sprechen – Ignaz ist adoptiert und stammt ursprünglich von dort. Herr Kurz war sehr höflich – hatte aber überhaupt keine Ahnung von den Zusammenhängen. Und das als Außenminister. Nach dem letzten Waffenstillstand haben die Marokkaner eine 2.600 Kilometer lange Mauer gebaut, von Militär bewacht, vermint.
Ihr Sohn Ignaz, Sie haben ihn nach dem Tod ihrer Tochter adoptiert, ist nun auch Schauspieler?
Er ist jetzt mehr mit seinem Start-up beschäftigt, da geht es um Indoor-Farming. Aber ach, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich schon so lange keine Schauspielerin mehr bin.
Das sagt die Königin des Burgtheaters, der Star aus Film und Fernsehen!
Ich bin so glücklich, wenn ich jetzt in der Saure-Gurken-Zeit den Fernseher anschalte und es kommen lauter so alte Filme, Herzkino, oder Rosamunde Pilcher – ich hab' nie so eine Scheiße gemacht. Ich muss mich also nie schämen. Wenn ich da an Kolleginnen denke, was die so alles gemacht haben…es wird alles wiederholt! Ich habe nie Werbung gemacht, ich habe das immer so verachtet – der Herr Clooney wird nun immer Mr. Nespresso sein, da kann er tun, was er will.
Es überblendet alles.
Ja, und auch Frau Berben ist eine wunderbare Schauspielerin, warum muss sie bei einer Creme jung bleiben und aufs Motorrad sich schwingen – das sind ja auch Menschen, die nicht verarmen, wenn sie es nicht tun.
Aber Sie schauen gerne fern?
Viel!
Wie finden Sie „Vorstadtweiber“, die österreichische Serie.
Grauenvoll. Ich mag diese Art, das Wienerische zu produzieren, nicht. Als noch der Charlie Sheen bei „Two and a half Men“ war, das mochte ich zum Teil sehr. So miserabel alle ja auch – aber ohne zu denunzieren. Und die Vorstadtweiber, die denunzieren. Da sind einfach lauter Arschlöcher und werden auch als Arschlöcher gezeigt. Ich bin auch sehr froh, dass ich aus der heutigen Theaterlandschaft zum für mich genau richtigen Zeitpunkt ausgestiegen bin.
Als Claus Peymann zum Burgtheater kam.
Vierzig Jahre lange habe ich am Burgtheater gespielt, und mein Credo war, dass Schauspielen nichts mit Exhibitionismus zu tun hat: Nackt sein, schreien, brüllen – davon lebt jetzt alles. Das sind jetzt alles eher Performances. Jetzt hat ja das Burgtheater den neuen Direktor, wie heißt er, ein Kärntner Slowene…
Martin Kušej.
Typisch, dass mir der Name nicht einfällt. Das Stück „Hexenjagd“, wo es ja darum geht, dass man Frauen, die klug sind, verbrennen möchte – und zu Beginn laufen dort nun nackte Frauen masturbierend über die Bühne.
Sie schreiben längst lieber. Unter anderem auch Tagebuch.
Es gibt eine Verfügung, dass das erst lange nach meinem Tod veröffentlicht werden darf. Für mich ist dieses tägliche Aufschreiben ein Dialog, mit wem, weiß ich nicht genau, letztlich mit mir selbst.
Wie war der gestrige Sonntag?
Ich war mittags mit Freunden auf dem Tulbingerkogel, das ist ein Restaurant außerhalb von Wien oben auf dem Berg – und man hat wirklich einen wunderbaren Blick von dort. Wir sind im Freien gesessen und es war ein herrlicher Sommertag, noch bevor der Regen kam. Und ich habe sehr gut gegessen: Einen Fisch, und vorher eine Suppe – und zuletzt einen Marillenknödel. Ich habe einen gelben Muskateller getrunken, das war sehr schön. Am Abend kamen die Wolken, dann kam der Regen. Als ich dann ins Bett gegangen bin, hat noch immer der Regen gerauscht, so, wie ich es mag.
So wie jetzt.
Ja, so wie jetzt.
Gehen wir noch einmal ins Gestern. „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ von 1978, Marlene Dietrichs letzter Film, David Bowie spielt mit. Und Sie.
Ja, da werde ich so oft angesprochen – wie war er denn, der David Bowie…
Und, wie war er?
Ein ganz höflicher, netter junger Mann. Ein recht guter Schauspieler. Aber da hatte ich nur ein oder zwei Drehtage, ich kann mich kaum noch erinnern. Da waren zwei Hunde…
Es war ein Flop auf hohem Niveau. Curd Jürgens war dabei, Maria Schell, Sydne Rome, Kim Novak . . .
Ja, aber die habe ich natürlich alle nicht gesehen. Eine Zeit lang hieß es ja: Hollywood ruft nach der Pluhar. Aber ich mochte das nie, drehen in einer fremden Sprache. Bei dem Gigolo hat die Baumbauer gesagt: „Dös machn’s“, und dann habe ich das gemacht.
Erna Baumbauer, die „Königin von München“.
Meine Agentin. Maximilian Schell hat sie ganz berühmt gemacht, Bruno Ganz. Zu mir hat sie mal gesagt: „Wissen’s was, i mog die Weiber ned, i mog lieber die Männer.“ Dann hat sie aber „Bel Ami“ gesehen…
Helmut Käutner, 1968 – Ihr großer Durchbruch.
…ein Zweiteiler, und dann hat sie mich gleich angerufen und gesagt: „Sie nehme ich.“ Wir waren wirklich gut befreundet.
Sie können gut mit Frauen?
Ja, aber ich hatte auch Frauen in meinem Leben, die haben mich unglaublich nicht gemocht.
Sigrid Löffler zum Beispiel, die Literaturkritikerin, hat Sie unglaublich verrissen.
Auch im Fernsehen haben sie mich viele Sachen nicht machen lassen. Das waren immer welche, die nicht ganz so schön waren. Frauen können noch fieser sein als Männer, wenn sie fies sind. Das Verhalten von Sklaven, jahrhundertelange Schulung – und dann wirklich ein großzügiger Mensch zu werden, das schaffen nicht alle Frauen.
Wie finden Sie eigentlich Frau Merkel?
Ich habe sie sehr zu achten gelernt seit der Flüchtlingskrise. Sie ist konsequent, bleibt als Person, wer sie ist.
Sie gilt als rational – ist aber durchaus auch religiös.
Ich bin Agnostikerin. Mir gehen alle Religionen auf die Nerven. Bei Konzerten singe ich jetzt manchmal „Imagine“ von Lennon, „and no Religion, too“. Früher dachte man, das mit dem Christentum ist doch von gestern – und jetzt kommen plötzlich die Religionen von allen Seiten und jeder weiß, was sein Gott ihm sagt. Ja, wo ist er denn?
Viele Menschen werden im Alter religiös.
In meinem Alter weiß man, da gibt es lauter „Nie wieder“. Ich bemühe mich, wenn ich nachts in meiner Stille liege, das nicht auszuklammern, sondern zu durchdenken: dass ich sterben werde. Und dann gibt es Menschen, die dann plötzlich Furcht bekommen und religiös werden. Ich versteh’s ja. Ich hätte auch gerne wen oder was, ich kann mich nur dazu nicht überreden.
Wir müssen auch noch über die Liebe im Alter reden.
Also, fangen wir mit der Sexualität an, reden wir über die. Die Liebe bleibt.
Okay.
Ich finde, da muss man selber sehr vorsichtig und sehr dezent mit sich umgehen. Man bleibt natürlich ein Mensch mit Sinnlichkeit. Aber sich dann unbedingt Paarungen zu suchen? Also nein, nein. Ich möchte nicht mehr eine sexuelle Gemeinschaft leben.
Muss man sich dann davon verabschieden?
Martin Reichert, Redakteur der taz.am wochenende, hat „die Pluhar“ in der Berliner Bar jeder Vernunft erlebt.
Rois & Stubenrauch, das Fotografenteam aus Wien, hatte noch nie das Vergnügen.
Man kann gemeinsam alt werden – aber das war mir nicht gegeben.
Ich habe Zitate von Ihnen gelesen, die mich erschreckt haben: „Es gibt kein Geborgensein in der Zweisamkeit.“
Ja, so habe ich es erlebt. Aber das klingt ein wenig verallgemeinernd, wenn man es so aus dem Zusammenhang reißt. Ich denke, es fängt damit an, dass man überhaupt eine Weile braucht, um sich selber zu mögen. Also wirklich so zu sich selbst zu stehen, dass man sich Sachen vergibt. Sich auch mag.
Als Ihre Tochter starb, haben sich viele Menschen nicht getraut, auf Sie zuzugehen.
Ich habe in der Zeit viele Freunde verloren, ja.
Wie macht man es richtig?
Der Heller hat das wunderbar gemacht. Kommen, einen in den Arm nehmen. Mit einem weinen. Und nicht sagen: Es wird schon wieder gut. Der Verlust meiner Tochter geht aus meinem Leben nicht weg. Ich schreibe auch täglich den Namen Anna. Das ist auch ein ewiger Name, Anna Anna Anna.
Ein Mantra.
Ja, ein Mantra.
Wann fahren Sie das nächste mal ans Meer?
In der zweiten Septemberhälfte.
Nach Portugal.
Immer an die gleiche Stelle, wo ich ganz schnell am Atlantik bin. Ich habe da so eine Stelle, wo mich die Unendlichkeit anschaut. Ich kenne dort ein kleines Hotel, von dort aus muss man noch ein Stündchen fahren, dann ist man am Atlantik.
Fahren Sie noch selbst?
Nein, immer in Begleitung – obwohl ich eine Porsche-Fahrerin war.
Nein!
Aber ja. Zwei schwarze Porsches hatte ich. Das war so bekannt in der Stadt, dass ich Zettelchen mit Botschaften am Scheibenwischer hatte. Aber als der zweite dann alt war, er hatte auch keinen Katalysator, habe ich beschlossen, überhaupt nicht mehr zu fahren. Die Autos gehen mir auch auf die Nerven – was die jetzt aufführen! Piep hier, Piep dort. Der neue Laptop schlägt mir auch ständig Dinge vor, die ich gar nicht wissen will.
Und Facebook weiß Dinge über Sie, von denen Sie gar nichts ahnen.
Ich betätige mich nicht in den sozialen Medien. Aber es ist mir eh klar, was da passiert. Geh mal in ein Gasthaus und hör zu, was die Leute sagen. Und was sie sonst so herausrülpsen, das rülpsen sie jetzt ins Internet. Also, nein, ich möchte nicht ständig auf so eine Müllhalde schauen.
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