Erica ZingherGrauzone: Selbst im Winter ohne Gas vertrauen sie auf Putin
Mein Onkel kocht jetzt über offenem Feuer, draußen, vor dem Haus, erzählte mir meine Mutter vor einigen Tagen am Telefon. Ganz Transnistrien friert, es herrscht Notstand: Die Heizungen bleiben kalt, es gibt kein Warmwasser, Strom wird rationiert, die Industrie steht still, Schulen sind geschlossen.
Transnistrien, eine Oligarchenrepublik unter dem Einfluss Russlands, gelegen in der Republik Moldau, bekommt seit dem 1. Januar kein Gas mehr aus Russland. Die Ukraine hatte einen Vertrag mit dem russischen Unternehmen Gazprom auslaufen lassen. Die Pipelines, über die Transnistrien und Moldau jahrzehntelang via Ukraine mit russischem Gas versorgt worden waren, bleiben leer.
Die wenigen Menschen, die noch nicht aus der abtrünnigen Separatistenregion Richtung Russland oder EU abgehauen sind, rücken zusammen: In den Wohnungen tragen Familien Winterjacken, auf den Straßen werden Suppenküchen aufgebaut, meine Verwandten bewohnen nun zusammen den Hof meiner verstorbenen Großmutter und kochen eben im Freien.
In Russland, im Osten, ist es halt schlimm. So dachten viele Menschen im Westen schon lange vor dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffskriegs. Der russische Herrscher Wladimir Putin ist eben autoritär, er unterdrückt, erobert. Das nahm der Westen so hin. Fast unbemerkt weitete Putin zur selben Zeit seinen Einflussbereich nach innen und außen immer weiter aus. Schritt für Schritt wurde es so schlimmer. Lena Gorelik formulierte das so ähnlich kürzlich in einem Text in der Süddeutschen Zeitung.
Überquert man den Fluss Dnjestr, der die Republik Moldau und Transnistrien voneinander trennt, ist es, wie in eine andere Welt einzutauchen. Wer nicht auf Regimelinie, wer nicht russlandfreundlich eingestellt ist, traut sich kaum noch öffentlich seine Meinung zu sagen. Die ungefilterten Gedanken erzählt man sich in der eigenen Küche, so kennen es die Menschen schon aus Sowjetzeiten. In Moldau hingegen können die Menschen frei sprechen. Und trotzdem sind auch dort kremltreue Einstellungen weit verbreitet, viele hängen bis heute einer Sowjetnostalgie an. Prorussische Kräfte im Land bedrohen die Demokratie. Wie stark, zeigte die Präsidentschaftswahl 2024, die die proeuropäische Kandidatin Maia Sandu nur durch Stimmen Hunderttausender Moldauer aus dem Ausland gewinnen konnte.
In einem Interview mit der kremltreuen Komsomolskaja Prawda träumte Putins Berater Nikolai Patruschew gerade erst von dem Ende der Ukraine: „Nicht ausgeschlossen, dass die Ukraine im neuen Jahr ganz aufhört zu existieren“, sagte er. Beide Länder, die Ukraine und Moldau, seien durch antirussische Politik in die Krise geraten. Über Moldau fantasierte Patruschew: „Ich schließe nicht aus, dass Chisinaus aggressive antirussische Politik dazu führen wird, dass Moldawien entweder Teil eines anderen Staates wird oder ganz aufhört zu existieren.“
Ohne Strom, frieren im Winter, das kennen die Menschen in der Ukraine. Russland greift seit seiner Invasion die Infrastruktur des Landes an. Mit Stromausfällen sollen die Menschen mürbe gemacht, zum Aufgeben gezwungen werden.
Moldau hat rechtzeitig auf Energieimporte aus Rumänien umgestellt. Auch für Transnistrien gäbe es diese Möglichkeit. Aber Russland verzichtet darauf, zu helfen, lässt die Menschen im Stich. Die haben aber bis heute nicht verstanden, dass sie Russland egal sind. Ein weiteres Mal hat Putin bewiesen, dass es ihm nicht um „den Schutz der russischen Bevölkerung“ geht, wie oft behauptet. Für ihn sind die Menschen Spielbälle, die er kalkuliert einsetzt, um seinen imperialen Wahn auszuleben.
Im Sommer sollen in Moldau Parlamentswahlen stattfinden – die nächste Bewährungsprobe für die Region.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen