piwik no script img

Erforschung der BiodiversitätÖkosysteme unter Glas

In den Versuchskammern des IDiv können Biodiversitätsforscher komplexe Ökosysteme nachbauen und exakt regulieren.

Die Umweltbedingungen in den Versuchskammern lassen sich präzise verändern Foto: imago images/Steffen Schellhorn

Bad Lauchstädt taz | Auf den ersten Blick erscheint Bad Lauchstädt wahrlich nicht wie ein Ort, der einen weltweit einzigartigen Forschungsstandort beherbergt. Die kleine Gemeinde im Süden Sachsen-Anhalts zählt nur etwas mehr als 8.800 Einwohner, die auf ihren historischen Stadtkern, ihr prunkvolles barockes Schloss und ihr renommiertes Goethe-Theater stolz sind. Auf den zweiten Blick ist es aber vielleicht gerade dieser Kontrast, der Bad Lauchstädt ideal für einen solchen Forschungsstandort macht.

Denn verlässt man die Stadt in Richtung Norden, stößt man auf eine der modernsten Anlagen für Biodiversitätsforschung, die es derzeit auf der Welt gibt: In einer ehemaligen Garage für Landwirtschaftsmaschinen betreibt das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hier das iDiv Ecotron.

Die Anlage besteht aus 24 Versuchskammern, den so genannten EcoUnits. Deren Anblick erinnert ein wenig an „Jurassic Park“: Die großen, lichtdurchfluteten Kästen aus Kunststoff, Glas und Metall sind 1,5 Meter breit, 3 Meter hoch und zur Hälfte mit Erde befüllt, stellen allerdings keine Brutkästen für Dinosauriereier dar. Trotzdem steht hier, ebenso wie in Steven Spielbergs Filmklassiker, das Artensterben im Mittelpunkt.

Mitte 2017 wurde das iDiv Ecotron eingeweiht. Anfang dieses Jahres ist der empirische Teil der ersten Pilotstudie zu Ende gegangen. „Das war ein groß angelegtes Projekt – und sehr erfolgreich“, sagt Projektkoordinatorin Anja Schmidt. Ausschlaggebend für die Durchführung waren Zahlen des Entomologischen Vereins Krefeld, die im Oktober 2017 bundesweit für Schlagzeilen sorgten: Die Biomasse von Fluginsekten, hieß es da, sei innerhalb von 27 Jahren um 75 Prozent geschrumpft.

„Wir stellten uns die Frage, welche konkreten Auswirkungen das auf ein Ökosystem hat“, so Schmidt. Also setzte man zahlreiche Wiesenpflanzen in den EcoUnits („Das waren im vergangenen Sommer wohl die einzigen Pflanzen in Europa, denen es gut ging“, so Schmidt im Rückblick auf das Dürrejahr 2018) und fügte unterschiedlich große Insektenpopulationen hinzu.

Insect-Armageddon

Acht Kammern wurden mit einer zuvor festgelegten Menge befüllt, acht weitere mit einem Viertel davon, die übrigen acht blieben leer. In den folgenden Monaten wurden die Tiere regelmäßig ausgetauscht und die Forscher*innen dokumentierten die biologische Entwicklung innerhalb der EcoUnits. Der interne Name des Projekts: „Insect-Armageddon“.

Derzeit werden die Tiere per Hand ausgezählt. Es werde deshalb noch ein bis zwei Jahre dauern, bis die Endergebnisse publiziert werden, sagt Studienleiter Professor Nico Eisenhauer. Er hat sich in einem kleinen Büro im Leipziger Hauptstandort des iDivs eingerichtet, einem modernen Bau, der ebenso wie die Ecounits vorrangig aus Glas und Metall besteht.

Im Gespräch kann Eisenhauer jedoch schon von den ersten Erkenntnissen der Studie berichten: „Es scheint, dass von einer allgemein geringeren Insektenpopulation vor allem pflanzenfressende Insekten profitieren: Wenn wir die Anzahl der Wirbellosen reduzieren, reduzieren wir auch die Arten, die Pflanzenfresser in Schach halten.“ Pflanzenschädlinge können ihrem Handwerk also effektiver nachgehen, benötigen sie doch eine größere Menge an Nahrung als Predatoren, deren Nahrungsquelle energiereicher ist.

Das Konzept eines Ecotrons – einer abgeschlossenen Kammer, in der Ökosysteme manipuliert und untersucht werden können – ist beileibe nicht neu. Die Idee kam bereits Ende der 1950er Jahre auf. Als eines der bekanntesten gilt das Silwood Park Ecotron auf dem Campus des Imperial College in London. Die Forschung dort konzentrierte sich, so Eisenhauer, aber in erster Linie auf Pflanzen. „Das iDiv Ecotron ist weltweit einzigartig, weil es dafür entwickelt wurde, komplexe Gemeinschaften zu manipulieren.“

Umweltfaktoren können reguliert werden

Das herausstechende Merkmal: Während andere Ecotrons in der Regel aus einer einzelnen großen, begehbaren Kammer bestehen, sind es in Bad Lauchstädt 24 separate. Die wurden zur besseren Kommunikation mit Namen und Figuren aus der Film- und Popkultur versehen: „Homer Simpson“, „Millennium Falke“, „Super Mario“. Die Units sind mit zahlreichen über- und unterirdischen Sensoren ausgestattet, Umweltfaktoren wie Beregnung und Lichteinstrahlung können präzise reguliert werden. Mittels Plexiglasplatten lassen sie sich zudem in vier Teilbereiche splitten. Auf diese Weise können gar bis zu 96 unterschiedliche Ökosysteme erschaffen werden.

Das iDiv Ecotron schlage damit die Brücke zwischen Feld- und Laborversuchen, so Schmidt. Im Freien ließen sich Versuchsabläufe nahezu kaum replizieren, im Labor könne in der Regel nur ein einzelner Faktor untersucht werden. „Bei uns werden die Vorteile beider Ansätze kombiniert.“ Im Falle des „Insect-Armageddon“-Experiments konnten deshalb deutlich validere Ergebnisse als bisher erzielt werden: Zu jeder Insekten-Populationsgröße existierten schließlich sieben Kontrollgruppen.

Mit dem Abschluss des praktischen Teils ihrer Pilotstudie haben die Forscher*innen des iDiv nach eigener Aussage einen großen Schritt bewältigt. Während der vergangenen Monate wurden hier Wartungsarbeiten und kleinere Verbesserungen an den EcoUnits durchgeführt. Nun ziehen wieder Tier-, Pflanzen-, Mikrobiolog*innen, Che­miker*innen und Öko­log*innen verschiedenster Universitäten und Institute ein, um die Auswirkungen des Klimawandels und Insektensterbens zu untersuchen. Die Forschung in diesem Bereich sei – glaubt man den Worten Nico Eisenhauers – essentiell für die Zukunft von Mensch und Natur. Einerseits aus ganz praktischen Gründen wie Luftreinheit und Ackerbau. Andererseits aber auch aus ethischen Gründen: „Wir haben eine moralische Verantwortung, die Vielfalt der Natur zu schützen – oder sie zumindest nicht zu zerstören.“

Dürre und Starkregen

Aktuell stehen deshalb zwei weitere Versuchsanordnungen in den Startlöchern. Das erste – eine Kooperation mit der Universität Jena – läuft unter dem Namen „EcoXtremes“. Ziel ist es, die Auswirkungen von Wetterextremen und Herbivorie auf mikrobielle Gemeinschaften, Wassertransportmechanismen und Nährstoffkreisläufe zu untersuchen. Das Vorhaben: intakte Bodenkerne – so genannte Monolithe – in sechs Ecounits einzubringen, anstatt wie bisher ein wildes Erdgemisch zu nutzen. Auf diesen Monolithen wurden zuvor Buchen angepflanzt. „Dadurch können bereits bestehende Wechselwirkungen in natürlichen Systemen untersucht werden“, so Eisenhauer. Die Kammern werden anschließend mit Raupen des Schwammspinner-Nachtfalters bevölkert. Während eine Hälfte dann ein Leben in gemäßigten Wetterverhältnissen verbringen darf, wird die andere Dürre und Starkregen ausgesetzt.

Das zweite Experiment – genannt „EcoTrack“ – soll Bewegungsmuster von Wirbellosen untersuchen und inwiefern diese von der Baumdiversität eines Ökosystems beeinflusst werden. Laufkäfer, Hundertfüßer, Asseln und andere Arten werden dazu mit winzigen Markern versehen. Sensoren erfassen dann ihre Bewegungen, die am Ende digital ausgewertet werden können. Auch wollen die Forscher*innen dabei erstmals die Temperatur innerhalb einzelner Kammern manipulieren.

„Die Anlage hat enormes Potential“, sagt Nico Eisenhauer. Ausgeschöpft ist es noch lange nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Kein Zweifel, in solchen Kammern kann man prächtig Daten sammeln und für so manche eng begrenzte Fragestellung bieten sie hervorragende Spielplätze der Forschung unter kontrollierten Bedingungen. Allerdings ist der Komplexitätsgrad dieser so-called "Ökosysteme" lächerlich klein im Vergleich zu echten Biotopen. Ein bisschen mehr Bescheidenheit bei der Selbstdarstellung des Projektes wäre also mehr als angebracht.



    Grundsätzlich sollten wir uns fragen: Sollen wir jetzt wertvolle Zeit, Geld, und die immensen dafür nötigen Energieressourcen bereit stellen, um in solchen Laboren Natur zu studieren? Sobald die ersten ernsthaften Paper draußen sind, wird der Run losgehen und auf der ganzen Welt werden Wissenschaftler Mittel für solche High-Tech Abenteuerspielplätze einwerben. Mit mehr als fraglichem Nutzen, im Hinblick auf die vor unserer aller Augen ablaufende Welt-Ökokatastrophe.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Das hier vorgestellte Projekt ist reine Grundlagenforschung und hat als solche eine eigene Berechtigung. Mit der unzweifehaften Notwendigkeit, unser Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten hat das nicht viel zu tun. Aber es ist gut, eine etwas bessere Idee davon zu bekommen, auf was wir uns vorbereiten müssen, wenn, die Insektenmasse weiter schrumpft (was mit unserer starken Agrarlobby wohl kaum auszuschließen ist).



      Das ist genauso wie Klimawandel-Folgenforschung. Die ist genauso wichtig für die Zukunft, auch wenn längst klar ist, was jetzt getan werden muss.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Einfach nur volle Zustimmung! Statt endlich draußen die Zufuhr weiter Gifte zu unterbinden (deren komplexe Wechselwirkung in diesen Containern eh nicht simuliert werden kann), die heute von jeder Baumrinde abgekratzt werden können, geht es hier wieder um Erforschung weiterer Details (Dissertations Vermehrungsprogramm). Wenn, neben der Unterbindung des weiteren Einsatzes von nicht oder schwer abbaubaren synthetischen Stoffen, jede Forscher/In blühende Strukturen in "Dreckecken" gestalten würde.....dann könnten wir abmildern.



      Ich kann diesen Schrei nach Forschung, 57 Jahre nach dem "Stummen Frühling",



      nicht mehr lesen und nicht mehr hören.

      • @Heiner Petersen:

        eute interessiert die Natur



        Da kann ich ihnen nur zustimmen. Die Forschung heute interessiert weder Mensch noch Natur, weder Heilung noch mit der Natur leben.



        Nur Ausbeutung und Profit.



        Herumpfuschen in und an der Natur zerstört die Biologie.