Erfolgreiches Volksbegehren: Hamburger Primarschule in Gefahr
Das Hamburger Volksbegehren gegen die sechsjährige Grundschule erreichte dreimal so viel Stimmen wie nötig. Damit steht das zentrale schwarz-grüne Projekt auf der Kippe.
Die Nachricht kam Mittwoch Morgen übers Radio und schlug wie ein Bombe ein. Das in der Nacht ausgezählte Volksbegehren zum Stopp der sechsjährigen Primarschule hat mit 184.000 dreimal so viel Stimmen erhalten, wie nötig wären, um die nächste Etappe, den Volksentscheid, zu erreichen. Diese neue Abstimmung könnte in den Sommerferien 2010 stattfinden. Erhalten die Reformgegner dann etwa 245.000 Stimmen, ist das von CDU und Grünen geplante Schulprojekt beerdigt.
"Wir haben selber nicht mit so viel Stimmen gerechnet", sagt Walter Scheuerl, der Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen". Allein 37.000 kamen am letzten Tag der dreiwöchigen Sammelfrist herein. Man wolle die "autoritär durchgepeitschte Reform" stoppen und habe dem schwerhörigen Senat "die gelb-rote Karte" gezeigt.
Allerdings war bei diesem Volksbegehren alles anders als bei früheren in der Stadt. Von Anfang an genossen die überwiegend aus den Elbvororten stammenden Initiatoren eine sehr große Medienaufmerksamkeit. Es wurde auf Gala-Dinners Geld gesammelt, es wurden Anzeigen in Hörfunk und Zeitungen geschaltet und es wurden ein Dutzend Studenten angeheuert, die für Geld Unterschriften sammeln gehen. Die Unterstützung fand auch auf subtile Weise statt. So war es den Initiatoren erlaubt, in den großen Hamburger Einkaufzentren Stände aufzubauen. Die Gegeninitiative "Pro Schulreform" durfte dort keine Info-Flyer verteilen.
Doch auch abseits dieser Scharmützel ist das Ergebnis für die Reformbefürworter ernüchternd. Es kommt zu einer starken Belastungsprobe für das schwarz-grüne Bündnis. Kippt die Primarschule, platzt auch die Koalition. Schulsenatorin Christa Goetsch wollte sich erst am Nachmittag äußern. Der CDU-Fraktionschef Frank Schira ließ erklären, die große Unterschriftenzahl sei eine "klare Meinungsäußerung" der Hamburger, die "nicht ignoriert werden darf". Er bot Gespräche mit den Eltern an, um "konsensuale Lösungen in der Schulpolitik zu finden".
Damit nimmt er den Ball auf, den Olaf Scholz, der Chef der in Hamburg oppositionellen SPD, vor einigen Tage in die Runde warf. Nach dem Vorbild Bremens solle Hamburg einen parteiübergreifenden Konsens in der Schulstrukturfrage suchen, "der dann auch zehn Jahre Gültigkeit hat", schlug er vor.
Doch die inhaltlichen Schnittmengen sind begrenzt. Das Volksbegehren führt nur zwei schlichte Punkte auf: Erhalt der Gymnasien ab Klasse 5 und Beibehaltung des Elternwahlrechts. Das gestattet es Eltern, nach Klasse 4 ihr Kind auch ohne Empfehlung der Lehrer aufs Gymnasium zu geben. Genügt es den Anforderung nicht, muss es die Schule nach Klasse 6 verlassen.
Die geplante schwarz-grüne Reform verzichtet auf dieses Elternrecht, führt dafür aber als zweite Säule die Stadtteilschule ein, auf der Kinder auch Abitur machen können. Olaf Scholz nannte die Abschaffung des Elternwahlrechts dennoch "töricht".
Denkbar wäre, im Anschluss an die Primarschule doch eine Art Gymnasium auf Probe für ein, zwei Jahre zu gestatten. Die Fachleute in der Schulbehörde lehnen das ab. Es sei für die Schüler nicht gut, wenn das Lernen in dieser Zeit wieder unter Selektionsdruck stattfände. Auch wäre diese Rechnung ohne die Volksinitiative gemacht. "Wir sind nicht dafür angetreten, zu sagen, Goetsch bekommt die Primarschule, dafür bekommen die Hamburger das Elternwahlrecht", sagt Walter Scheuerl zur taz. "Wir haben nicht von 184.500 Hamburgern das Mandat, das eine gegen das andere auszuspielen". Notfalls wage man eben den Volksentscheid.
Auch die Grünen stellen sich darauf ein. Die Primarschulgegner hätten ein Tor geschossen, aber noch nicht das Spiel gewonnen, heißt es. Denn Befürworter konnten bisher ja noch nicht abstimmen, sind aber bei einem Volksentscheid dazu aufgerufen. "Wir glauben, dass wir eine große Mehrheit davon überzeugen können, dass unsere Bildungsoffensive eine gute und richtige Sache ist", erklärte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. Und die Eltern von Pro Schulreform rechnen vor, dass 85,3 Prozent der Hamburger nicht gegen die Reform unterschrieben haben.
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