Erfolgreich nach der Flucht: „Sprache ist die Basis für alles“
Zakariya Fustok flüchtete 2014 aus Syrien. Im Juni schloss er seine Ausbildung bei der BVG ab. Und wurde übernommen.
taz: Herr Fustok, Sie sind diesen Juni mit Ihrer Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) fertig geworden. Sind Sie stolz?
Zakariya Fustok: Auf jeden Fall! Ich bin vor allem stolz darauf, dass ich die Ausbildung vorzeitig beendet habe, sechs Monate früher als vorgesehen. Mir wurde erzählt, dass manche Leute die Ausbildung um sechs Monate verkürzen, aber ich dachte: Das schaffe ich nie. Ja, jetzt habe ich es doch geschafft, auch mit guten Noten, Gott sei Dank.
Sie sind aus Aleppo in Syrien geflüchtet. Wie haben Sie die ersten Wochen und Monate in Deutschland erlebt?
Die ersten zwei, drei Monate waren sehr schwierig, weil ich die Sprache noch nicht sprechen konnte – kein Wort, keine Zahl, nichts. Es war schwierig, mit den Leuten zu kommunizieren. Nicht jeder hier spricht Englisch und mein Englisch war auch nicht so gut. In der Schule hatte ich Französischunterricht. Manchmal habe ich mich gefühlt wie ein Tauber auf einer Hochzeitsfeier, der nichts hört, während um ihn herum alle tanzen. Es war auch wirklich schwierig, einen Job zu finden. Ich wusste nicht, wie ich das ohne die Sprache schaffen sollte.
Zakariya Fustok wurde 1989 in Aleppo in Syrien geboren. Er ist gelernter Dieselmechaniker. Als der Einzug in die syrische Armee drohte, floh er Ende 2015 nach Berlin. Im März 2017 begann Fustok die Einstiegsqualifizierung bei den Berliner Verkehrsbetrieben, im September desselben Jahres wurde er in die Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik übernommen. Vor drei Monaten schloss er die Ausbildung aufgrund sehr guter Leistungen vorzeitig ab und ist nun bei der BVG angestellt. Fustok ist verheiratet und hat eine Tochter. (ask)
Bei der BVG haben Sie dann Fuß fassen können, zunächst über eine sechsmonatige sogenannte Einstiegsqualifizierung. Wie kam es dazu?
Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich beim BAMF gesagt, dass ich so schnell wie möglich arbeiten möchte. Dann haben sie mich zur Agentur für Arbeit geschickt, die haben alle meine Daten aufgenommen und mir ein paar Monate später eine Einladung zu einem Termin geschickt. Dort hat mir mein zuständiger Betreuer einige Jobangebote gezeigt, im Anschluss hatte ich mehrere Vorstellungsgespräche. Am Ende bin ich bei der BVG gelandet. Das war im März 2017. Da konnte ich auch schon etwas Deutsch, denn ich hatte bis dahin drei Deutschkurse gemacht, bis Level B1.
Wie sah Ihr Alltag während der EQ-Maßnahme aus?
Von 7 Uhr morgens bis 15 Uhr nachmittags waren wir im Ausbildungszentrum der BVG. Von 15 bis 16.30 Uhr hatten wir dann immer einen Deutschkurs. Ein Teil der EQ-Maßnahme war im Bereich der Industriemechanik, ein Teil im Bereich Elektronik und zwei Wochen waren wir im Bereich Gleisbau. Alle zwei Wochen hatten wir eine Schulwoche, auch da haben wir meistens Elektronik gemacht. Was ich in der EQ-Maßnahme gelernt habe, war später sehr wichtig für die Ausbildung. Man frischt auch das Wissen aus der Schule auf, zum Beispiel in Mathematik und Physik.
Im September 2017 wurden Sie in die Ausbildung übernommen. Warum haben Sie sich ausgerechnet für den Ausbildungsgang Elektroniker für Betriebstechnik entschieden?
Laut der Bundesagentur für Arbeit absolvierten in Berlin zum Stichtag 31. 12. 2019 1.779 Personen aus acht sogenannten Nichteuropäischen Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) in Berlin eine Berufsausbildung. Mehr als ein Drittel der Ausbildungsstellen lag im Bereich der medizinischen Gesundheitsberufe, in der Pflege und Medizintechnik sowie im Bereich Mechatronik, Energie- und Elektroberufe. Insgesamt gab es zu dem Stichtag 49.489 Auszubildende in Berlin. (ask)
Weil dieser Bereich erweiterbar ist. Man kann danach einen Meister machen, eine weitere Ausbildung zum Techniker oder studieren. Ich wollte mich weiterbilden können, das will ich immer noch. Am liebsten als Techniker in einem Entwicklungsbereich, wenn ich die Chance bekäme. Wenn nicht, dann würde ich studieren, zum Beispiel Elektrotechnik.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um in Deutschland Fuß zu fassen?
Auf jeden Fall die Sprache, sie ist das wichtigste. Ohne Sprache kann man nichts machen. Weder eine Ausbildung noch arbeiten. Und die Arbeit ist auch sehr wichtig, um anzukommen. Aber zunächst Sprache, das ist die Basis für alles. Dafür muss man mit Leuten reden. Wenn man zu Anfang keine deutschen Freunde hat, sollte man mit jemandem sprechen, der die Sprache auch lernen will. Das haben wir in den Sprachkursen auch so gemacht. Wir waren ja alle arabische Muttersprachler, aber haben in den Pausen versucht, deutsch miteinander zu reden. Es gab in der Ausbildung sehr fachspezifische Wörter – zum Beispiel Aderendhülsenquetschzange (lacht).
Mittlerweile sprechen Sie perfekt Deutsch. Wie ist es Ihnen privat ergangen?
Ich habe eine kleine Tochter, sie ist im September 2019 geboren. Meine Frau habe ich hier in Deutschland kennengelernt. Sie hat mir sehr geholfen und mir Ruhe verschafft, wenn ich zuhause lernen musste, vor allem in den Monaten vor der Prüfung. Sie ist dann mit unserer Tochter für ein paar Stunden rausgegangen. Ich habe hier inzwischen auch einen guten Freundeskreis von 8 oder 9 Leuten, wir kommen von überall her – aus Deutschland, Kanada, England und arabischen Ländern.
Als Sie 2015 in Berlin ankamen, waren Sie allein. Darf ich fragen, was aus Ihrer Familie geworden ist?
Alles gut, das können Sie ruhig fragen. Wir sind fünf Geschwister. Mein Vater ist vor drei Jahren verstorben. Man hat auf der Autobahn auf ihn geschossen, wir wissen bis heute nicht, wer es war. Meine Mutter und meine Geschwister sind nach und nach in die Türkei geflüchtet. In Syrien gelten meine Brüder und ich als Verräter, weil wir vor dem Einzug in die Armee der Regierung geflüchtet sind. Das bedeutet Gefängnis oder Hinrichtung. Mein Bruder ist vor einigen Tagen nach Berlin gekommen mit einem Arbeitsvisum. Meine Mutter ist mit meinen anderen Geschwistern noch immer in der Türkei.
Sie haben trotz dieser Erfahrungen Ihre Ausbildung erfolgreich beendet und wirken so zuversichtlich. Wie schaffen Sie das?
Na ja, man muss irgendwie weitermachen, ob man müde oder depressiv ist oder was auch immer: Man muss nach vorne gucken. Unabhängig von den eigenen Emotionen muss man auch logisch denken. Wenn man nichts tut, passiert eben nichts. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu hängen – und man lernt, mit vielen Dingen umzugehen. Auch, wenn man natürlich nicht vergisst, was hinter einem liegt.
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