Erfolg der Linken in Kolumbien: Keine Revolution, aber Meilenstein
Mit Gustavo Petro könnte Kolumbien dieses Jahr zum ersten Mal einen linken Präsidenten bekommen. Doch im Parlament droht eine Blockade.
E inige Tage ist es nun her, dass die Kolumbianerïnnen einen neuen Kongress wählten und die Präsidentschaftskandidaten der drei aussichtsreichsten Parteienbündnisse bestimmten. Gustavo Petro, der linke Kandidat des „Historischen Pakts“, gewann bei den Wahlen haushoch. Auch in Senat und Repräsentantenhaus hat das linke Bündnis deutlich zugelegt, das Parteienspektrum ist außerdem insgesamt vielfältiger und weiblicher geworden. Kolumbien könnte dieses Jahr also mit Gustavo Petro zum ersten Mal einen linken Präsidenten bekommen. Das ist ein Meilenstein, aber keine Revolution.
Das Wahlergebnis ist in dem konservativen Land ein Riesenschritt, weil soziale und linke Bewegungen traditionell stigmatisiert, im Falle der Partei Unión Patriótica systematisch ausgerottet wurden. Vereinfacht gesagt: In Kolumbien gilt bereits als „links“, was in Deutschland unter „Sozialstaat“ fällt – und „links“ wird von Teilen der Gesellschaft bis heute mit „Guerilla“ gleichgesetzt, die das Land ein halbes Jahrhundert lang traumatisierte.
Im Ergebnis der Wahlen spiegeln sich aber nun die monatelange Proteste wider. Diese begannen im April 2021 und richteten sich gegen die Morde an Aktivistïnnen und demobilisierten Farc-Guerilleros, aber auch verschiedene Formen sozialer Ungerechtigkeiten von Steuer- bis Bildungssystem. Die Coronapandemie hat Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit massiv verstärkt.
Kein Linksruck
Von einem Linksruck zu sprechen, ist jedoch übertrieben. Der Erfolg der Linken ist zum einen auch der Krise der Rechten geschuldet. Präsident Iván Duque sprengt alle Unbeliebtheitsrekorde. Die Politik seiner Regierung ist massiv in der Kritik. Seine Partei, das Centro Democrático, ist gespalten, wie sich an der Kandidatenkür ablesen ließ. Der rechte Uribismus, benannt nach dem Ex-Präsidenten und immer noch mächtigen Übervater der Partei, Álvaro Uribe, ist längst nicht tot. Auch wenn er es jetzt relativieren möchte, um ein breiteres Publikum zu erreichen: Der derzeit zweitaussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, Federico Gutiérrez, ist auch der Kandidat Uribes.
Derzeit läuft die offizielle Nachzählung für Repräsentantenhaus und Senat noch. Bei allen Parteien werden sich noch Verschiebungen ergeben (zumal das schlecht geschulte Personal der Wahlbehörde erwiesenermaßen Fehler beging). Doch schon jetzt steht fest: Selbst wenn der Linke Gustavo Petro am 29. Mai Präsident wird, wird er nicht im Parlament durchregieren können – denn es gibt dort für kein Bündnis eine ausreichende Mehrheit. Er wird dementsprechend auch Abgeordnete aus dem nichtlinken Spektrum überzeugen müssen. Kolumbien droht also eher eine Blockade als eine Revolution.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands