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Erdbeben in SyrienPolitisierte Katastrophe

Gastkommentar von Ibrahim Murad

Assad und Türkei-treue Gruppen in Syrien nutzen das Erdbeben für den Machterhalt. Ihnen sollten international bindende Grenzen gezogen werden.

Kriegsverbrecher wieder auf diplomatischem Parkett: Assad in Oman Foto: sana/ap

M illionen von Syrern und Türken wachten am 6. Februar im Morgengrauen auf und sahen die Verwüstung, die das große Erdbeben mit mehr als 50.000 Toten hinterlassen hatte. In Syrien ist das Ausmaß der Zerstörung für viele durchaus mit der Verwüstung durch den Bürgerkrieg vergleichbar.

Trotz der humanitären Notlage, deren Folgen und Auswirkungen noch jahrelang andauern werden, nutzen sowohl der syrische Diktator Assad als auch die von der Türkei unterstützte syrische Opposition die Katastrophe aus, um von der Tragödie politisch zu profitieren. Assad sucht nach persönlichem und politischem Gewinn, indem er sich als Retter in der Not inszeniert, der versucht, dem ganzen Land zu Hilfe zu eilen. Mit Erfolg: Die USA haben die Sanktionen gegen Syrien nun gelockert, damit Hilfeleistungen überhaupt funktionieren können. Großbritannien und die EU sind diesem Beispiel gefolgt und haben ebenfalls die Sanktionen gelockert, sodass nun sanktionierte Einrichtungen und Personen humanitäre Hilfsgüter erhalten können – für Assad ein Prestigegewinn.

Ibrahim Murad vertrat von 2018 bis 2020 in Berlin die von kurdischen Kräften dominierte „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“, die nicht unter der Herrschaft des Assad-Regimes steht. Er lebt in Deutschland.

Doch das Bild des barmherzigen Samariters hat einen gewaltigen Riss. Wie brutal und skrupellos das Assad-Regime in Wirklichkeit ist, zeigt sich selbst in solch einer Situation. Kurdische Viertel und Dörfer im stark vom Erdbeben getroffenen Aleppo, das unter Kontrolle des Regimes steht, werden von Truppen der syrischen Regierung belagert und blockiert. Gleichzeitig werden Hilfsgüter, die den Erdbebenopfern zur Verfügung gestellt worden sind, von regimetreuen bewaffneten Gruppen geraubt und auf den Märkten den Opfern verkauft.

Auch wirkt es, als böte das Erdbeben eine Gelegenheit für Assad, den Prozess der Normalisierung mit der arabischen Welt zu beschleunigen, insbesondere nachdem viele arabische Staaten die dringende Hilfe direkt mit der syrischen Regierung koordiniert und nach Damaskus geschickt haben. Konkreter wurde es, als Assad mit den Besuchen des ägyptischen Außenministers Sameh Shoukry und des jordanischen Außenministers Ayman Safadi zum ersten Mal seit 2011 wieder hochrangige Diplomaten aus diesen beiden Staaten empfing. Assad selbst besuchte kürzlich in einer offiziellen Staatsvisite den Golfstaat Oman – sein erst zweiter Besuch eines arabischen Landes seit 2011. Die Zeichen stehen also auf Normalisierung der Beziehungen zur arabischen Welt.

In den Jahren des Bürgerkriegs war Assad mit Ausnahme von Russland und des Irans auf der diplomatischen Bühne isoliert. Nun, nach dem Erdbeben, scheint es zumindest in den Beziehungen zur arabischen Welt wieder vorwärtszugehen. Denkbar ist auch, dass der von Russland und dem Iran unterstützte Annäherungsprozess zwischen Syrien und der Türkei wegen der gemeinsamen Herausforderungen nach dem Erdbeben intensiviert wird. Ankara war in den vergangenen Jahren ein zentraler Unterstützer der syrischen Opposition.

Assad scheint es also zu gelingen, die Barriere regionaler und internationaler Embargos zu durchbrechen. Gleichzeitig versucht er, die Legitimität seines Regimes zu beweisen. Er hat Botschaften an die syrische Opposition und „nicht verbündete“ Länder gesandt, in denen er erklärt, dass sein Regime bleiben und er weiterhin die Angelegenheiten im Land kontrollieren werde.

Aber nicht nur Assad nutzt das Erdbeben für sich. Auch bei seinen politischen Kontrahenten im Land, in Nordwestsyrien, sind bewaffnete Gruppen, die loyal zu Ankara sind, damit beschäftigt, die bereitgestellte Hilfe untereinander aufzuteilen und zu stehlen. Berichte und Videos aus der von der Türkei besetzten Region Afrin haben enthüllt, dass bewaffnete Fraktionen die vom Ausland geschickten Hilfsgüter beschlagnahmt und auf den Märkten weiterverkauft haben.

Assad sucht nach persönlichem und politischem Gewinn, indem er sich als Retter in der Not inszeniert

Im einst mehrheitlich kurdischen Afrin werden die noch übrig gebliebenen Kurden trotz dieser Katastrophe systematisch von Ankara und der bewaffneten Opposition diskriminiert und bei der Verteilung der Hilfsgüter umgangen. So wird auch gegen politisch unliebsame Betroffene des Erdbebens vorgegangen, vor allem, wenn es Kurden sind.

Die von Ankara unterstützte syrische Opposition verweigerte auch die Weiterfahrt von Hilfskonvois, die von der kurdischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens für die Regionen Nordwestsyriens bereitgestellt waren. Offenbar erlaubte es Ankara nicht. Trotz des Ausmaßes der humanitären Katastrophe laufen die Konfliktparteien im Land immer noch gegen die Zeit. Auf Kosten von Millionen Syrern wird die Erdbebenkatastrophe politisiert.

Al-Qaida-Ableger bekommt Erdbebenhilfe

Was ist also jetzt nötig, damit in Syrien die Katastrophe nicht weiter politisch ausgenutzt wird? Solange sich das Land in einem Zustand des politischen und militärischen Chaos befindet, müssen die internationale Gemeinschaft und die Hilfe leistenden Parteien daran arbeiten, die Verteilung der Hilfe vor Ort zu überwachen und statt mit dem Regime mit den wirklichen Vertretern der Syrer zu kommunizieren.

Die Lösung kann nicht lauten, die Hilfe alleine der Verantwortung der fragwürdigen Assad-Regierung oder der fragwürdigen Oppositionsgruppen wie der in Afrin mitherrschenden Hai’at Tahrir al-Scham (HTS), einem Ableger von al-Qaida, zu überlassen. Die Erdbebenkatastrophe darf nicht zur Legitimierung des Assad-Regimes und der Ankara-treuen Opposition führen. Die Rolle von Assad und dem verlängerten Arm Ankaras könnte durch international bindende Entscheidungen in Bezug auf die humanitäre Hilfe eingeschränkt werden.

Schließlich müssen die EU und die USA mehr Druck auf Russland, Assads Hauptverbündeten, ausüben – nicht nur im Hinblick auf die Ukraine, sondern auch mit Blick auf Syrien. Gleiches gilt für das vermeintlich westliche Regime in Ankara, das de facto die militärische und politische Hoheit über weite Teile Nordwestsyriens ausübt.

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die Analyse das Autors mag richtig sein, die daraus folgenden aufgestellten Forderungen sind allenfalls im Bereich des Wunschdenkens anzusiedeln. Es gibt keine Institution auf der Welt, die eine solche "international bindende" Regelung aufstellen und durchsetzen könnte.

    Und dann noch dieser Imperativ im letzten Absatz. Wenn die EU und die USA den Druck auf die Türkei erhöhen würde, dann würde dies allenfalls das Gegenteil bewirken und zu einem absoluten politischen Stillstand - insbesondere in der NATO - führen. Und die nächste Flüchtlingswelle wäre vorprogrammiert.

    • @DiMa:

      Selbstverständlich muss mehr Druck auf die Türkei ausgeübt werden: Opposition einsperren, Minderheiten gewaltsam unterdrücken, Rechtsstaat abschaffen, völkerrechtswidrige Annektionen - harte Sanktionen sind längst überfällig. Nicht erst seit der "Zeitenwende".

      Wenn uns Öl und Gas nicht zum moralischen Einknicken bringen konnte, wie sollten es da hilfsbedürftige Menschen können?

      Zum anderen Punkt:



      Die Vereinten Nationen wurden einst zu dem Zweck geschaffen, international bindende Regelungen aufzustellen und durchzusetzen - und dann genau deswegen von den mächtigen Ländern dieser Welt wieder geschliffen.

      • @Bernd Berndner:

        Die Vereinten Nationen wurden zur Sicherung des Weltfriedens geschaffen, nicht zur Gewährleistung des Katastrophenschutzes. Der Charte der Vereinten Nationen fehlt es an der geforderten bindenden Wirkung. Insoweit kommt diese für die Zwecke des Autoren nicht weiter in Betracht.

        Und woher nehmen Sie Ihren Imperativ hinsichtlich der Türkei. Sanktionen verschlechtern nur die Lage.