Entzug der Gemeinnützigkeit: „Vetternwirtschaft“ im Attac-Prozess?
Führende Vertreter der beiden zentralen Institutionen im Verfahren um Attac sitzen im Vorstand eines Vereins. Dessen Ziele stehen konträr zu Attac.
Für das Bundesfinanzministerium, das den Entzug der Gemeinnützigkeit gefordert hatte, war die Entscheidung dagegen vermutlich weniger überraschend. Denn Rolf Möhlenbrock, der für das Finanzressort die Stellungnahme zum Attac-Verfahren verfasst hatte, und BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff sind gute Bekannte. Wie am Mittwoch das ARD-Magazin Plusminus berichtete, sitzen sie gemeinsam im Vorstand vom „Institut Finanzen und Steuern“. Mellinghoff war an der Attac-Verhandlung nicht selbst beteiligt, hatte das Urteil aber gegenüber der Presse persönlich bekannt gemacht und kommentiert.
Zusätzliche Brisanz erhält diese Verbindung durch die inhaltliche Ausrichtung dieser Einrichtung: Das „Institut Finanzen und Steuern“ ist ein (übrigens gemeinnütziger) Verein, der eine klare Agenda verfolgt, nämlich die Senkung von Steuern. Im Vorstand sitzen neben Mellinghoff und Möhlenbrock ausschließlich Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des Industrie- und Handelskammertags und des Verbands der Chemischen Industrie; Vorsitzende ist die Kölner Finanzjuristin Johanna Hey, die zu den Gründungsmitgliedern des Fördervereins der neoliberalen „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ gehört. In der Einladung zur Jahrestagung im Juni unter dem Motto „Steuerstandort Deutschland – Reformbedarf und Handlungsopotionen“ beklagt das Institut, Deutschland drohe „international zum Hochsteuerland zu werden“ und schlägt eine „Senkung der Unternehmenssteuersätze“ vor.
Nach Ansicht von Attac wirken damit zwei mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit befasste Personen in einem Verein mit, der genau das gegensätzliche Ziel verfolgt wie Attac – das Netzwerk hat unter anderem Kampagnen gegen zu niedrige Unternehmenssteuern organisiert. „Das riecht nach Vetternwirtschaft“, meint Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann. Der Vorgang bestärke den Eindruck, dass der Bundesfinanzhof ein „politisch motiviertes Urteil“ gefällt habe, sagte sie der taz. Mellinghoff weist das zurück. Er betont, dass es ihm als BFH-Präsidenten strikt verboten ist, Einfluss auf Entscheidungen seiner Richterkollegen zu nehmen, wenn er nicht selbst dem Spruchkörper angehört. Das Bundesfinanzministerium wollte den Vorgang auf Anfrage nicht kommentieren.
UPDATE 17.05., 12:00: Dieser Artikel wurde aktualisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften