Entwicklungspolitik in Niedersachsen: Fluchtgründe belanglos

Niedersachsen hat den runden Tisch zur Bekämpfung von Fluchtursachen eingestampft. Kritik kommt von Initiativen aus der Entwicklungspolitik.

Hundert Gründe zu fliehen: Teil eines Wimmelbildes von Janun Lüneburg Foto: Markus Wende

HANNOVER taz | Die CDU in Niedersachsen hat Ankerzentren für Flüchtlinge in Nordafrika gefordert. Die EU-Kommission will die Grenzschutzagentur Frontex verstärken und nicht nur Angela Merkel (CDU) hofft, dass der Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan irgendwie hält. Bei all dieser Abschottungspolitik herrscht über eine Sache Konsens: Wenn sich die Zahl der nach Europa fliehenden Menschen verringern soll, müssen die Gründe für die Flucht behoben werden. Die große Koalition in Niedersachsen hat jedoch nun den eigenen runden Tisch zur Fluchtursachenbekämpfung eingestampft.

Kritik daran kommt von Organisationen wie dem Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen (VEN), dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat oder dem Afrikanischen Dachverband Norddeutschlands, die alle zum runden Tisch gehört hatten. Der ist Teil des Aktionsbündnisses „Niedersachsen packt an“, das die rot-grüne Landesregierung im Jahr 2015 gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ins Leben gerufen hat, um Integrationsprojekte voranzubringen (siehe Kasten).

Am runden Tisch wurde über die Situation in den Herkunftsländern diskutiert und auch Gelder für Projekte vergeben. Seine Abschaffung sei „ein höchst zweifelhaftes Signal der neuen Landesregierung“, sagt Sebastian Rose vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Am runden Tisch habe es die Möglichkeit gegeben, unter Partnern über entwicklungspolitische Themen zu sprechen. „Es ging konkret darum, was Niedersachsen selbst dazu beitragen kann, Fluchtursachen zu bekämpfen“, sagt Rose.

Gemüseanbau hilft gegen Fluchtursachen

Nina Gawol vom Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen verweist auf ein kleines Projekt aus Osnabrück, das über den runden Tisch gefördert worden sei. Das dortige Aktionszentrum Dritte Welt baue in der Provinz Eastern Cape in Südafrika landwirtschaftliche Produktionsbetriebe auf. Insbesondere Frauen solle durch den Gemüseanbau eine Einnahmequelle geschaffen werden, sagt Gawol. „Auch kleine Projekte vor Ort schaffen Perspektiven, sodass Menschen gar nicht in die Situation kommen, dass sie ihre Heimat verlassen müssen.“

Das Bündnis „Niedersachsen packt an“ wurde 2015 gegründet, um die Integration von Geflüchteten zu fördern.

Neben der Landesregierung engagieren sich die christlichen Kirchen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Unternehmerverbände Niedersachsen, Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen und die Landtagsfraktionen in dem Bündnis.

„Menschen in Not zu helfen, ist ein Gebot der Menschlichkeit!“, heißt es in der Selbstdarstellung.

In verschiedenen Arbeitsgruppen arbeiten die Mitglieder zu Themen wie Sprachförderung, Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt oder der Unterstützung Ehrenamtlicher.

In Deutschland seien Stellen für sogenannte Eine-Welt-Promotoren über den runden Tisch finanziert worden. „Der Verein Janun Lüneburg hat damit ein Wimmelbild entwickelt, das zeigt, was die Auswirkungen des Klimawandels mit Flucht zu tun haben“, sagt Gawol. Es gehe darum, nicht nur die Fluchtursachen in den Ländern zu bekämpfen, sondern auch hier ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Mit dem Wimmelbild könnten nun Schulklassen arbeiten. „Es ist die Frage, wie gut die Abschottung funktionieren kann, wenn man die Ursachen nicht in den Blick nimmt“, sagt Gawol in Richtung der Landesregierung.

Zuständig war bisher das Umweltministerium. Von dort heißt es: „Die Projekte zur Fluchtursachenbekämpfung sollten an einer Stelle innerhalb der Landesregierung konzen­triert werden, die über langjährige Erfahrungen in den Bereichen Enwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe verfügt.“ Ein eigenes Gremium des Umweltministeriums hätte diese Bemühungen konterkariert, sagt Ministeriumssprecherin Sabine Schlemmer-Kaune.

Nur der Runde Tisch fällt aus

Die Projekte des Landes zur Fluchtursachenbekämpfung würden nicht eingestellt. „Zusätzlich zu den regulären Haushaltsmitteln 2017/18 wurden vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise eine Million Euro für humanitäre Hilfe und Fluchtursachenbekämpfung bereitgestellt“, sagt Schlemmer-Kaune. Das zusätzliche Geld fließe in Projekte im Nordirak, wo in der Vergangenheit bereits in die medizinische Grundversorgung in den kurdischen Gebieten investiert wurde oder Spielplätze gebaut wurden.

Abayomi Bankole vom Afrikanischen Dachverband Norddeutschlands hofft, dass die Landesregierung ihre Entscheidung überdenkt. „Es ist immens wichtig, dass es Input von zivilgesellschaftlichen Gruppen gibt.“ Wie die Landesregierung ohne die praktischen Erfahrungen der Initiativen künftig Fluchtursachen bekämpfen wolle, fragt Bankole. „Wir wissen, wo der Schuh drückt.“

Uwe Becker vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt sieht es kritisch, dass das Umweltministerium bei seiner Position bleiben will. „Wenn man sich nicht mehr damit beschäftigt, wird das Problem nicht verschwinden“, sagt er. „Zugegebenermaßen ist der Handlungsspielraum des Landes beim Thema Fluchtursachen klein.“ Es sei deshalb aber gerade wichtig, dass sich die Landesregierung die Sachkompetenz der Initiativen einhole, sagt Becker. „Umso mehr ich weiß, umso besser kann ich agieren.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.