Entwicklungsforscher über Wirksamkeit: „Die Debatte ist teils populistisch“

Dass in Deutschland über Entwicklungspolitik diskutiert wird, findet Experte Jörg Faust positiv, wenn die Debatte fundiert ist. Wie evaluiert man?

Solarpanele auf Häuserdächern

Solarpanele in Ahmedabad, im indischen Bundestaat Gujarat. Auch Deutschland hat hier in die Energiewende investiert Foto: Ashish Vaishnav/imago

taz: Herr Faust, Ihr Beruf ist es, deutsche Entwicklungspolitik fortlaufend zu evaluieren. Ist es das am besten untersuchte Feld der deutschen Politik?

Jörg Faust: Die Entwicklungszusammenarbeit gehört seit Langem zu den am systematischsten und gründlichsten evaluierten Politikfeldern. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass hierbei Steuergelder im Ausland verausgabt werden und dies oftmals unter schwierigen Bedingungen.

Jörg Faust, Jahrgang 1967, ist Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Das DEval wird aus Mitteln des Bundesentwicklungsministeriums finanziert und evaluiert wissenschaftlich unabhängig die deutsche Entwicklungspolitik.

Wie nehmen Sie die öffentliche Debatte darüber wahr, ob Entwicklungspolitik sinnvoll ist?

Es ist gut und richtig, dass in der Öffentlichkeit über die angemessene und wirksame Verwendung von Steuergeldern diskutiert wird. Allerdings nimmt die Debatte teils populistische Züge an, weil Einzelprojekte oft unvollständig dargestellt werden und dann von diesen auf die gesamte Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit von Entwicklungszusammenarbeit geschlossen wird.

Meinen Sie die von der AfD lancierte Kritik an Radwegen in Peru, die mit deutschen Krediten und Zuschüssen finanziert wurden?

Das ist sicherlich ein besonders prominentes Beispiel hierfür.

Wie messen Sie die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit?

An unserem Institut evaluieren wir die deutschen Entwick­lungszusammenarbeit nach verschiedenen Kriterien: wir untersuchen nicht nur, wie wirksam sie ist, sondern auch, wie relevant, nachhaltig und wirtschaftlich. Unsere Themen­palette ist breit: Sie reicht von thematischen ­Evaluierungen wie Klimaanpassung oder Menschenrechten bis zu Evaluierungen nach Ländern, etwa zu Afghanistan oder Irak. Wir untersuchen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, wie etwa Budgethilfe an Länder. Wir prüfen aber auch Projektevaluierungen der Durchführungsorganisation auf ihre Qualität hin.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Ministerien aufgefordert, im Haushalt 2025 zu sparen. Besonders hart trifft es das Bundesentwicklungsministerium (BMZ). Das hat 12,2 Milliarden angemeldet, soll aber nur knapp 10 Milliarden Euro erhalten. Der Haushaltsstreit hat auch eine Debatte über die Sinnhaftigkeit von Entwicklungspolitik ausgelöst. Lindner etwa fragte öffentlich, ob die Projekte „wirklich Lebenschancen“ verbesserten.

Wie genau evaluieren Sie beispielsweise die Entwicklungspolitik in Afghanistan?

Das zivile Engagement der Bundesregierung in Afghanistan wurde ressortübergreifend untersucht. Die Maßnahmen des Auswärtigen Amtes, des Innen- und des Entwicklungsministeriums standen dabei im Fokus. Wir haben festgestellt, dass Maßnahmen zur unmittelbaren Verbesserung der Lebenssituation der lokalen Bevölkerung vielfach Wirkung zeigten. Langfristige und strukturelle Ziele – etwa einen demokratischen Staat aufzubauen – konnte die Bundesregierung und auch die internationale Gebergemeinschaft nicht erreichen.

Afghanistan zeigt die Herausforderungen von Entwicklungszusammenarbeit …

Sie ist nicht frei von Fehlern und es gibt natürlich auch Maßnahmen, die ihre Ziele nicht erreichen. Besonders herausfordernd ist Entwicklungszusammenarbeit in hochfragilen Staaten wie Afghanistan, Mali oder Irak, wo vielfach die notwendigen Strukturen fehlen, um anhaltende Wirkungen zu erzielen. Gleichzeitig herrscht in solchen Ländern, die von Konflikt geprägt sind, oft große Armut, sie sind sicherheitspolitisch relevant, und von ihnen gehen große Fluchtbewegungen aus. Ein Ausstieg aus der Entwicklungszusammenarbeit wäre also nicht im Sinne deutscher und europäischer Interessen.

Wo gibt es Erfolge?

International vergleichende Studien zeigen, dass gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit in vielen Feldern durchaus positive Effekte zeitigt: etwa bei der Primärschulbildung, der Förderung von Demokratie oder im Gesundheitsbereich. Entwicklungszusammenarbeit hat darüber hinaus auch einen positiven Effekt auf die Exporte Deutschlands in Partnerländer.

Ist die Außenwirtschaftsförderung ein Nebeneffekt oder gehen ökonomische Eigeninteressen zulasten der klassischen Ziele, etwa der Armutsreduzierung?

Internationale Studien belegen, dass die Vergabe von Entwicklungszusammenarbeit zu einer Zunahme der Exporte des Geberlandes in das Nehmerland führt. Das gilt nicht nur für Maßnahmen, die explizit auch eine außenwirtschaftliche Zielsetzung haben. Aber die übergeordneten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit sollten nicht aus dem Blick geraten: Also Armut zu bekämpfen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie eine ökologisch nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Passiert das auch so?

Unser Institut hat untersucht, wie deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit im Zeitraum 2000 bis 2020 vergeben wurde. Danach bekamen ärmere mehr als reichere Länder und demokratischere Staaten wurden gegenüber autokratischeren bevorzugt. Zugleich erhielten Länder, die für Deutschland außenwirtschaftlich bedeutsam sind, ebenfalls mehr Mittel. Außerdem ließ sich ein Trend erkennen: Entwicklungsländer, die Deutschland geografisch näher liegen, erhielten auch mehr Mittel. Das ist ein Indiz dafür, dass geopolitische Überlegungen bei der Vergabe an Bedeutung gewonnen haben.

Stehen wirtschaftliche und entwicklungspolitische Ziele nicht im Widerspruch zueinander – etwa auf der einen Seite die Märkte zu liberalisieren für deutsche Exporte und auf der anderen Seite die Armut zu reduzieren?

Die Außenwirtschaft zu fördern und Armut zu bekämpfen können in einem Spannungsverhältnis stehen. Es gibt aber auch Möglichkeiten, Außenwirtschaftspolitik mit Entwicklungspolitik gut zu kombinieren. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass deutsche Direktinvestitionen in ärmeren Ländern staatlich bezuschusst werden, wenn diese entwicklungspolitisch besonders sinnvolle Komponenten haben: etwa beim Umweltschutz oder bei der Ausbildung junger Menschen.

Das Entwicklungsministerium soll sparen. Wo würden Sie empfehlen, den Rotstift anzusetzen?

Ich kann Ihnen pauschal keinen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit nennen, der besonders irrelevant und zugleich unwirksam wäre. Es ist auch Aufgabe einer demokratisch legitimierten Regierung, Prioritäten zu setzen. Allerdings könnte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit schon seit Langem effizienter werden, wenn sie sich in den jeweiligen Partnerländern stärker auf einige wenige und besonders relevante Kernthemen fokussierte.

Warum zahlt Deutschland Entwicklungsgelder an ­Indien, das sich ein Raumfahrtprogramm leistet?

Kredite vergünstigt zu vergeben, kann ein nützliches Instrument sein, um wichtige Reformen anzustoßen oder deren Umsetzung zu begleiten. Wenn es gelingt, darüber in Ländern wie Indien, Südafrika, Indonesien oder Brasilien zu Reformen beizutragen, die dem Schutz von Klima oder Biodiversität dienen, ist das auch im aufgeklärten Eigeninteresse Deutschlands und Europas.

Rückt die Betonung von Deutschlands Eigeninteresse an der Entwicklungszusammenarbeit diesen Aspekt in Zukunft stärker in den Fokus der Evaluierung?

Unser Wohlstand wird in hohem Maße begünstigt von einer prosperierenden Weltwirtschaft und internationaler Kooperation. Entwicklungszusammenarbeit kann hierzu einen Beitrag leisten. Dass die aktuelle Debatte dieses aufgeklärte Eigeninteresse an einer wirksamen Entwicklungszusammenarbeit wieder stärker betont, ist im Prinzip zu begrüßen.

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