Enteignung von Wohnungsunternehmen: Immobilienlobby wehrt sich
Ein vom Wirtschaftsverband beauftragtes Gutachten hält die von einer Initiative angestrebte Enteignung von Immobilienkonzernen für verfassungswidrig.
Keine Überraschung: Ein vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die von einer Initiative angestrebte Enteignung der größten Berliner Wohnungsunternehmen per Volksbegehren verfassungswidrig sei.
Diese Auffassung hatte die BBU-Vorsitzende Maren Kern bereits in der Vergangenheit öffentlich vertreten. Gestützt wird sie nun durch das 108-seitige Gutachten des Verfassungsrechtlers Helge Sodan, das am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Ein vom Senat in Auftrag gegebenes Kurzgutachten des Juristen Reiner Geulen war hingegen zu dem Schluss gekommen, dass die Enteignung rechtlich möglich sei.
Die Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen, die hinter dem Volksbegehren steht, beruft sich für das Vorhaben im Wesentlichen auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser schreibt fest, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel (…) zum Zwecke der Vergesellschaftung“ gegen eine Entschädigung in Gemeineigentum überführt werden können. Da dieser Paragraf bislang noch nie zur Anwendung kam, können sich juristische Gutachten dazu nicht auf vorhandene Urteile beziehen, was die Sache komplizierter macht.
Sodan, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin, äußert in seinem Gutachten verschiedene Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorhabens. Einige beziehen sich auf den Grundgesetz-Artikel selbst, so ist Sodan etwa der Auffassung, Immobilien seien davon gar nicht berührt. In dem Vorschlag der Initiative, nur Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen, sieht er außerdem einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Sein Hauptargument ist, dass in der 1995 verabschiedeten Berliner Landesverfassung die Möglichkeit zur Vergesellschaftung fehle.
Die Initiative hinter dem Enteignungs-Volksbegehren hat zwar noch nicht einmal mit der Unterschriftensammlung begonnen, doch ihr Anliegen sorgt bereits für hitzige Diskussionen. Eine solche ist auch am Donnerstag im Abgeordnetenhaus zu erwarten: Die aktuelle Stunde ist einem Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel "Herabstufung Berlins durch Ratingagenturen verhindern: Enteignungsphantasien sofort stoppen" gewidmet. Verhandelt soll dort außerdem ein Antrag der FDP, der mit der Forderung "Berlins Zukunft nicht verspielen – Neubau statt Enteignung" überschrieben ist. Dazu ist eine namentliche Abstimmung geplant, die spannend werden könnte: Auch die regierende SPD hat sich bislang, anders als der Koalitionspartner Die Linke, gegen Enteignung ausgesprochen und betont immer wieder die Notwendigkeit von Neubau. (mgu)
Die BBU-Vorsitzende Kern sagte, sie sei angesichts des Volksbegehrens „sehr besorgt“. Schließlich berühre dieses „die Grundlagen unseres Eigentumsrechts, das sich über Jahrzehnte bestens bewährt hat.“ Eine ähnliche politische Auffassung vertrat auch der Verfassungsrechtler Sodan: Sollte sich die Initiative durchsetzen und Schule machen, „dann haben wir ein anderes Wirtschaftssystem als das, was 70 Jahre lang für Wohlstand in der Bundesrepublik gesorgt hat“.
Die Volksbegehren-Initiative wies die Auffassung Sodans am Mittwoch zurück: „Helge Sodan hatte auch den Mindestlohn und das Zweckentfremdungsverbot zu Rechtsverstößen erklärt. Letztlich stellten sich beide als rechtmäßig heraus“, so Sprecherin Clara Eul. So werde es auch bei der Enteignung von Wohnkonzernen sein.
Neben der Frage der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit ist auch die nach der zu zahlenden Entschädigung ein Streitpunkt. Die Initiative vertritt die Auffassung, dass diese deutlich unter dem Marktwert der Immobilien liegen dürfe, auch das vom Senat in Auftrag gegebene Gutachten stützt diese Auffassung. Sodan hingegen erklärte am Mittwoch, eine „deutliche Unterschreitung“ sei nicht rechtmäßig. Auf Nachfrage räumte er allerdings ein, dass eine Entschädigung grundsätzlich unter dem Marktwert liegen könne.
Bereits vor der Veröffentlichung des Gutachtens hatte dessen Ankündigung einigen Wirbel ausgelöst. So wurde Sodan, der auch Mitglied im Beirat der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist, etwa im Tagesspiegel als „wirtschafts- und branchennah“ bezeichnet, was er am Mittwoch von sich wies. Desweiteren wandten sich 108 Mieter von BBU-Mitgliedern mit einem Protestbrief an die Öffentlichkeit. Dort fordern sie unter anderem, der BBU, der eigentlich nicht nur die privaten, sondern auch die landeseigenen, genossenschaftlichen und kirchlichen Wohnungsunternehmen vertritt, müsse dieser Rolle wieder stärker gerecht werden, anstatt „gegen gemeinwohlorientierte Reformen“ zu agieren.
Die Mieter sprechen in ihrem Brief außerdem von einem „Gefälligkeitsgutachen“. Diesen Begriff wiesen sowohl Sodan als auch Kern am Mittwoch vehement zurück. „Wir als BBU nehmen keinesfalls nur Gutachten mit einem von uns gewünschten Ergebnis an“, so Kern. Eine Bitte der taz um eine Auflistung von Gegenbeispielen blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
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