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Enquetekommission Klimaschutz BremenDas Meer kommt näher

Steigt der Meeresspiegel weiter, wird's für Bremerhaven brenzlig. Doch die Stadt setzt beim Klimaschutz auf eine junge Technologie.

Bremerhaven 2013: Bei einer Sturmflut steht die halbe Stadt unter Wasser Foto: Florian Kater/dpa

Bremen taz | Es wirkt so, als wollte Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) sagen: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht!“ Er erzählt von den wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen seiner Stadt, dass man das „größte Naturschutzgebiet im Land Bremen“ habe und vom direkt daneben geplanten nachhaltigen Gewerbegebiet.

Er berichtet, dass die angesiedelten Unternehmen in der Lebensmittelbranche auf Nachhaltigkeit setzten und dass man beim Öffentlichen Personennahverkehr nachgebessert habe. „In Bremerhaven ist Klimaschutz in allen Facetten angekommen“, betont Grantz am Freitag beim Zoom-Meeting der Enquetekommission Klimaschutz. Diese Enquete hat die Bürgerschaft eingesetzt. Sie soll eine Klimaschutzstrategie für das Land entwickeln.

Nötige Verbesserungen sieht Grantz vor allem im Verkehr: „Bremerhaven hat lange gebraucht, sich von der Formel ‚freie Fahrt für freie Bürger‘ zu verabschieden.“ Aber heute gebe es die nötige Akzeptanz, den Individualverkehr einzuschränken und den Radverkehr besser zu fördern, ist sich Grantz sicher. Auch ein funktionierender und nachhaltiger ÖPNV gehört zum Komplex Verkehr. Sieben neue Busse, die mit Wasserstoff betrieben sind, werden daher angeschafft, sagt Grantz. Auf Elektro-Mobilität hingegen setze man gar nicht.

Zu dieser Entscheidung sei man „nach langer Diskussion mit den Verkehrsbetrieben“ gekommen. „Wir glauben, dass wir mit der Wasserstoffstrategie einen Schritt weiter sind.“ Batterien seien nämlich oft sehr schwer, das Ergebnis oft schlechter im Vergleich. Die Regierung habe sich also für Wasserstoff entschieden, und das nicht nur im Bereich Verkehr.

Wir glauben, dass wir mit der Wasserstoffstrategie einen Schritt weiter sind

Melf Grantz, Oberbürgermeister Bremerhaven

Grüner Wasserstoff wird in einem Elektrolyseur mit Wasser und Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen. Wird er verbrannt, wird wieder Energie freigesetzt. Die Technologie ist umstritten, weil für die Erzeugung viel Energie gebraucht wird und weil unklar ist, ob und wann sie in der alltäglichen Nutzung ankommen wird. Zudem ist der Ansatz immerhin bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Bremerhaven unmittelbar an der Küste und nach eigenen Angaben durchschnittlich nur 2,6 Meter über Normalhöhennull liegt. Der Zeitdruck durch das Klima ist hier besonders spürbar.

Doch die Seestadt biete der Technologie diverse Standortvorteile, erklärt Saskia Greiner von der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung, die das mit 20 Millionen Euro geförderte Projekt „Grüner Wasserstoff für Bremerhaven“ leitet: Forschungseinrichtungen, Flächen, Anwendungsgebiete, die maritime Wirtschaft.

Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Luneort wird noch in diesem Jahr ein Elektrolyseur-Testfeld aufgebaut. Insgesamt 10 Megawatt-Elektrolyseur-Leistung sollen hier entstehen. Ab 2022 würde dann etwa eine Tonne Wasserstoff pro Tag erzeugt, sagt Greiner. „Die Windenergieanlage AD8 im südlichen Fischereihafen soll den regenerativen Strom liefern“, steht in der Projektbeschreibung.

Man nehme auch die Meerwasser-Elektrolyse in den Blick, sagt Greiner, um Alternativen zu dem Verbrauch von Trinkwasser zu finden. Vor allem dieser Ansatz, aber auch der Rest des Projekts, stößt bei vielen Enquete-Mitgliedern auf Zustimmung – obwohl vorher noch Skepsis gegenüber Bremerhavens Weg vorherrschend schien.

Unklar bleiben aber auch nach dem Vortrag die Fragen: Wie viel kann in Bremerhaven produziert werden? Wie viel wird benötigt? Wofür ist Wasserstoff das Mittel der Wahl? Ende März solle eine Studie vorliegen, die die Bedarfe der Stadt untersucht, sagt Greiner. Es gehe aber in der Tat erst einmal um das Forschen und Testen. Doch zumindest Ideen für Anwendungsgebiete nennt Greiner schon heute: für Fahrzeuge, für die Herstellung Wasserstoff-basierter Kraftstoffe für Schiffe und die Wärmebedarfe der Industrie.

In der Schifffahrt, die in Bremerhaven zumindest indirekt das eigentliche Pfund beim CO2-Ausstoß darstellt, ist der Einsatz von Wasserstoff aber noch unklar. Momentan setzt man auf die Übergangstechnologie Flüssigerdgas (LNG). Das müsse man auch noch zehn bis 15 Jahre, sagt Bremenports-Geschäftsführer Robert Howen, „Mit der Euphorie müssen wir noch warten.“

Hafen soll Wasserstoff auch importieren

Für den Hafen selbst, der seinen CO2-Ausstoß in den letzten acht Jahren um 70 Prozent gesenkt hat, sagt Howen, biete Wasserstoff eine „hervorragende Basis“. Einsetzbar wäre das vor allem für den Transport schwerer Güter über lange Distanzen, sagt Uwe von Bargen, Direktor für Umwelt- und Nachhaltigkeitsangelegenheiten von Bremenport. Oder für Generatoren, die Schiffe am Liegeplatz und in der Werft betreiben.

Es sei auch wichtig, den Hafen für den Import von Wasserstoff fit zu machen, sagt Howen. Denn Studien prognostizierten, dass weder Land noch Bund mehr als 15 bis 20 Prozent des Bedarfs selbst decken könnten.

Bereits bei der Enquete-Sitzung zum Bremer Stahlwerk ging es um die umstrittene Technologie. Bei dem immensen CO2-Ausstoß des Werks von Arcelor Mittal liegt hier sicherlich ein Anwendungsbereich. Doch Benjamin Wagner vom Berg von der Hochschule Bremerhaven warnt davor, andere Anwendungsgebiete zu ignorieren.

Wo Wasserstoff schließlich genutzt werden wird, werde letztlich „der Markt entscheiden“, so Felix Matthes vom Öko-Institut. Wasserstoff sei Chance und Risiko zugleich. „Bremen muss sich jetzt fragen: Auf wie viele Pferde setzt man? Und wo versenkt man am Ende vielleicht Geld?“

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