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England vor dem ViertelfinaleDrei Löwen vor dem Sprung

England bereitet sich auf Großes vor. Doch im Stadtbild von London sieht man Fahnen und Teamtrikots nach wie vor selten.

Auf die englische Art: Fans in einem Londoner Pub bejubeln ein Tor von Harry Kane Foto: AP

London taz | Ungebügeltes Hemd, verwuschelte Haare, und dann noch in seinen Flipflops auf einem Gartentisch stehend. Matt Mitchell-Waite ist Wirt und muss derzeit sein Bestes geben. „Ich bin seit 20 Jahren im Pubgeschäft, und diesen Pub habe ich seit 13 Jahren. Dabei ist Fußball immer wichtig gewesen“, erzählt er. Er steht vor seiner Kneipe auf dem Tisch und klebt ein erst heute Morgen gedrucktes ­Plakat an die grün gekachelte Außenfassade.

Es wirbt für „das Schweden-England-Spiel“ am Samstag. „Ein Pubführer beschrieb uns vor nicht all zu langer Zeit als den besten Nicht-Fußball-Pub Londons, um Fußball zu erleben“; sagt Matt nicht wenig stolz, und er kann das sogar beweisen. Auf seinem Handy zeigt er ein Video von dem, was am Dienstagabend vor seinem Pub abging. Unglaublich viele wild umherlaufende Menschen im Dunkel der Nacht.

Für das Spiel am Samstagnachmittag wird Matt extra Sicherheitspersonal bestellen und seinen Pub mit einer Absperrung umgrenzen müssen – „zur Sicherheit der Anwesenden, einem Viertelfinale gebührend“. Der Pub wird wieder gerammelt voll sein, sagt er, so sei es auch bei Premier-League-Spielen. Dass England ins Halbfinale kommt, so diszipliniert, wie das Team jetzt sei – davon geht Matt aus. Die Schweden ­werden 1:2 verlieren, schätzt er. Beim Buchmacher nebenan wird dieses Ergebnis 9:1 gehandelt.

Zumindest in Matts Pub ist England im Fußballfieber. Doch im Londoner Alltag sieht man höchstens mal am Auto angebrachte Flaggen oder in Fenstern hängende Textilien mit dem St.-Georgs-Zeichen. Trikots der „Three Lions“ aber trägt in London kaum jemand. Auch nicht zwei Tage nach dem historischen Sieg über Kolumbien.

Nur der elfjährige Amos Xira trägt das weiße Trikot. Amos ist der in England geborene Sohn albanischer Eltern. Aber sicher, dass England weiterkommt, ist sich Amos nicht. „Kroatien, Schweden, Belgien und Russland sind echt gute Teams, nicht ganz so gut wie England“, glaubt er. Das Match will er gemeinsam mit seinem Papa sehen. In einem Pub.

Nichtfußballschauen und Geselligkeit

Peter Lawless ist 49 und gehört zu denen, die wollen, dass alle wissen, wen er unterstützt. Vor seinem Fenster wehen zwei kleine St.-Georgs-Fahnen, und eine große Flagge baumelt herunter. Peter wird am Samstag die gesamte Nachbarschaft und viele Freunde zu sich einladen, 52 Leute insgesamt. „Meine Familie lebt hier in der Gegend seit dem 17. Jahrhundert, und Fußball hat schon immer dazugehört“, sagt er. Gegenüber steht eine Nachbarin, sie ruft ihm etwas zu. „Die kommt auch“, fügt er hinzu.

Aber es gibt auch Nachbarn, die nicht kommen. „Die neuen von nebenan“, berichtet Peter vom sozialen Wandel, der sich auch darin zeigt, dass nicht mehr alle gemeinsam Fußball schauen. „Die haben sich hier für viel Geld in unsere Gegend eingekauft.“

Dabei ist Nichtfußballschauen keineswegs in jedem Fall eine Abkehr von alter Geselligkeit. Andie Christodoulou und ihre Tochter etwa mögen einfach keinen Fußball. „Mein Sohn“, erzählt die 50-jährige Andie, „der schaut alles, was mit Fußball zu tun hat. Unsere Familie ist gespalten in die, die für den Fußball sind, und die, die ihn meiden. Samstagnachmittag gibt es deshalb auf alle Fälle für sie und ihre Tochter keinen Fußball.

Solche Familiensorgen kennen auch etliche Brautpaare, die sich am Samstag das Jawort geben wollen. Das unerwartete Erreichen des Viertelfinales hat viele Gäste dazu gebracht, ihre Zusage zurückzunehmen. Fußball ist wichtiger. Dieses Thema beschäftigt etliche Londoner Blätter.

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Dan Hyde hingegen hat seinen Samstag schon sorgfältig durchgeplant: Zuerst will der 35-Jährige, der ein gepflegtes weißes Hemd trägt, sich die große London Pride Parade anschauen, die am selben Nachmittag wie das Spiel stattfindet. Um 13 Uhr startet die Parade, um 15 Uhr Londoner Zeit schaut er sich in einem Pub das Spiel an, und danach geht er auf eine der vielen Pride-Feten. Während Dan in einer Bar in Soho sitzt und von seiner Planung erzählt, kommt eine Gruppe durchtrainierter Männer vorbei, bis auf pinkfarbene Slips und Straps nackt.

Die lustige Truppe macht Werbung für die Pride Parade. Fußball, sagt einer von ihnen, ist am Samstag zwar nicht unwichtig, aber zweitrangig. Er schaut sich alles erst nach der Parade an.

So sind die Engländer eben

In der Old Compton Street in Soho sieht man viele Regenbogenfahren vor den Läden. Der Pub, in dem Chris Millar, 40, und Sarah Greasley, 39, sitzen, ist einer der wenigen, die auch die Englandfahne aufgehängt haben. Warum kaum jemand ein Englandtrikot trägt, erklärt Chris: Die englische Fahne verbinde man mit Rechtsextremisten. Daher trägt weder er noch Sarah so ein Trikot. Die Grenze zwischen positivem Pa­trio­tismus, gegen den sie nichts hätten, und Nationalismus werde zu leicht überschritten, sagen die beiden. Das gehe den meisten Eng­län­de­r*In­nen so, vermuten sie. Im Herzen emotional, aber nach außen zurückhaltend.

„So sind wir Engländer eben“, sagt Chris und fügt seine Prognose hinzu: „England wird am Samstag siegen, ja, es wird die WM gewinnen, weil es schon so lange nicht mehr dran war.“ Sarah ist davon nicht so überzeugt. „Wir Londoner sind so international ausgerichtet, dass wir uns gegenseitig unterstützen, egal welches Team spielt, gewinnt oder verliert“, sagt sie.

Wer wird nun das Finale bestreiten? Taxifahrer Paul Crump, 54, vor dessen Wohnung zwei riesige Englandfahnen baumeln, hat einen klaren Wunsch: Russland vs. England. „Das wäre mein ultimatives Endspiel, der Kampf zwischen zweier Imperialisten“, sagt er. „So ist der Fußball doch: halb ernst, halb Jux, halb Show, Drama oder Tragödie!“

Paul wird sich am Samstag auf einer Grillparty anschauen, ob sein imperialistisches Traumfinale in greifbare Nähe rückt.

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