England im Halbfinale der Heim-EM: Großes Spiel, großer Sieg
Spanien liefert den besten Auftritt eines Teams bei dieser EM. Dennoch steht das willensstarke England im Halbfinale und hat nun beste Aussichten.
Und selbst der unterlegene spanische Coach Jorge Vilda erklärte: „Wenn es irgendeinen guten Weg gibt, gut aus dem Turnier auszuscheiden, dann so, wie es meine Spielerinnen heute gezeigt haben.“
Einige der knapp 29.000 Zuschauer:innen dürften sich an diesem Abend die Hände mit Klatschpappe wundgeschlagen haben, so sehr wurden sie von dem letztlichen Schlagabtausch mitgerissen. Lange Zeit jedoch beeindruckten vornehmlich die Spanierinnen. Wenn sich die technisch so versierte Aitana Bonmati in höchster Bedrängnis drehte und wendete, bis sie die ideale Anspielstation gefunden hatte, war auch bei den einheimischen Fans ein leises Raunen zu vernehmen.
Man fühlte sich nach den ersten noch ausgeglicheneren Minuten ein wenig an die Vorrunde erinnert, als starke Teams wie Deutschland und Dänemark gegen diese Ballzirkulationskünstlerinnen vorab kapituliert hatten und sich vornehmlich darauf konzentrierten, überall die Räume rechtzeitig zu schließen.
Dass an diesem Abend mit Millie Bright wieder mal eine Abwehrspielerin bei den Spanienbesiegerinnen als beste Spielerin ausgezeichnet wurde, wie Marina Hegering beim 2:0-Erfolg der Deutschen, passt in dieses Muster. Spanien ist für seine Gegnerinnen bei dieser EM der ultimative Stresstest gewesen. „Ich denke, wir haben Widerstandskraft gezeigt“, sagte Wiegman zur langen Phase der Bedrängnis.
Willensstarke Engländerinnen
Der Unterschied war nur, dass die Gastgeberinnen durchaus gewillt waren, ihre enorme Offensivkraft in Szene zu setzen. Allerdings hatten Beth Mead, Francesca Kirby oder Lauren Hemp kaum einen Meter Platz. Die Spanierinnen hatten nicht nur häufiger den Ball, sondern liefen auch noch gute drei Kilometer mehr, weil sie mit ihrem massiven Gegenpressing grandios die Räume verdichteten und völlig verdient in der 54. Minute in Führung gingen. Ein Grund vielleicht, warum das englische Team am Ende in der Verlängerung ein wenig frischer wirkte.
Bis zum späten Ausgleich durch Ella Toone (84. Minute) hatten sie dem Team, das bislang 14 Treffer in drei Spielen erzielte, lediglich einen Schussversuch gestattet. Paradoxerweise ist das spanische offensive Spiel vor allem eine Defensivwaffe, denn es sprang auch in Brighton trotz der häufigen Strafraumbelagerungen zu wenig Zählbares aus den eigenen Angriffen heraus.
Denkt man sich noch die Weltfußballerin Alexia Putellas und die abschlussstarke Jennifer Hermoso dazu, die verletzungsbedingt ausfielen, dann weiß man, dass Trainer Vilda kurz vor Mitternacht nicht übertrieb, als er bilanzierte: „Wir haben ein Team mit großer Zukunft. Das hat die EM gezeigt.“ Aber auch der Nachwuchs sei vielversprechend.
Berechtigte Hoffnung auf mehr
Wer ein solches Team bezwingt, bedarf aber ebenfalls einer Würdigung. Denn Millie Bright hatte durchaus recht, als sie das Spiel als eines der besten überhaupt einstufte. Und dazu braucht es ein zweites Team. Nach dem Rückstand kam von der englischen Ersatzbank mächtig Schwung ins Spiel. Bright befand: „Ich denke, unsere Mentalität, in jeder Minute des Spiels rücksichtslos zu bleiben, war unglaublich, und ich denke, wir haben gezeigt, worum es uns geht.“
Hinzu kam die emotionale Aufbauarbeit durch das Publikum. Sarina Wiegman sprach von einer „unglaublichen Erfahrung“ und einem klaren Heimvorteil. Möglicherweise spielte der auch bei der Beurteilung des Treffers, der aus einer Zusammenarbeit der eingewechselten Toone und Alessia Russo entstand, eine Rolle. Russo hatte nämlich nicht wirklich regelkonform mit Hilfe des Ellenbogens verhindert, dass ihre Gegenspielerin Irene Paredes auf gleiche Sprunghöhe kommen konnte. Selbst das Videoschiedsrichterteam traute sich nicht, den Treffer zurückzunehmen.
Nun wurde das englische Team von einer Euphoriewelle getragen. Der Glaube, alles schaffen zu können, war wieder da. Ein beeindruckendes Zeugnis davon gab Georgia Stanway ab, als sie es in der 96. Minute einfach mal aus der Distanz versuchte und traf. Es war das Startsignal für die Party von Brighton. Die Perspektiven für das Turnier sind nun äußerst rosig. England hat das Team geschlagen, das die bislang beste EM-Leistung zeigte. Ein Spiel, das in die Reihe der großen Klassiker aufgenommen werden dürfte.
Sarina Wiegman hätte das Spiel beinahe verpasst. Erst wenige Stunden vor Anpfiff konnte sie wieder einen negativen Coronatest vorweisen. Am Ende der Pressekonferenz fasste sie lächelnd zusammen: „Was für ein verrückter Tag.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen