Energiewende in Deutschland: 312.000 Stromsperren im Jahr
Kritiker haben es künftig schwerer, gegen die Energiewende zu argumentieren. Die Zahl der Verbraucher, denen der Saft abgeklemmt wird, ist halb so groß wie gedacht.
BERLIN taz | Die Belastungen durch die Energiewende sind nicht so existenzbedrohend für die Verbraucher wie bislang angenommen. Noch im Februar hatte die Verbraucherzentrale in Düsseldorf gemeldet, dass bundesweit 600.000 Haushalten pro Jahr der Strom abgedreht werde. Tatsächlich ist die Zahl nur halb so groß. Im vergangenen Jahr wurde 312.000 Haushalten und Unternehmen der Strom abgestellt, schreibt die Bundesnetzagentur im Entwurf für den Monitoringbericht 2012, der der taz vorliegt.
Die Behörde hat dafür erstmals alle Lieferanten und Netzbetreiber nach Versorgungsunterbrechungen befragt. Die Verbraucherzentrale hatte dagegen im Frühjahr die Daten nordrhein-westfälischer Stromversorger auf ganz Deutschland hochgerechnet.
Kein Thema setzt die Energiewende so stark unter Druck wie steigende Strompreise. Immer wieder drängt so auch Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) auf Einschnitte bei der Ökostrom-Förderung noch in dieser Legislaturperiode. Sein Argument: Die Ökoreform treibe die Verbraucher in den Ruin. Tatsächlich wollen zum Jahresanfang inzwischen 522 Versorger die Preise erhöhen – um durchschnittlich 12 Prozent. Dies hat das Verbraucherportal Verivox ermittelt. Millionen Deutsche sind betroffen.
Millionen haben Schulden
Probleme mit ihrer Stromrechnung haben viele Verbraucher. Mehr als sechs Millionen Mahnverfahren gingen 2011 so weit, dass die Lieferanten ankündigten, den Strom zu kappen. Ab Ausständen von rund 120 Euro werden solche Drohungen laut Bundesnetzagentur verschickt.
Die meisten Verbraucher zahlten anschließend oder einigten sich mit dem Versorger über die Stundung der Stromkosten. Denn: Nach sechs Millionen Drohungen gaben die Versorger bei den Netzbetreibern lediglich 1,26 Millionen Stromsperrungen in Auftrag. Den Kunden wurde dabei ein konkretes Datum genannt, an dem ihnen der Strom abgeklemmt werden sollte.
Sperrungen gab es schließlich in 312.000 Fällen. „Das sind 312.000 zu viel“, findet die Linken-Bundestagsabgeordnete Johanna Voß. Ihre Fraktion will Stromsperren verbieten. Voß kritisiert vor allem, dass die Unterbrechungen ohne Gerichtsbeschluss möglich sind. „Strom gehört zur Grundversorgung. Es darf nicht sein, dass seine Lieferung bereits nach einer Mahnung eingestellt werden kann“, sagt Voß.
Versorger müssen bei Stromsperren allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Ein Härtefall könnte zum Beispiel vorliegen, wenn durch die Unterbrechung bei starken Minusgraden die Heizungspumpe ausfiele. Der Bund der Energieverbraucher rät Betroffenen, dem Amtsgericht eine Schutzschrift zuzusenden und eine einstweilige Verfügung gegen die Sperrandrohung zu beantragen. Wenn das nichts hilft, fallen für die Kunden zusätzliche Kosten an. Für die Sperrung berechneten die Stromversorger den Kunden laut Netzagentur durchschnittlich 32 Euro, in Ausnahmefällen bis zu 220 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste