Energie in Schweden: Sicherheit als K.O.-Argument gegen Windkraft
Windparks vor der Küste könnten die militärische Überwachung des Landes gefährden, fürchtet Schwedens Regierung – und kippt 13 Offshore-Projekte.
Die Windparks könnten das militärische Überwachungssystem beeinträchtigen, Signale stören und Aufklärung erschweren, hatte der Chef des Verteidigungsstabs, Generalleutnant Carl-Johan Edström, gesagt. Wenn Schweden etwa aus Kaliningrad mit Raketen und Drohnen angegriffen würde, könne wichtige Reaktionszeit verloren gehen. Auch U-Boote könnten schwerer ortbar sein.
„Die Regierung sieht es so, dass der Bau der Projekte in der Ostsee zu inakzeptablen Konsequenzen für Schwedens Verteidigung führen würde“, begründete Verteidigungsminister Pål Jonson von den Moderaten die Nichtgenehmigung der Offshore-Parks. In der aktuell ernsten sicherheitspolitischen Lage müssten Verteidigungsinteressen schwerer gewichtet werden. „Die Nähe zur stark militarisierten Kaliningrad-Gegend war zentral in dieser Beurteilung“, sagte Jonson und hob auch Schwedens noch neue Verantwortung in der Nato für die Region hervor.
Der Verband Schwedische Windindustrie reagierte erstaunt. Militärische Bedenken seien ja nicht neu. Aber deshalb eine ganze Region kategorisch für die potenzielle Stromproduktion auszuschließen? „Es gibt mehrere Projekte in der Nato, mit Problemen wie denen, die die Regierung nennt, umzugehen“, so der Verband.
Vorrang des Militärischen
Energieversorgung gegen militärische Sicherheit: Für Premierminister Ulf Kristersson (ebenfalls Moderate) ist die Priorität klar. Er wehrte die nicht nachlassende Kritik demonstrativ verständnislos ab: Es wäre unverantwortlich, nicht auf das Militär zu hören, wenn es um die schwedische Sicherheit gehe, sagte er am Sonntag in einem Fernsehinterview.
„Nahezu katastrophal, an selbstzerstörerisches Verhalten grenzend“, nannte hingegen der frühere Verteidigungsminister Mikael Odenberg, ein Parteikollege Kristerssons, die Entscheidung. Nicht einmal nach Lösungen zu suchen, Energiebedarf und Sicherheitsinteressen zu vereinen, sei eine „energie- und wirtschaftspolitische Havarie“.
Die Windkraft-Debatte wird in Schweden sehr emotional geführt. Die christdemokratische Energieministerin Ebba Busch machte 2022 mit Aussagen wie „Nein zu Stahlwäldern aus Windkraftanlagen“ Wahlkampf. Dass sie ihre Haltung später angepasst hat, reicht ihren politischen Gegnern nicht, um ihr eine wirkliche Unterstützung des Windkraftausbaus abzunehmen. Die Ministerin postet auch Statements wie „Ich liebe Kernkraft. Sie wird es billiger machen, schwedisch zu sein“ auf Instagram. Dabei ist klar, dass die Atom-Pläne der Regierung für die Steuerzahlenden tatsächlich teuer werden. In zehn Jahren soll es zwei neue große Reaktoren geben, bis 2045 dann zehn, gefördert mit günstigen staatlichen Krediten und Preisgarantien.
Windenergie nur Übergangstechnologie
Windkraft ist günstiger und schneller zu bekommen. Der konservativen, mit den rechtsextremen Schwedendemokraten zusammenarbeitenden Regierung gilt sie aber nur als Zwischenschritt: Sie sei zu unzuverlässig und wetterabhängig, als dass sich die Industrie darauf verlassen könne, sagt Busch. Atom bleibe zentrale Basis für die künftige Energieversorgung.
Laut der schwedischen Energiebehörde produzierte Schweden 2023 insgesamt 163 TWh Strom und verbrauchte 135 TWh – 2 Prozent weniger als im Vorjahr. Wasserkraft machte den größten Teil aus, gefolgt von Atomkraft. Windkraft war mit 34 TWh drittgrößter Lieferant, Wärmekraftwerke steuerten 14 TWh bei, Solarenergie 3 TWh. Letztere verzeichnete allerdings den größten Zuwachs, 58 Prozent.
Zentrale Punkte der Debatte sind die extremen Unterschiede zwischen den Strompreisen im Norden und im Süden sowie die Versorgung der zumindest laut Plan stark wachsenden grünen Industrie im Norden. Der Süden ist vom Strom aus dem Norden abhängig, seit sechs von zwölf Atomreaktoren vom Netz genommen wurden, der letzte 2020. Die Strompreise aus der Windkraft variieren stark, die Weiterleitung in den Süden kostet zusätzlich. Ein weiteres Problem sieht Busch darin, dass es für den mit Hilfe von Wind erzeugten Strom zu wenig Speichermöglichkeiten gebe und Anschlüsse fehlten, um ihn im eigenen Land zu nutzen.
Die Finanzierung des Anschlusses der genehmigten Offshore-Anlage Kriegers Flak vor Trelleborg hatte die Regierung im August abgesagt – mit der Begründung, man könne nicht Offshore-Windenergie bevorzugt behandeln. Vattenfall pausiert das Projekt seitdem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut