Energiewende-Demo in Berlin: Kohle ist der neue Castor
Mit dem Atomausstieg hofften manche auf ein Ende des Widerstands. Doch inzwischen hat sich die Protestbewegung neu erfunden.
BERLIN taz | Es reicht ein kurzer Blick auf die Bühne, um den großen Unterschied zu erkennen. Auf dem Banner hinter dem Mikrofon ist noch immer der Umriss jener legendären Anti-Atom-Sonne zu erkennen, Deutschlands erfolgreichsten Protestsymbols. Doch statt eines grinsenden Sonnengesichts stehen da jetzt zwei Wörter: „Energiewende retten“. Das soll wohl sagen: Es ist geschafft. Die Anti-Atom-Bewegung hat sich neu erfunden. Und sie ist wieder da.
Es ist Novemberwettersamstag und die Bewegung zurück auf der Straße. Hier kommen die, die den Atomausstieg erkämpft haben. Und diejenigen, die eingeladen haben, sind im Kern auch jene, die die großen Anti-Atom-Demos vor und nach Fukushima mitgestemmt haben: Christoph Bautz von Campact, Jochen Stay von ausgestrahlt, Uwe Hiksch von den Naturfreunden – vor allem aber: Dutzende Bürgerinitiativen, Gruppen und Verbände, die seit Jahren, teils Jahrzehnten für einen echten Umschwung in der Energiepolitik kämpfen.
Doch es hat sich etwas geändert. Es geht nicht mehr um den Ausstieg aus der ultimativen Bedrohung, sondern um sehr komplizierte Dinge, wie sie im schwarz-roten Koalitionsvertrag festgeschrieben sind. Es geht um Ausbaukorridore und Grundlastfähigkeiten und um die Frage, wie viel Kohle noch gefördert und verbrannt werden soll, um die Öfen weiter warm zu halten.
Es gibt ein paar Orte in Deutschland, an denen dieser Kampf täglich stattfindet. Das Örtchen Welzow in der brandenburgischen Lausitz ist so ein Ort oder der Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen, wo sich Klimaaktivisten immer wieder mit Kletterausrüstung in Baumwipfeln verschanzen, um gegen den dortigen Tagebau zu demonstrieren. Greenpeace und andere Umweltverbände haben die politische Bedeutung der Kohle erkannt und setzen bei Protestaktionen voll aufs Thema. Rauchende Schlote verbindet wohl niemand mit sauberer Energie. Das also scheint ausgemacht: Kohle ist der neue Castor. Doch wie groß der Resonanzraum für Energieproteste ist, zeigt sich erst auf der Straße.
40 Busse sind angereist
Mehrere tausend Menschen – die Veranstalter reden großzügig von über 16.000 TeilnehmerInnen – demonstrierten am Samstag rund um das Bundeskanzleramt. 60 Organisationen und Gruppen waren beteiligt. Über 40 Busse aus dem Bundesgebiet sind angereist. Es gab in alter Tradition ein Protestprogramm für jeden: Kletteraktionen für die Ungehorsamen, eine Kanzleramtsumzingelung für die Presse.
Vor allem aber gab es eine eindrückliche Beweisführung. Vor dem neuen Protestsymbol auf der Bühne traten Menschen ans Mikro, die den Organisationsgrad dieser Energiewendebewegung verdeutlichen. Falk Hermenau, Aktivist in der Lausitz, Eva Stegen von den basisorganisierten Elektrizitätswerken Schönau, Stefan Taschner, der mit dem Berliner Energietisch dafür kämpft, die Stromversorgung der Hauptstadt wieder in die Hand der BürgerInnen zu bringen.
Die Botschaft hat jemand auf seinem Transparent festgehalten. „Wir sind der Strom“ steht darauf. Und so zeigt sich beim Protest gegen die geplante Energiepolitik einer neuen Bundesregierung: Die Anti-Atom-Bewegung kommt auch ohne Castor klar. Es geht um die Energiewende – und sie will mitreden.
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