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Endspurt im spanischen WahlkampfNie wieder die Etablierten

Am Sonntag gehen die Spanier erneut wählen. In der Provinz Guadalajara schickt Podemos einen ihrer Mitbegründer ins Rennen.

Fast schon von der Bildfläche verschwunden: Ministerpräsident Mariano Rajoy Guadalajara Foto: ap

Villanueva/ Guadalajara taz | Ariel Jérez setzt sich an einen langen Tisch in einem Gartenlokal von Villanueva de la Torre, einem Dorf in der Provinz Gua­dalajara, 40 Autominuten östlich von Madrid. Für heute ist Schluss mit Wahlkampf. Umgeben von Anhängern und Wählern seines Wahlbündnisses „Unidos Podemos“, bestellt er ein Bier und genießt die Fleischspießchen, die ihm der Wirt reicht. Villanueva ist die größte Gemeinde in dieser Provinz, wo Podemos eine Bürgermeisterin stellt. Die 36-jährige Vanessa Sanchez lenkt seit Mai 2015 die Geschicke des Ortes, sie sitzt mit am Tisch.

Den ganzen Tag ist Jérez durch die dünn besiedelte Region getourt. Der 49-jährige Politologe und Podemos-Mitbegründer aus Madrid kandidiert fürs nationale Parlament. Vier Parteien streiten sich in Guadelajara um drei Sitze – so viele Abgeordnete darf die Provinz ins Parlament entsenden. Bis vor Kurzem teilten sich diese Sitze die zwei Altparteien, die noch regierende konservative Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy und die sozialistische PSOE. Doch der Wahlgang am 20. Dezember 2015 brach das traditionelle Parteiengefüge auf.

Ariel Jérez hat im Dezember 17,5 Prozent der Stimmen erzielt. Knapp daneben. „Mir fehlten 800 Stimmen für den Einzug ins Parlament“, erklärt er. Die rechtsliberalen Ciudadanos erzielten damals den dritten Abgeordnetensitz. Da aber im vergangenen Winter keine Regierung zustande kam, müssen die Spanier am Sonntag erneut wählen gehen. Dieses Mal rechnet sich Jérez gute Chancen aus. Denn seine Podemos hat sich zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen: In Villanueva treten sie mit der Vereinigten Linken als „Unidos Podemos“ an. „Die bringen mehr Stimmen mit, als mir fehlten“, sagt Jérez.

Ein Auswärtiger

„Falschschirmspringer“ nennen die Presse und politische Gegner den von auswärts kommenden Kandidaten. Der Ma­drid-Vorstand schickte Jérez ins Rennen, nachdem die eigentliche Podemos-Spitzenkandidatin in Guadalajara wegen innerparteilicher Querelen zurückgetreten war.

Parlamentswahlen in Spanien

National: Die 350 Parlamentssitze werden auf Provinzebene vergeben. Jede Provinz entsendet je nach Bevölkerungszahlen zwischen einem (Ceuta, Melilla) und 36 Abgeordneten (Madrid).

Guadalajara: Die Provinz verfügt mit 260.000 Einwohnern über drei Sitze. Bisher gewannen diese Sitze immer die beiden großen Parteien PP und PSOE. Im Dezember 2015 erzielte erstmals die rechtsliberale Cuidadanos einen Sitz. Podemos kam mit 17,5 Prozent auf Platz vier. Die Vereinigte Linke (damals Unidad Popular) und Podemos treten am kommenden Sonntag als „Unidos Podemos“ gemeinsam an.

„Anfänglich beäugten mich selbst die eigenen Leute skeptisch“, gibt Jérez zu. Doch mittlerweile hat er sich seinen Platz erarbeitet. Ob Transparente malen, Material kaufen, Jérez ist Kandidat, Wahlkampfmanager und Basisaktivist in einem. „Ein richtiges Wahlkampfteam habe ich nicht“, meint er. Es sind die örtlichen Gemeinderäte und Sympathisantengruppen von Podemos, die sogenannten Círculos (Kreise), die ihn überall empfangen und über die Pro­bleme vor Ort aufklären.

Während des Wahlkampfs wohnt Jérez in der Stadt Guadalajara in einer kleinen Kammer bei Parteifreunden. Doch nicht nur die Provinz muss er erkunden. „Selbst reden musste ich lernen“, sagt er und grinst. Er forscht und unterrichtet seit vielen Jahren über soziale Bewegungen in Europa und Lateinamerika. Das ist ihm anzumerken. Lange Sätze, komplizierter Wortschatz. Im Kontakt mit den Wählern funktioniert das nicht.

Genau dieses Manko ist schuld daran, dass Jérez kaum bekannt ist. Dabei gehört er zu den fünf Madrider Professoren rund um Spitzenkandidat Pablo Iglesias, die Anfang 2014 Podemos ins Leben riefen. Anders als seine Kollegen nimmt Jérez nie an Talkshows teil, stellt sich nur ungern Interviews. Am Montagnachmittag ist er mit Bürgermeisterin Vanessa Sánchez durch die Neubaugebiete von Villanueva spaziert. Überall wird sie herzlich begrüßt, Ariel Jérez läuft mit, lässt sich vorstellen, schüttelt Hände.

Viele Familien, viele Schuldner

„Hier haben immer PSOE oder PP regiert – bis wir im Mai 2015 ins Bürgermeisteramt einzogen“, sagt die Bürgermeisterin. Wir, das ist „Ahora Villanueva“, eine Bürgerliste rund um Podemos, die von meist jungen Menschen auf Versammlungen im Park gegründet wurde. Es gibt viele junge Familien in dem 7.000-Einwohner-Städtchen.

„Wir sind eine der kinderreichsten Gemeinden in ganz Spanien“, erklärt Sanchez. „Gleichzeitig hat Villanueva mit den höchsten Anteil an Wohnungskrediten pro Einwohner.“ Jetzt ist die junge Frau, die bis zu ihrer Kandidatur nie politisch aktiv war, bei ihrem Thema. „In der Stadt gibt es landesweit mit am meisten Zwangsräumungen schuldiger Wohnungseigner.“

Die neue Gemeindeverwaltung vermittelt nun zwischen den Verschuldeten und den Banken. Vierzig Familien konnten dadurch in ihren Wohnungen bleiben. Das schafft Sympathien. Bei den Parlamentswahlen im Dezember legte Podemos im Vergleich zu den Kommunalwahlen Stimmen zu, während die beiden großen Parteien weiter Stimmen verloren.

Ariel Jérez ist bei Podemos für den ländlichen Raum zuständig. Das ist in Guadalajara von Vorteil. Die Provinz ist die Nummer 17 von 50 Provinzen, was die Ausdehnung angeht, rangiert aber auf Platz 42 bei der Zahl der Einwohner. Seit den 1950er Jahren wandert die Bevölkerung im Hinterland ab. Bis vor wenigen Jahren wurden die erneuerbaren Energien ausgebaut; das schuf endlich Arbeitsplätze auch in entlegenen Landstrichen. Doch die Konservativen haben diese Entwicklung gestoppt. Und das Wasser aus den Bergen wird nicht etwa benutzt, um eine örtliche Landwirtschaft aufzubauen. „Es geht per Pipelines in die 400 Kilometer entfernten Touristengebiete am Mittelmeer“, erläutert Jérez.

Wilder Logistikpark

Dort, wo die Provinz Guadalajara an die Region Madrid grenzt, nimmt die Bevölkerung hingegen zu. Die Wohnungen sind billiger als in der Hauptstadt, Grund und Boden für Industrieansiedlungen auch. So manches Unternehmen verlagerte Fabriken und Lagerhallen direkt auf die Seite der Grenze, wo unter anderem auch Villanueva liegt. Der Ort wuchs in den letzten 20 Jahren von 600 Einwohner auf 7.000. Nahe der Autobahn reiht sich eine Lagerhalle großer Speditionen und Onlineversandhäuser an die andere. „Es ist der größte Logistikpark Europas“, sagt Jérez.

Die Industriegebiete und Wohn­siedlungen entstanden planlos, es fehlt an Infrastruktur. Das Symbol für diesen Wildwuchs ist Valdeluz, 20 Kilometer außerhalb der Stadt Guadalajara. Mitten im Nirgendwo hält hier der Hochgeschwindigkeitszug Madrid–Barcelona. Rund um den Bahnhof entstand während des Baubooms eine Retortenstadt.

Valdeluz liegt auf Jérez’ Tour an diesem Montag. Federico Moreno, ein 62-jähriger Apotheker im Ruhestand, hat ein Dossier für den Kandidaten vorbereitet und führt ihn durch die Straßen. „Valdeluz, einst für 30.000 Menschen geplant, hat heute nur 2.800 Einwohner“, sagt Moreno. Das Gelände gehörte dem Ehemann der ehemaligen konservativen Regierungschefin von Madrid, Esperanza Aguirre. „Die Zugstrecke wurde geplant, als ihre Parteifreunde in der ­egierung saßen.“

Für die Folgen dieser Bau­sünde müssen jetzt die Steuerzahler aufkommen. Überall stehen Wohnungen leer, wurden Geschäfte zugemauert. Viele Gebäude gehören der staatlich finanzierten spanischen Bad Bank Sareb, die sich um Immobilien kümmert, die die in die Krise geratenen Banken und Sparkassen im Laufe der Bankensanierung dank Steuergeldern und Eurorettungsschirm abgestoßen haben. Gleichzeitig ist Guadalajara die viertärmste Provinz Spaniens mit einer Arbeitslosenquote von knapp 29 Prozent.

Enttäuscht von der PSOE

Die 65-Jährige Carmen Pérez ist mit ihrem Mann Paco Abad in die Gartenkneipe gekommen, um Kandidat Jérez kennen­zulernen. Beide sind Rentner. Abad arbeitete in jungen Jahren bei Mercedes Benz in Sindelfingen und dann in einem Kaufhaus in Madrid. Pérez war jahrelang Putzfrau bei dem öffentlichen Fernsehsender TVE. Die beiden waren „immer So­zialisten – bis die Sparpolitik einsetzte“, erklärt Pérez. Das Paar verzeiht der PSOE nicht, dass sie auf Druck der EU einen Paragrafen in die Verfassung aufnahm, der ­Schuldenzahlungen Vorrang vor Sozialabgaben gibt.

Fünf Kinder haben die beiden. Nur eine Tochter hat eine feste Arbeit in einer der historischen Konditoreien auf der Hauptstraße in Guadalajara, die anderen arbeiten in den Logistikunternehmen. „Mit prekären Verträgen, die Woche für Woche verlängert werden“, sagt Pérez. Das sei möglich, weil zuerst die Sozialisten und dann die Konservativen das Arbeitsrecht geändert hätten.

„Ich werde nie wieder Sozialisten wählen“, erklärt Paco Abad. „Wenn sie sich erneuern und einen guten Kandidaten aufstellen, überlege ich es mir“, entgegnet seine Frau. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Alle am Tisch hoffen auf ein gutes Abschneiden von dem „mit dem Pferdeschwanz“, wie sie ­Iglesias wegen seiner Haarpracht nennen. „Wenn wir den zweiten Platz belegen, wie die Umfragen vorhersagen, muss uns die PSOE unterstützen, alles andere wäre Selbstmord“, zeigt sich Abad zuversichtlich. Seine Frau ist nicht ganz so optimistisch: „Und wenn sie doch eine große Koalition eingehen?“

Die kleinen Provinzen entscheiden

Es sind die kleinen Provinzen wie Guadalajara, die am Sonntag bei der Sitzverteilung den Ausschlag geben werden. Bei Unidos Podemos sind sie sich dessen bewusst. „Gegen Ende der Woche wird mich Pablo Igle­sias besuchen“, verrät Jérez. Es soll eine Überraschung werden. Pérez und Abad werden begeistert sein. „Iglesias ist der erste echte politische Führer seit dem jungen Felipe González“, schwärmt Paco Abad. Der So­zialist führte Anfang der 1980er Jahre seine Partei an die Macht.

Ariel Jérez will mit dem Spitzenkandidaten über die Hauptstraße von Guadalajara flanieren. „Das ist hier in der Provinz Tradition im Wahlkampf“, sagt er. Natürlich darf eines nicht fehlen: Kaffee und Kuchen in der Konditorei, wo die Tochter von Abad und Pérez arbeitet.

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