„Endlich umsetzen, was einst am Gelde scheiterte“

Bettina Probst ist die neue Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte. Mit der taz spricht sie über die geplante Neukonzeption des Hauses und über brennende Autos

Terror, Protest und/oder Zeitgeschichte: Das Museum für Hamburgische Geschichte wird bald ein bei G20 ausgebranntes Auto ausstellen Foto: Christophe Gateau/dpa

Interview Petra Schellen

taz: Frau Probst, werden Sie das Museum für Hamburgische Geschichte endlich modernisieren? Pläne gibt es ja seit Generationen von DirektorInnen.

Bettina Probst: Ja, denn jetzt ist das Geld da. Der Bund hat 18 Millionen Euro bewilligt, die Stadt gibt nochmal 18 Millionen dazu. Damit sind die Baumaßnahmen am und im Gebäude sowie die Neugestaltung der Dauerausstellung finanziert. Für vieles andere – Sonderproduktionen im Rahmen digitaler Medien oder die Restaurierung von Objekten – müssen wir allerdings Projekt-, Stiftungs- und Sponsorengelder einwerben.

Welche Exponate bleiben, welche kommen weg?

Die Kanonen werden ins Depot wandern, außerdem einige Schiffsmodelle und Dioramen. Stattdessen würde ich gern Objekte zeigen, die noch nie ausgestellt waren – wie das beim G20-Gipfel ausgebrannte Auto. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis einer umstrittenen Veranstaltung und einer für Hamburg typischen Protestkultur. Wir müssen das Wrack allerdings erst restaurieren, damit es keine giftigen Dämpfe ausdünstet. Generell kann ich sagen: Es wird weniger Exponate geben. Wir haben viele wunderbare Objekte, aber das Haus ist überfrachtet.

Wie wird die neue Dauerausstellung aussehen?

Im ersten Obergeschoss wird es einen thematisch-chronologischen Parcours mit Zeitstrahl geben, an dem man sich orientieren kann. Es geht uns aber nicht um das Aneinanderreihen von Ereignissen, sondern um Zusammenhänge. Zusätzlich soll es Verästelungen und Schwerpunkte geben: Objekte mit einer besonderen Geschichte, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Wir werden keine „Gesamtnarration“ anbieten; schließlich gibt es nicht „die eine“ Geschichte. Wir werden einerseits Themencluster mit Bezügen zur Gegenwart erstellen, andererseits wird es verschiedene Erzählstränge geben, die sich wie thematische Fäden durch die Ausstellung ziehen. Im zweiten Obergeschoss werden wir gezielter auf einzelne Schwerpunkte eingehen.

Welche?

Musikgeschichte zum Beispiel. Die kommt hier zu kurz – wobei wir natürlich auf das nahe Komponistenquartier mit seinen Ausstellungen zu Hamburger Komponisten verweisen werden. Auch fehlt die Geschichte der Medienstadt Hamburg, des Sports, der Vergnügungsstadt Hamburg. Die Cholera von 1892 wird Thema sein – mit Bezug zu Corona. Spannend finde ich auch die Geschichte des Bürgertums.

Inwiefern?

Wir wollen endlich umsetzen, was einst am Gelde scheiterte: die Präsentation zweier Räume der klassizistischen Landhaus-Villa Rücker nach den einstigen Plänen von Lauffer und Schumacher. Mit neuen Nutzungsmöglichkeiten im Museum zöge ein Stück Salonkultur ein, vielleicht mit Konzerten und Lesungen.

Wie steht es um die Geschichte der Arbeiter, des Gängeviertels, der Hafenstraße?

Das werden sicher Themen sein; sie gehören ja zur Geschichte der Stadt – wie auch Hamburg als Arrival City und die Migrationsgeschichte vieler Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen herkommen.

Vertiefen Sie die Geschichte der Hamburger Juden?

Zur Präsentation dieses Themas werden wir fachlichen Rat einholen. Dass es eine eigene Abteilung bleibt wie bisher, würde ich eher bezweifeln. Auch die Geschichte des Hafens werden wir nur anreißen. Sie ist im künftigen Hafenmuseum besser aufgehoben.

Wie werden Sie mit der NS-Zeit umgehen?

Sie wird definitiv mehr Raum einnehmen als bisher – wie das 20. Jahrhundert überhaupt.

Wie wollen Sie Mythen brechen – wie die „Harmlosigkeit“ des NS-Gauleiters Karl Kaufmann?

Es ist noch zu früh, darüber zu sprechen. Aber wir werden keine Heroen feiern und keine Mythen befeuern. Sondern wir wollen schauen: Wie entsteht so ein Mythos und wie bricht man ihn?

Und warum haben Sie das Berliner Humboldt-Forum im spannendsten Moment – kurz vor Eröffnung – verlassen?

Das stimmt so nicht. Ich war ja zuständig für die Planung und Präsentation, Einrichtung und Umzug des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ins Humboldt-Forum. Da laufen die Planungen seit über zehn Jahren, und als ich ging, waren sie so gut wie abgeschlossen. Jetzt geht es um die Umsetzung des Umzugs und Details der Gestaltung.

Wie beurteilen Sie die dortige Kolonialismus-Debatte?

Auch wenn es anders wahrgenommen wurde: Es ist nicht so, dass sich die Wissenschaftler und Kuratoren nie mit der kolonialen Herkunft von Objekten befasst hätten. Das haben sie getan – wenn auch nicht in dem Maße, wie es jetzt gefordert ist. Da hinken die Ethnologen hinterher – was unterschiedliche Gründe hat: fehlende Ressourcen, finanzielle und personelle Unterstützung. Deshalb ist es gut, dass die Debatte aufgeflammt ist und eine Diskussion in Gang gesetzt hat.

Welche Rolle wird Kolonialismus in der Neukonzeption des Museums spielen?

Vor einiger Zeit wurde ein Wissenschaftler eingestellt, der sich um Aspekte der Kolonialgeschichte kümmert. Wir legen großen Wert darauf, seine Erkenntnisse in die Dauerausstellung zu integrieren. Eine andere Kollegin ist zuständig für Diversität und Partizipation, damit verschiedenste Gruppen der Stadtgesellschaft einbezogen werden – analog zum Community Manager im Altonaer Museum.

Werden Sie Objekte ungeklärter, vielleicht kolonialer Provenienz kenntlich machen?

Foto: privat

Bettina Probst

ist seit November 2020 Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte. Zuvor war die Historikerin Stabs- und Projektleiterin in den Staatlichen Museen zu Berlin.

Wenn wir das klar identifizieren können – ja.

Werden Sie Einfluss auf die Kolonialismus-Erzählung des Hafenmuseums nehmen?

Ich selber nicht, aber natürlich werden wir uns stiftungsintern mit den KollegInnen abstimmen. Übrigens auch in puncto thematischer Überschneidungen. Künftig verzichten wir auf die große Installation zur Erkundung des Hamburger Hafens. Um den Verbleib des Hafenmodells von 1900 werde ich allerdings kämpfen: Es wurde auf der Pariser Weltausstellung gezeigt und kann als Beispiel für Innovation und Stadtentwicklung gelten.

Derzeit ist Ihr Museum wegen Corona geschlossen. Planen Sie einen virtuellen Rundgang?

Nein, wir haben andere Prioritäten. Da wir die 5.000 Quadratmeter große Ausstellungsfläche sanieren müssen, habe ich keine Kapazitäten, jemanden mit der Digitalisierung der Dauerausstellung zu beauftragen.

Wann starten die Bauarbeiten?

Das müssen wir mit den Gestaltern und Architekten besprechen. Sicher ist, dass wir das erste und zweite Obergeschoss für rund zwei Jahre schließen müssen. Neben der Neukonzeption lautet unsere vordringliche Aufgabe also: Wie bleibt das Museum während der Schließungszeit in der Stadt präsent?

Nämlich?

Entsprechende Kommunikations- und Marketingstrategien sind in Arbeit. Dann müssen wir Anträge schreiben, um sie zu finanzieren.