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Endlich SommerferienAb in den Süden?

Heiß hier – und eng! Neun Tipps, wie man trotz Klimakrise, überlaufener Hotspots und Touristenfallen noch Urlaub am Mittelmeer machen kann.

Sind jetzt alle da? So gemütlich ist es Ende Juli in Kroatien Foto: Ken Sicluna/plainpicture

Dalmatien ist eine beliebte Urlaubsregion am Mittelmeer. Mit schön gestaltetem Außenbereich: blaues Wasser („Karibikfeeling“), kleine Buchten („malerisch“), Inseln (über 1.000), hohe Berge (bis zu 1.762 Meter). Und gut durchdachtem Innenbereich: historische Städte (Illyrer, Griechen, Römer, Byzantiner, Osmanen, Venezianer, Habsburger, Napoleon), Ruinen (Illyrer, Griechen, Römer, Byzantiner, Osmanen, Venezianer, Habsburger, Napoleon) und die für den Urlaub unentbehrlichen Accessoires (Essen, Trinken, Heiterkeit).

Dalmatien hat damit nicht nur ein ähnliches Angebot wie die restlichen Mittelmeeranrainer, es hat auch die gleichen Probleme: zu viele Touristen. Einerseits hat man sie gerufen, weil man ganz gut von ihnen leben kann. Andererseits machen die jetzt alles kaputt. Lässt sich am Mittelmeer also überhaupt noch Urlaub machen? Ja. Wenn Sie folgende Punkte beachten:

1. Planen Sie Ihren Aufenthalt niemals zwischen 1. Juli und 31. August

Wenn Sie nicht Gegenstand eines kroatischen Sommerhits werden wollen, meiden Sie die Hochsaison. „Nemoj ići u japankama na Biokovo“ („Geh nicht mit Flipflops in den Biokovo“) heißt ein beliebter Popsong von Banda Turizam. Er handelt von Tourist*innen, die sich zwischen zwei Plansch­einheiten in Badesachen auf den Weg in das steil aus dem Meer aufragende Karstgebirge machen. Jedes Jahr sterben dort im Durchschnitt ein bis zwei Urlauber*innen, weil sie in die Dolinen fallen, die tiefen Trichter des für seine Löcher bekannten Karsts.

Die Autorin und das Buch

Doris Akrap wurde 1974 in ­Südhessen als Tochter eines dalmatinischen Gastarbeiters geboren. Im Frühjahr erschien ihr Buch „oh! Dalmatien“ (Folio Verlag Wien/Bozen, 163 Seiten, 20 Euro).

Hier gibt es kein GPS-Signal, keinen Kiosk mit Kaltgetränken und außerdem wird es da oben auch im Sommer recht kühl. Wenn Sie in eine Doline fallen, können Sie nur hoffen, dass irgendjemand rechtzeitig Ihre Abwesenheit bemerkt. An der Küste bleiben ist auch keine Alternative: Da ist es überall voll, heiß und laut.

2. Mit Kindern gilt erst recht: Meiden Sie die Hochsaison

In dem ganzen Gewusel, Geflirre und Geschrei („Mama, guck mal, wie ich untertauche!“, „Papa, guck mal, wie tief ich runterkomme!!“, „Oma, guck mal, wie lang ich die Luft anhalten kann!!!“) kriegen viele gar nicht mit, dass es das eigene Kind ist, was gerade wirklich absäuft. Zusätzlich müssen Sie in der Hochsaison neben hohen Eispreisen mittlerweile auch lebensgefährliche Tornados und Starkregen­ereignisse einkalkulieren. Wegen der Klimakatastrophe steigt außerdem die Temperatur des Mittelmeers so extrem an, dass die Adria eher einer Badewanne als einer Erfrischung gleicht.

Wozu der Stress? Kinder, die zur Schule müssen, haben auch Oster-, Pfingst- oder Herbstferien. Am Mittelmeer finden sich prima Verstecke für Haseneier und das Frühjahr zieht hier dem Außenbereich Klamotten an, die von Claudia Roth entworfen worden sein könnten. Die meisten Hotel- und Apartmentanlagen haben außerdem einen Pool, der in der Vorsaison beheizt werden kann. Dann macht ein Pool am Mittelmeer wenigstens Sinn – im Gegensatz zur Hochsaison, wo er nur genutzt wird, weil es viel zu stressig ist, den Nachwuchs, wegen dem man ja hierher gereist ist, am Strand zu beaufsichtigen.

3. Gehen Sie nicht abends ­essen, sondern mittags

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Der Mittagstisch ist die wichtigste Mahlzeit in Dalmatien. Umso weiter der Kalender voranschreitet, umso später ist Mittag: von April bis November zwischen 14 und 17 Uhr. In dieser Zeit ist es schlicht viel zu heiß, um irgendwas anderes zu tun, als bei geschlossenen Fensterläden unter künstlichem Licht zu sitzen und Mittag zu essen, ein Gleis Wein zu trinken und danach Mittagsschlaf zu machen. Wenn die Kinder nerven, kaufen Sie ihnen halt in drei Dalmatiner Namen Ćevape oder in fiesem Fett frittierte Kartoffelspiralen. Den teuren Drachenkopffisch, den Sie ihnen abends als Delikatesse verkaufen wollen, werden die eh verschmähen.

Wenn Sie Fleisch oder Frösche essen wollen, fahren Sie immer ins Hinterland und am besten gleich nach Bosnien. Lamm sowieso nur im Frühjahr und am besten auf den Inseln. Wenn Sie unbedingt Scampi essen wollen, fragen Sie, woher genau die kommen. Lautet die Antwort: Na, hier aus dem Wasser!, lassen Sie es bleiben. Scampi sind in der dalmatinischen Adria rar geworden, nur rund um die Inseln, vor allem um Vis, gibt es sie noch. Ein Wirt, der nicht genau weiß, woher seine Scampi stammen, der verschweigt vielleicht, dass seine Scampi gar keine Scampi sind, sondern norwegischer Hummer. Auch nett, hat aber mit Scampi und dem Mittelmeer so gut wie überhaupt gar nichts zu tun.

4. Zahlen Sie wie normale ­Menschen

Geben Sie immer 10 Prozent Trinkgeld. War vom Kellner bis zur Fleischtemperatur alles überdurchschnittlich, geben Sie etwas mehr. War alles total scheiße, geben Sie 20 Prozent und sagen Sie: „Ich glaube, Sie haben es nötig.“ Versuchen Sie, sich beim Zahlvorgang einfach so normalmenschlich wie möglich zu verhalten. Rechnen Sie also nicht aus, wie viele Gläser Wasser in eine Flasche passen, die Sie sich mit Menschen geteilt haben, die mit Ihnen am Tisch saßen. Ich weiß, Menschen mit deutschem Hintergrund fällt das schwer. Aber versuchen Sie es doch einfach mal.

Genießen Sie einen ausgelassenen Abend mit der ganzen Familie, laden Sie außerdem Freunde dazu ein und den Wirt auch noch auf ein Glas. Sagen Sie am Ende: „Der Abend geht auf mich“, übernehmen Sie die komplette Rechnung und Sie werden sehen, was Urlaub auch bedeutet: einfach loslassen. Auch das Geld.

5. Aufruhr, Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland

Verlagern Sie den Schwerpunkt Ihres Mittelmeerurlaubs ins Hinterland. Egal, ob Städte, Berge, Weidefläche oder Industriegebiet, hier sind in der Regel nicht nur weniger Tou­ris­t*in­nen unterwegs, sondern auch besondere Geschichten zu entdecken. Die Geschichte der Zivilisation an den Küsten des Mittelmeers lässt sich über Wikipedia schnell erschließen und die entsprechenden Infotafeln sind in den urbanen Zentren relativ gut ausgebaut. Doch in der dalmatinischen Zagora, der sizilianischen Madonie oder der andalusischen Sierra Nevada geht der Außenbereich so richtig in die Vollen. Und im Innenbereich wird es absolut einheimisch.

An den Küsten des Mittelmeers war es jahrtausendelang viel zu gefährlich für die Einheimischen, weil ständig irgendwer anlegte, der sich nahm, was er wollte. In der dalmatinischen Ravni Kotari gibt es beispielsweise den Felsen Ostrovica, einen Steinstapel, der sich auf dem einzigen Hügel in der weiten Ebene erhebt. Nur wer hochklettert, merkt, dass dieses abstruse Wesen der Rest einer handgemachten Festung ist und kein von Wind und Wetter ausgespültes Stück Fels.

Es waren die Venezianer, die sie im 17. Jahrhundert zerstörten – wie so vieles, was diese großen Seefahrer hier vorfanden. Ganz anders die Osmanen, die das, was sie entdeckten, für ihre Zwecke und nach ihrem Geschmack ummöblierten. Über die destruktive Energie der Venezianer aber wird in Dalmatien weit weniger negativ gesprochen als über die Kriege „der Türken“. Dass die Osmanen jedoch genauso wie die Venezia­ner Einfluss auf das Leben in Dalmatien hatten, wird man an der Küste nie erfahren.

6. Nehmen Sie nur Souvenirs aus Gold mit

Ein Kühlschrankmagnet als Souvenir ist immer okay. Alles andere kriegen Sie in der Regel mittlerweile auch in mediterranen Läden Ihrer Heimatstadt. Es gibt eigentlich nur eines, was Sie ansonsten vom Süden Europas mit nach Hause bringen sollten: das Gold des Mittelmeers. Egal, wo Sie sind, erkundigen Sie sich nach dem besten Olivenanbaugebiet der Region. Fragen Sie immer nach lokalem Olivenöl. Besuchen Sie Olivenölbauern. Es muss auf der Zunge prickeln, im Hals kratzen und einen Hustenreiz auslösen. Alles andere ist vom Discounter.

7. Meiden Sie Orte, die Sie auf Instagram gesehen haben

Egal, wie verlockend und einsam es auf dem Foto aussieht. Die Quelle des Flusses Cetina in Dalmatien beispielsweise. Sie entspringt unterirdisch aus dem Fels und bildet einen glasklaren, herzförmigen Teich, dessen Blau in der Mitte dunkel ist und an den Rändern immer heller wird – blöderweise extrem instagrammable. Bis vor einiger Zeit kannten diesen abgelegenen Ort nur Einheimische. Seit ein Depp das nun als „Auge Dalmatiens“, „Auge Kroatiens“ oder „Auge der Welt“ um den Globus geschickte Kleinod auf Social Media bekannt machte, ist der Ort ein „Geheimtipp“, der keiner mehr ist.

Als ich im Spätsommer vergangenen Jahres am Ende der Holzstufen ankomme, die zur Quelle hinabführen, ist eine französische Familie mit zwei Kindern gerade dabei, ins Wasser zu springen. Ich weise sie auf die Schilder hin, wonach das Baden hier strikt verboten ist, und darauf, dass sie gerade das Trinkwasser von hunderttausend Menschen verunreinigen. Die Mutter guckt mich ungläubig an: „But the dogs also go in“, sagt sie und zeigt auf drei Straßenköter, die sich am Rand der Quelle die Pfoten kühlen.

Tou­ris­t*in­nen denken, sie hätten die gleichen Rechte wie Straßenhunde. Sie dürfen alles, schließlich zahlen sie ja auch dafür. Würden sich die Tou­ris­t*in­nen im Spiegel der Wasseroberfläche als Deppen wiedererkennen?

8. Reduzieren Sie Ihren ­eigenen Willen

Das wichtigste Wort in Dalmatien lautet „Može!“. Es bedeutet so viel wie: „Geht klar!“ Es wird bei allen möglichen Gelegenheiten in verschiedenen Varianten benutzt. Was es aber nie bedeutet: dass man sich auf dieses Versprechen verlassen kann. „Može!“ will dem Gegenüber lediglich das Gefühl geben: Alles ist möglich, wir sind hier schließlich im Paradies.

Merken Sie sich aber unbedingt, dass auch die Frage, ob Sie noch ein Glas Wein möchten, „Može?“ lautet und die einzig richtige Antwort darauf: „Može!“. Wenn Sie so weit sind, ist es zur Fjaka nicht mehr weit – so nennen die Dal­ma­ti­ne­r*in­nen den Zustand, den die Italiener als „dolce far niente“ vermarkten. Wenn Sie von den oft eher unwirschen Dal­ma­ti­ne­r*in­nen ernst genommen werden wollen, üben Sie folgenden Dialog und Ihnen stehen die Türen zu den privaten Wein-, Schnaps- und Schinkenkellern weit offen:

„Oooo!“ – „Eeee!“ – „I?“ – „Aaa!?!“ – „Uuu.“ – „Ae!“

9. Hören Sie den Astronauten zu

Diskutieren Sie mit Einheimischen nicht über Impfungen, Trump, Putin oder Brüssel. Ob in Palermo, Podgora oder Paderborn, solche Diskussionen, die vermeintlich völkerverbindend sein sollen, enden in schlechter Laune oder Schlägereien. Der einfachste Weg, herauszubekommen, wie die Leute ticken, deren Land Sie besuchen, ist das Radio. Hören Sie tagein, tagaus den Popsender des Landes und lassen sich von der KI die Texte übersetzen.

Sie werden mehr erfahren, als wenn Sie die lokalen Zeitungen lesen. Einerseits wird es sehr viel um die schöne Heimat und die dramatische Liebe gehen. Sie werden aber auch von Astronauten wie Valentino Boškovic hören, der im Mittelalter mit einer Holzrakete auf den Mars flog, weil es ihm zu engstirnig, kleingeistig und ungemütlich auf seiner dalmatinischen Insel wurde.

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