Endlich 18 – Plädoyer für das Smartphone: Den ganzen Tag nichts anderes
Kamera, Taschenrechner, Walkman – und alle Freunde sind immer mit dabei. Man muss nur wissen, wie man Smartphones vernünftig einsetzt.
W ie oft ich mein Smartphone täglich in die Hand nehme? Das ist die falsche Frage. Richtig wäre: Wie oft lege ich es überhaupt aus der Hand? Mein Smartphone ist meine Zeitung, mein MP3-Player, mein Taschenrechner, meine Kamera. Und mein ganzer Freundeskreis.
Andere Frage: Wie oft stehen Sie einfach da und tun gar nichts? Lesen kein Buch, hören keine Musik, unterhalten sich nicht? Ziemlich selten, oder? Nun, so geht es mir auch. Nur dass sich alle diese Tätigkeiten bei mir eben in einem kleinen Gerät konzentrieren.
Unterwegs google ich mal schnell, wie ich von A nach B komme, ich schaue nach, wann dieses oder jenes Geschäft öffnet, wann noch mal der Kinofilm beginnt. Sitze ich im Bus, dann stecke ich mir die Stöpsel ins Ohr und lausche TKKG-Hörspielen. Das haben Sie früher auch gemacht, oder? Nur habe ich dabei eben keine Rückenschmerzen, weil ich keinen Rucksack mit Walkman, Kamera, Buch und Stadtplan mit mir herumtragen muss.
Die Rufe von Erwachsenen, dass das Smartphone die Kommunikation verhindert, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kommuniziere doch permanent! Seit ich mein neues Smartphone habe, also seit einem Dreivierteljahr, habe ich 48.641 Nachrichten gesendet und 53.938 Nachrichten empfangen. Das sind etwa 400 Nachrichten pro Tag. Ich habe diesen Text kurz vor Weihnachten geschrieben. Wenn Sie ihn lesen, sind wahrscheinlich weitere 3.000 Nachrichten dazugekommen, die hin und her gingen.
Für Sie hört sich das wahrscheinlich an, als wäre Ihr Albtraum wahr geworden. Für mich ist es Alltag. Und ohne mein Smartphone würde der zusammenbrechen.
Früher musste man sich nach der Schule treffen, wenn man eine Gruppenarbeit erledigen musste. Man musste in Bibliotheken gehen, Bücher kopieren – und sich mit den anderen zusammentelefonieren. Heute googelt man die Infos und tauscht sich dann per Whatsapp aus. Nachfragen sind fix beantwortet. Natürlich hat es seine Vorteile, wenn man sich persönlich trifft, aber nach einem Schultag, der bis 15.30 Uhr dauert, bin ich froh, wenn mir die einstündige Busfahrt zu den Klassenkameraden erspart bleibt.
Es ist ein Arbeitsinstrument. Lasst uns trainieren!
Das Gerät, das für Sie vermutlich eher das Image eines Gameboys hat, ist inzwischen eben auch ein Arbeitsinstrument. Leider wird es in der Schule immer noch verdammt. Im Klassenzimmer, in den Schulfluren, im Pausenhof – überall ist das Smartphone theoretisch verboten. Natürlich benutzen wir es trotzdem heimlich.
Überlegen Sie doch mal: An den meisten Arbeitsplätzen ist das Handy erlaubt. In den modernen Büros geht nichts mehr ohne Laptop und selbst ein Diensthandy gehört zum Standardequipment. Warum sollte den Schülern der Umgang damit verboten werden, um nach ihrem Abschluss selbstverständlich zu erwarten, dass sie sich damit auskennen?
, 17, geht in die 11. Klasse des Vincent-Lübeck-Gymnasiums in Stade.
Wie sollen wir einen angemessenen Umgang mit dem Smartphone erlernen? In der Schule könnten Kinder und Jugendliche in einem geschützten Rahmen über die Möglichkeiten, aber auch Gefahren aufgeklärt werden.
Wir hatten mal eine „Handyecke“ in der Schule – allerdings wurde dort dann auch geraucht. Ich hatte also die Wahl zwischen Handyabstinenz und Lungenkrebs. Ich habe mich dann für die Abstinenz entschieden beziehungsweise für die heimliche Nutzung – und inzwischen wurde die Handyecke auch wieder abgeschafft. Aber diese Regelungen sind doch lächerlich, einen guten Umgang lernen wir so nicht.
Alle wichtigen Menschen sind mir ganz nah
Ich lege das Smartphone auch deshalb so selten aus der Hand, weil es die Kommunikation beschleunigt – und ich allen Menschen, die mir wichtig sind, ständig ganz nah bin. Besonders wichtig war mir das, als ich vor einem halben Jahr für drei Monate in Costa Rica war. Meine Eltern waren immer erreichbar, ich musste keine teuren Ferngespräche führen, und ich konnte sie immer um Rat fragen, wenn ich nicht weiterwusste. Wenn mir der Austausch mal zu viel war und ich Heimweh hatte, habe ich meinem besten Freund geschrieben, der hat mich schnell wieder aufgemuntert.
Außerdem war das Smartphone ein Schlüssel, um mir das fremde Land zu erschließen. Ich konnte kaum ein Wort Spanisch und hatte keinen Plan von meiner Stadt Atenas, die, zu allem Überfluss, auch noch an jeder Ecke gleich aussah! Ich fand es faszinierend, dass selbst diese kleine Stadt am anderen Ende der Welt bis ins Detail bei Google Maps abrufbar war. Ohne Smartphone hätte ich mich bestimmt viel öfter verlaufen – oder wäre sprachlos gewesen, weil mir eine Vokabel nicht einfallen wollte.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Auch heute genieße ich die Möglichkeit, mal eben schnell mit meiner Gastfamilie zu schreiben. Ohne Smartphone hätten wir viel schneller den Kontakt zueinander verloren.
Trotzdem möchte ich eins festhalten: Offline sein ist genauso schön! Und ja, auch das bekommen wir hin! Den Moment genießen. Einfach mal abschalten und ignorieren, was die anderen sagen, denken und machen. Wenn ich abends mit meiner Freundin noch mal spazieren gehe und wir über Gott und die Welt reden, dann kommt das Smartphone in die Tasche!
Na gut, eine Ausnahme gibt es … die integrierte Taschenlampe, denn ich stolpere auch über einen Kieselstein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier