Ende eines Höhenflugs: Holstein Kiel landet in der Realität
Beim Überraschungsteam der Zweiten Fußball-Bundesliga läuft es nicht mehr so reibungslos wie in der Hinrunde. Die Leichtigkeit ist weg. Außerdem drohen dem Klub Abgänge.
Die lange euphorische Stimmung beim Fußball-Zweitligisten Holstein Kiel nähert sich langsam, aber sicher normalen emotionalen Sphären an. Plötzlich ruckelt die im ersten Halbjahr noch so reibungslos funktionierenden Kombinationsmaschinerie; es fehlen die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit des oft bestaunten Gegenentwurfs zum obligatorischen Sicherheitsdenken in der Zweiten Bundesliga. Willkommen in der Realität!
Die begann – genau genommen – bereits am 2. Dezember des vergangenen Jahres. Schon während des Gipfels zwischen Holstein und Fortuna Düsseldorf sorgte die Meldung, der 1. FC Köln sei massiv an einer Verpflichtung von Störche-Cheftrainer Markus Anfang noch im Winter interessiert, für kollektive Unruhe. Treuebekenntnisse seitens des Umworbenen, dessen Kontrakt bis zum 30. Juni 2019 nur für die Zweite und nicht für die Erste Liga gilt, blieben aus.
Auch Leistungsträger wie Top-Scorer Ducksch oder Mittelfeld-Feingeist Dominick Drexler sahen sich plötzlich von anderen Klubs umworben. Eine neue Situation für die intakte Holstein-Familie, die stets den Teamspirit als sportlich größtes Faustpfand gepriesen hatte. „Es gibt nur diese eine Karriere“, lautet heute Anfangs Ansage an seine Profis – und offenkundig auch an sich selbst. Super-Techniker Drexler schließt einen Wechsel im Sommer trotz eines Vertrages bis 2020 nicht mehr aus.
Die äußeren Einflüsse im Haifischbecken Profifußball haben bei Holstein Kiel Wirkung gezeigt – negative Wirkung. Wie auch bisher weitgehend Unbekanntes wie Verletzungspech, Sperren oder Krankheiten von Eckpfeilern des Systems. Mit 6,7 Millionen Euro beziffern die Verantwortlichen offiziell den Personaletat.
Damit stehen die Störche am Ende der Nahrungskette in Liga zwei. Ganz im Gegensatz zum realen Tabellenbild. Das führt die Kieler immer noch auf Relegationsrang drei. Ein Missverhältnis, das nicht nur für den weiteren Saisonverlauf Spannung verspricht.
Sportchef Ralf Becker hat erklärt, unabhängig vom sportlichen Erfolg bleibe in Kiel der große Geldhahn geschlossen. Das ist eine klare Aussage pro kaufmännischer Vernunft in Zeiten des wirtschaftlichen Wahnsinns im Fußball. Es bedeutet aber auch eine strategische Ausrichtung, die das Risiko unkalkulierbarer personeller Wechsel nach Ablauf dieser wundersamen Kieler Saison beinhaltet.
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