Ende des Zwei-Parteien-Systems: Spanien vor zäher Regierungsbildung
Die Konservativen von Ministerpräsident Rajoy haben die Wahl gewonnen. Doch Podemos und Ciudadanos sind stark. Wen das an die Regierung bringt, ist noch offen.
Abgestraft wurden nach ihrem ohnehin schwachen Abschneiden im Jahr 2011 auch die Sozialisten (PSOE). Podemos-Chef Pablo Iglesias beschwor „die Geburt eines neuen Spaniens.“ Doch pochte Rajoy darauf, weiterregieren zu wollen. Die Suche nach Koalitionspartnern dürfte sich jedoch für alle Parteien als sehr schwierig erweisen.
Über Jahrzehnte hinweg hatten sich die konservative PP und die Sozialisten an der Macht abgewechselt. Kleinere Parteien nutzten sie bei Bedarf als Mehrheitsbeschaffer für einzelne Abstimmungen im Unterhaus. Doch nach Auszählung von 99,9 Prozent der Stimmen holte die PP diesmal 123 von 350 Sitzen im Parlament – und blieb damit weit unter den 186 Mandaten, die sie vor vier Jahren bei einem Erdrutschsieg über die Sozialisten bekommen hatte. Auf Platz zwei landete PSOE mit 90 Sitzen, gefolgt von der ultralinken Podemos mit 69 Sitzen. Viertplatzierter wurde die bürgerliche Partei Ciudadanos.
Podemos-Chef Iglesias sagte: „Spanien wird nicht mehr dasselbe sein, wir sind glücklich. Unser Kampf gegen Korruption geht weiter“, erklärte der 37-jährige Politikdozent auf Englisch vor Anhängern in Madrid. Ähnlich äußerte sich Ciudadanos-Führer Albert Rivera. Die Wahl markiere den Start einer neuen Ära, vor allem für junge Spanier wie ihn, die nach der Diktatur von 1939 bis 1975 geboren worden seien, sagte der 36-Jährige. „Jene, die den ersten demokratischen Übergang nicht erlebt haben, erleben jetzt den zweiten.“
„Ruck nach links“
Doch betonte Regierungschef Rajoy vor rund 200 Unterstützern vor dem PP-Hauptquartier: „Diese Partei ist immer noch Kraft Nummer eins in Spanien.“ Wer eine Wahl gewinne, müsse auch versuchen, eine Regierung zu bilden. Was Spanien brauche, sei eine stabile Regierung, die im Parlament Rückendeckung habe. Wie er eine Koalition zustande bringen will, sagte Rajoy jedoch nicht.
Sozialisten-Chef Pedro Sánchez erklärte indes, der Wahlausgang zeuge von einem Wählerwunsch nach einem „Ruck nach links.“ Er und seine Partei seien bereit für „zum Dialog, zur Debatte und zu Einigungen.“
Die Sozialisten könnten sich mit Podemos und Ciudadanos zu einem Dreierbündnis zusammentun. Möglich wäre auch ein Deal zwischen den Sozialisten und Podemos sowie kleineren regionalen Parteien wäre möglich. Eine Große Koalition aus Konservativen und Sozialisten hatte Spanien noch nie.
Rajoy hatte Spanien nicht zuletzt mit Sparmaßnahmen und einem EU-Kredit für das angeschlagene Bankensystem aus der schweren Wirtschaftskrise geführt und wieder ein starkes Wirtschaftswachstum erreicht. Die Arbeitslosenquote liegt aber immer noch bei 21 Prozent. Zudem brach Rajoy sein Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen. Sein Sparkurs führte zudem zu harten Einschnitten im Gesundheitswesen und bei der Bildung.
Viele Spanier ärgert auch, dass Politiker und führende Geschäftsleute bei Korruptionsfällen scheinbar straflos davon kommen. Podemos versprach ein Ende des Sparkurses, Ciudadanos vor allem den Kampf gegen Bürokratie.
Rund 36,5 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, Vertreter für das Abgeordnetenhaus und den Senat zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 73,2 Prozent, vor vier Jahren betrug sie noch 68,9 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland