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Ende der Anarchie in BelgienVermissen Sie Daniel Bahr?

Es mehren sich die Anzeichen, dass Belgien nach 15 Monaten wieder eine Regierung bekommt. Schade, ohne Machthaber hat es doch auch ganz gut funktioniert.

Die Vielfalt der Pommessaucen hat nicht unter einer abwesenden Regierung gelitten. Bild: ap

Fünfzehn Monate lang verfügte Belgien über keine Regierung. In dem Ministaat im Herzen Europas entfaltete sich ein bizarres Gerangel um Sprachen, ethnische Zugehörigkeiten und eben die Regierungsbildung. Im Ausland machte das Wort vom "failed state" die Runde. Das Land, in dem das politische Zentrum der Europäischen Union liegt, ein Staatswrack wie Haiti oder Somalia?

Mit entsprechender Erleichterung wurde allgemein aufgenommen, dass sich die Parteien nun - immerhin - erstmals nähergekommen sind. Jetzt also verkündete Verhandlungsführer Di Rupo, eine "erste Etappe", gar ein "wichtiger Schritt vorwärts" sei erreicht. Möglicherweise also gelingt es den Belgiern, noch bis zu den nächsten Parlamentswahlen tatsächlich so etwas wie eine Regierung zu implementieren.

Worum geht es da eigentlich? Man könnte jetzt endlos ein Streitthema nach dem anderen vorstellen, denn die politische Klasse des Landes kämpft um so zentrale Fragen wie den Zuschnitt des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde und darum, ob französischsprechende Bürger auch weiterhin auf frankofonen Wahllisten wählen dürfen oder nicht. Oder so ähnlich. Wenn man die Sache ernst nimmt, gibt es bestimmt viele gewichtige Gründe für den Verbleib oder die Versetzung jedes einzelnen Kaffs irgendwohin. Wenn man die Sache ernst nähme, nähme man allerdings auch die Grundannahme des Streites ernst: nämlich dass sich da zwei Belgier-Fraktionen bekriegen, die sich auf ihre jeweils eigenständige Kultur berufen, obwohl sie doch alle Fritten fressen, eine erfreuliche Vielzahl an Saucen dafür bereithalten und ansonsten ausgesprochen schmackhaftes Bier mit viel zu hohem Alkoholanteil in sich hineinkippen, weil man den Quatsch sonst ja gar nicht ertragen könnte. Will man das wirklich? Wird nicht jede Einigung bei der Regierungsbildung diesen Irrsinn weiter zementieren?

Die Vielfalt der Pommessaucen

Und vor allem: Funktioniert das Land nicht eigentlich ohne Regierung mindestens genauso gut?

Die Vielfalt der Pommessaucen hat nicht darunter gelitten. Der Alkoholgehalt im Duvel wurde nicht abgesenkt. Und wen kümmern die Wählerlisten von Brüssel-Halle-Vilvoorde, wenn es ohnehin nichts zu wählen gibt? Wenn keiner mehr da ist, der den Menschen etwas vorschreiben kann, kann sich auch niemand darüber beklagen, dass er es nicht auf Flämisch oder Französisch macht. Wenn es ohnehin keine staatlichen Direktiven mehr gibt, kann man sich auch nicht ungerecht von ihnen behandelt fühlen. Dann muss man eben irgendwie mit den Leuten klarkommen, die gerade in der Nähe sind. Ganz egal, was die sprechen. Vielleicht wird Belgien damit sogar zum Modell!

Und wenn man den gegenwärtigen Zustand der deutschen Bundesregierung betrachtet - das ist doch auch nicht mehr sehr weit davon. Außerdem: Hat eigentlich irgendwer Kristina Schröder vermisst, als sie in der Babypause war? Würde jemand es überhaupt bemerken, wenn Daniel Bahr einfach verschwinden würde?

Sicher, irgendwer muss Reden auf Ärztekongressen halten, das ist schon wichtig. Aber kann das Eckart von Hirschhausen letztlich nicht viel besser?

Gibt es Volksaufstände?

Und blicken wir weiter auf die supranationale Ebene: Wird nicht bei der EU, erst recht bei der UN auch ständig bemängelt, dass die eigentlich politisch beschlussunfähig seien? Dass sie nichts Wichtiges bewirken können? Weht da nicht auch ein Hauch von belgischer Regierungslosigkeit durch die Gremien, Parlamente, Kommissionen?

Die Probleme fangen doch eigentlich immer erst dann an, wenn ein Staat tatsächlich mal entschlossen regiert wird. Mubarak und Gaddafi kann man zweifellos eine Menge vorwerfen, aber sicher nicht, dass sie sich geweigert hätten, zu regieren.

Im Umkehrschluss aber: Gibt es Volksaufstände und Städtekämpfe in Belgien?

Das belgische Parlament hat also einen ersten wichtigen Schritt zur Bildung einer Regierung getan. Schade eigentlich, da werden die ruhigen Zeiten dort wohl bald wieder vorbei sein. Und irgendwelche Leute schlagen sich die Köpfe ein, weil sie nicht gemeinsam im Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde auf dieselbe Wahlliste wollen. Da wird sich mancher vielleicht mit nostalgischem Lächeln zurückerinnern an die Zeit, als einfach niemand da war, um zu regieren.

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11 Kommentare

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  • A
    Anonym

    Leider wurde Anarchie fälschlicherweise für den mit der Abwesenheit von Regierung gleichgesetzt. Anarchie ist jedoch vielmehr als das ...

     

    "Anarchie bedeutet somit für Anarchisten, dass jeder Mensch sich ohne unterdrückende Autorität und in freier Assoziation mit anderen Menschen entfalten kann. Eine solche Organisationsstruktur wird hierarchie-, zwangs- und gewaltfrei gedacht [12][13] und sollte nicht mit einer herkömmlichen Verwaltung verwechselt werden. Eine anarchistische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der jeder Mensch selbst beziehungsweise in Kooperation mit anderen für die eigenen Lebensumstände Verantwortung übernimmt. Es gibt keinerlei lenkende Zentralgewalt. Sanktionen gehen nicht von einer Führungsschicht aus, sondern sind nur möglich, wenn vorher vereinbarte Regeln verletzt wurden [14]. Als weitestgehende Konsequenz wird dabei der Ausschluss aus der kommunalen Gemeinschaft angeführt [12] Die Anarchisten wollen die Gesellschaft sich selbst regeln lassen, etwa über Räte, freie Übereinkunft oder rein funktionale Entscheidungen, mit den Worten von Pierre Joseph Proudhon: „Anarchie ist Ordnung ohne Herrschaft""

    https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Anarchie#Gesellschaftsmodell_im_Anarchismus

  • JS
    Jürgen Schramm

    Selbst als wohlmeinender Beobachter kann man über die "belgischen Verhältnisse" nur traurig den Kopf schütteln.

    Sicher ist das geschichtliche Verhältnis zwischen Wallonen und Flamen schwierig, und plakative Urteile sind keineswegs angebracht.

    Interessant wäre sicher einmal eine Analyse, wer in Belgien eigentlich ein Interesse daran hat, dass der Status quo fortbesteht. Wie wäre es denn um die Macht derer bestellt, die derzeit "hochwichtige" Verhandlungen führen und so für die Zukunft Belgiens "unverzichtbar" erscheinen. Würde man sich jetzt auf einmal dauerhaft einigen, wären viele viele Leute von heute auf morgen Einfluss, Macht und Posten los ...

    Ich denke, hier werden historische Animositäten und Ressentiments von interessierten Kreisen zu deren Macherhalt instrumentalisiert - sicher nicht der einzige, aber doch ein Aspekt der Krise in Belgien ...

  • V
    vic

    @ Piefke

     

    "kleine lächerliche Spitzen" für eine kleine lächerliche Partei.

  • RB
    Ralf Becker

    Es gibt doch nix schöneres, als über etwas zu lästern, von dem man offenbar überhaupt keine Ahnung hat, gelle?

  • LH
    Leo Hermanns

    Ich bin Belgierin, und wir können mehr als nur Fritten (Ja, es heisst Fritten und nicht Pommes, also auch: Frittensaucen und nicht Pommessossen!) essen und Bier trinken! Das Bier hat wenigstens Alkoholgehalt und Geschmack, da muss man sich nicht unsinnigerweise einen ganzen Kasten Bit oder Köpi runterzwängen.

     

    Die Theorie ist ja ganz süss, dass sie allerdings nur auf kulinarische Gemeinsamkeiten runterzubrechen ist, scheint doch nicht gut durchdacht. Schade...

     

    Und zur Berichtigung zum Schluss: Es ist nicht so, als habe es in den letzten 15 Monaten keine Regierung gegeben. Die Übergangsregierung konnte sogar trotz eingeschränkter Kompetenzen einen Haushalt verabschieden.

  • KW
    kleiner Witzbold

    Wer ist Daniel Bahr? ;o)

  • V
    vic

    Die vollständige Abwesenheit von sprechblasenlabernden Regierungen ist eine schöne Vorstellung.

    Und wie sagte das FDP Chefchen noch gleich:

    "Es darf keine Denkverbote geben"

  • P
    Piefke

    Und was hat die Überschrift jetzt mit dem Thema zu tun? Oder müssen jetzt schon belgische Staatskrisen herhalten für eine kleine lächerliche Spitze gegen einen FDP Politiker? Arm!

  • P
    polyphem

    "Vermissen Sie Daniel Bahr?" Haha.

    Wie kann mensch etwas vermissen, wovon sie/er nicht weiß, dass es existiert?

  • R
    reni

    Wir auch, wir auch! Kleiner Tip: Wir sollten auf baldige Neuwahlen hinarbeiten - wir haben nämlich gerade kein gültiges Bundes-Wahlrecht.

  • D
    deviant

    Ich muss zugestehen: Ich habe nichtmal mitbekommen, dass Daniel Bahr überhaupt da ist - der macht wohl das einzige, was man heutzutage als FDP-Minister noch tun kann, ohne dass die eigene Popularität komplett zum Teufel geht: Fresse halten, wegducken und bloß nichts tun, dass einen mit der FDP in Verbindung bringt.