Elitenforscher über Reichtum: „Milliarden steuerfrei vererbt“
Deutschland braucht eine Vermögenssteuer. Doch dafür fehle der politische Wille, bemängelt der Sozialwissenschaftler Michael Hartmann.
taz: Herr Hartmann, die neue DIW-Studie zeigt mal wieder, dass sich viel Vermögen in wenigen Händen konzentriert. Wie kann das sein?
Michael Hartmann: In Deutschland gibt es sehr viele Familienunternehmen: Jedes zweite der hundert größten Unternehmen ist in Familienbesitz, selbst so große Unternehmen wie BMW, Merck, und Henkel. In anderen Ländern gibt es einen deutlich geringeren Prozentsatz an Familienunternehmen. Das Erbschaftssteuergesetz von 2009 ist für solche Unternehmen besonders günstig.
De facto ermöglicht es steuerfreies Vererben von großen Unternehmensvermögen. Das Gesetz über die Erbschaftssteuer für Familienunternehmen wurde immer so präsentiert, als ob es um größere Handwerksunternehmen ginge. Im Wesentlichen aber geht es um große und sehr große Unternehmen. Die Stiftung Familienunternehmen hat für das Gesetz starke Lobbyarbeit gemacht. Wenn man sich anguckt, wer da im Präsidium sitzt, dann sind das keine kleinen Unternehmen.
Sondern?
Der Soziologe war bis 2014 Professor an der technischen Universität Darmstadt. Er publiziert und forscht zu den Themen Elite und Vermögen.
Sondern Konzerne wie Henkel, Haniel oder Kärcher. Das Bundesverfassungsgericht hat dann ja auch entschieden, dass das Gesetz nicht verfassungskonform ist. Da werden Milliarden steuerfrei vererbt. Die veränderte Fassung von 2016 hat daran kaum etwas geändert. Es gibt noch einen weiteren Faktor, der die Zustände in Deutschland historisch erklärt: In fast allen Industrieländern gab es eine spürbare Abnahme der Vermögenskonzentration während der 1930er Jahre. Entgegen gängigen Vorstellungen war das in Deutschland nicht so. Die Nazis haben eine außerordentlich unternehmerfreundliche Politik betrieben.
Was muss auf politischer Ebene passieren, damit die Zustände sich verbessern?
Im Grunde müsste man bei der Eigentumsstruktur der großen Unternehmen ansetzen, aber das ist derzeit wohl unmöglich. Deshalb konzentriere ich mich immer auf die steuerlichen Fragen. Die Statistiken in Sachen Erbschaftsteuer für Unternehmen zeigen: Je kleiner das vererbte Vermögen, desto höher der Steuersatz. Man müsste die Vermögenssteuer in Deutschland in Kraft setzen. Denn die Zahlen über die Vermögensverteilung sind ja nicht neu. Die kenne ich seit fast zehn Jahren. Jedes Mal ist die Aufregung groß, aber es passiert nichts.
Machen andere Länder es besser?
Nur sehr begrenzt. In den meisten europäischen Staaten ist die Kluft nicht so groß wie in Deutschland, aber sie ist überall groß und sie ist überall gewachsen. Wenn man sich anschaut, wie viele Multimillionäre es gibt, dann rangiert Deutschland hinter den USA und China immer auf Platz drei, weit vor Frankreich oder Großbritannien. Bei den Milliardären hat Deutschland sogar doppelt so viele wie Großbritannien und dreimal so viele wie Frankreich.
Ist das auch ein Problem der Transparenz?
Ja, es ist immer noch nicht richtig erfasst, wer was besitzt. Die, die wirklich reich sind, haben kein Interesse daran, dass es transparent wird. Die sind über die Zahlen glücklich, die zumeist veröffentlicht werden, weil ihr Reichtum dort stark unterschätzt wird. Transparenz bedeutet in jedem Falle, dass man nachfragt: Wo kommt das her? Und wo geht das hin? Auch die Bundesregierung blockiert auf EU-Ebene seit Jahren die Vorhaben, Transparenz über Gewinne herzustellen.
Warum?
Unternehmen wie Amazon, Google zahlen Steuern nur im Promille-Bereich. Wenn die angemessene Steuern zahlen würden, wären das auch für Deutschland Zusatzeinnahmen. Auf der anderen Seite müssten dann aber auch deutsche Firmen zum Beispiel aus der Autoindustrie höhere Steuern in anderen Ländern zahlen, und da befürchtet die Bundesregierung offenbar Einbußen. Was letztlich heißt, dass jeder auf Länderebene guckt, was sich lohnt, und nicht, was es für die EU insgesamt bedeutet. Deshalb werden solche Vorhaben regelmäßig von den Steueroasen Niederlande, Luxemburg oder Irland blockiert, aber eben auch von Deutschland.
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