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Elias Bierdel über Flüchtlingsrettung„Die Marine ist nicht da, um zu helfen“

Mit der „Cap Anamur“ rettete Elias Bierdel afrikanische Flüchtlinge – und sollte dafür in Italien ins Gefängnis. Er spricht von einem „unhaltbaren Widerspruch“.

Afrikanische Flüchtlinge auf dem Schiff „Cap Anamur“, 2004. Ihre Rettung war illegal. Bild: dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Bierdel, Italien hat seine Militärpräsenz im Mittelmeer verstärkt, um weitere Flüchtlingsunglücke zu verhindern. Ein richtiger Schritt?

Elias Bierdel: In der Tat ist unmittelbares Handeln erforderlich. Die Frage ist nur, ob verstärktes Militär den Menschen helfen wird.

Warum nicht? Italien hat die frühere Praxis der direkten Zurückweisungen doch offenbar derzeit eingestellt.

Elias Bierdel: Erstens sind Kriegsschiffe für die Seenotrettung kleiner Schlauchboote schon technisch völlig ungeeignet. Es bräuchte vielmehr Einheiten, die ausgestattet sind wie etwa die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Zweitens war es bislang keineswegs das Problem, dass die Boote nicht gesehen worden wären. Das italienische Militär spielt da eine überaus unrühmliche Rolle. Das Mittelmeer ist seit Jahren eine hochmilitarisierte Zone, als Teil des „Kampfes gegen den Terror“. Da wird jedes Boot registriert. Doch die Marine ist nicht da, um zu retten.

Sondern?

Ich kenne Fälle, in denen die Marine gegen Fischer vorgegangen ist, die Schiffbrüchige an Bord hatten. Man nimmt in Kauf, dass viele sterben, um Retter davon abzuhalten, Flüchtlingen in Seenot zu helfen.

dpa
Im Interview: Elias Bierdel

53, arbeitet bei der Hilfsorganisation Borderline Europe. Er stand in Italien vor Gericht, weil er mit der „Cap Anamur“ 37 afrikanische Schiffbrüchige nach Sizilien gebracht hat.

Die italienische Regierung ist erst seit sechs Monaten im Amt, nach dem letzten Unglück ist die Debatte durchaus in Bewegung geraten. Verdient sie keinen Vertrauensvorschuss?

Die Reaktion des italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta war schon außergewöhnlich. Er ist niedergekniet, hat Staatstrauer für die Toten angeordnet. Gleichzeitig steht Seenotrettung noch immer als Beihilfe zur illegalen Einreise unter Strafe. Deswegen sind wir damals auch mit der „Cap Anamur“ vor Gericht gelandet. Das ist ein absolut unhaltbarer Widerspruch.

Italien verbindet die Ankündigung seiner Militäroperation mit einem Appell an Europa: Die Union müsse die Staaten an den Außengrenzen stärker unterstützen.

Länder wie Deutschland müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie die gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa blockiert. Solange sie dies tun, wird es für Malta und Italien immer einen Grund geben, die Flüchtlinge im Stich zu lassen. Gleichzeitig brauchen wir endlich die Öffnung legaler Wege für Schutzsuchende. Das ist eine europäische Frage, da hat Letta völlig recht. Und wenn die EU darauf keine angemessene Antwort findet, werden wir unweigerlich mehr Tote haben.

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12 Kommentare

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  • HA
    Heinrich Ali

    Wer glaubt, das der überwiegende Teil dieser Menschen in Sizilien oder gar Italien bleiben wird, der sollte im nächsten Frühjahr seinen Urlaub auf Sizilien oder Italien verbringen - einfach um nur mal zu sehen, wie die Perspektiven für diese Menschen aussehen.

     

    Auf Sizilien gibt es für diese Menschen außer ein Leben als marinalisierter Tagelöhner keine Persepektive. Auch ein Zusammenleben mit den Sizilianern ist illusorisch - die sizilianische Gesellschaft basiert auf Verwandschafts- und Familienbeziehungen. Alles andere ist Fremd.

    Für den Rest Italiens sehe ich auch nichts gutes. Der Italiener denkt zunächst an sich und seine Familie, dann denkt er regional und zuletzt ganz weit hinten kommt der Staat.

     

    Diese Menschen werden also in die Schweiz, Frankreich oder Deutschland wollen. Das ist ganz sicher.

  • Elias Bierdel kann eine Petition an das Europäische Parlament richten. Außerdem kann er beim Europäischen Gericht für Menschenrechte klagen. Er wird Recht bekommen.

  • Die Vorgehensweise der Marine in Italien und das Vorgehen des Landes gegen Flüchtlinge und Elias Bierdel ist ein Skandal für Europa, das durch das Europäische Parlament geregelt werden muss. CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION steht über dem italienischen Recht. Seenotrettung als Beihilfe zur illegalen Einreise muss abgeschafft werden. Das Land Italien, als ein Mitglied der Europäischen Union, muss dessen Rechtsnormen und -praktiken dem EU-Recht anpassen. Deutschland und andere Mitgliedstaaten der EU müssen Italien auf die Verpflichtungen in der Europäischen Union hinweisen.

     

    Das wichtigste Gesetz der Europäischen Union lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

     

    Gemäß Artikel 2 der CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION hat jeder Mensch das Recht auf Leben!

    • F
      freiheitredner
      @Stefan Mustermann:

      Super, ich gebe Ihnen vollkommen Recht. Aber ein Mensch der auf See umkommt, kann von dem Artikel 2 keinen gebrauch mehr machen und ist ja zudem noch wirtschaftlich total unrentabel. Der kostet doch nur. Man sollte sich mal fragen Wer alles schon gegen diese Charta verstoßen hat und man muß mit grauen feststellen, daß jedes Land und jede Regierung der EU schon gegen mehrere Artikel ,teilweise grob bis strafbar verstoßen hat. Und was passiert ? NIX...

  • HJ
    H Jörges

    http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/32225359







    Das Foto habe ich eingestellt, um den Tod vor den Küsten Europas zu personalisieren !







    Solange große Teile Afrikas und Kleinasiens seinen Bewohnern keine Perspektive und stabile Verhältnisse bieten, wird es Flüchtlingsströme und Ertrinkende geben. Die italienischen Nachrichten berichteten diese Tage über lybische und tunesische Polizisten, die auf afrikanischer Seite die "Einschiffung" der Flüchtlinge "begleiten".







    RED: Kommentar gekürzt.

  • S
    Sabine

    Selbstverständlich ist die Marine nicht originär mit der Aufgabe der Rettung Schiffbrüchiger betraut.

    Herr Briedel, ich glaube, jeder Mensch hat verstanden, dass die Ausweitung des Aufgabenbereiches einer Not folgt. Wenn sowieso Schiffe auf dem Mittelmeer sind, können und sollen sie auf gestrandete oder seeuntüchtige Boote achten. Einfach deswegen, damit nicht noch mehr Menschen ertrinken. Verstehen Sie das, Herr Briedel?

    • S
      Sabine
      @Sabine:

      Entschuldigung, ich hatte Ihren Namen falsch geschrieben.

  • Was die Berichterstattung über die - in der Tat fragwürdige - italienische Rechtslage zur Rettung von Schiffbrüchigen immer gerne verschweigt, ist der Hintergrund dieser Regelung.

     

    Es ist nämlich kein Zufall, dass so viele von diesen Flüchtlingsbooten in unmittelbarer Nähe zu EU-Territorium plötzlich in Seenot geraten, sondern Masche der Schlepperbanden: Würden sie ihre menschliche Fracht - so brutal muss man es wohl ausdrücken - in seetüchtiegn Schiffen ordentlich anlanden, könnten die jeweiligen Behörden sie orten, erwarten und geradewegs wieder zurückschicken. Das wäre schlecht für's Geschäft.

     

    Dadurch wird natürlich das effektive Verbot der Seenotrettung nicht erträglicher. Aber der unreflektierte Ruf nach der ersatzlosen Streichung dieses Verbots, den die derzeitige Berichterstattung provoziert, ist auch keine Lösung.

  • M
    M.A.

    Eitle Selbstdarstellern wie Herrn Briedel eine Plattform zu bieten ist mal wieder typisch für die TAZ.

     

    Herrn Briedels Vorwurf, jedes noch so kleine Schlauchbott voller Flüchtlinge sei dem italienischen Millitär bekannt ist eine seiner typischen Falschdarstellungen. Kein militärisches Radar kann Schiffe unterhalb einer bestimmten Größe erfassen, und selbst wenn... woher sollte man etwas über deren Einsatzzweck wissen?

    Auch die Seenotrettung kann vorzüglich durch militärische Schiffe vorgenommen werden, denn auch diese sind dafür speziell ausgerüstet - Hubschrauber, Taucher, etc.

  • U
    Ursula

    Die wichtigste Frage wird leider im Artikel gar nicht gestellt:

    Warum soll Europa oder Deutschland die Flüchtlinge aufnehmen?

    Es ist offensichtlich keine politische Verfolgung, damit kein Asylgrund, gegeben. Diese Menschen haben bei uns keine Perspektive, weil wir nur wenig Jobs im niedrigqualifizieretn Bereich haben und dies unsere Sozialsystem sprengen würde. Deshalb gibt es nur die Lösung, die Menschen versorgen und dann alle zurückzuführen.

    • @Ursula:

      Wir brauchen die Flüchtlinge nicht bei uns 'aufzunehmen'. Es würde schon genügen, sie das tun zu lassen, was wir selbst auch tun: in Ruhe lassen, damit man sich selbst versorgen kann. Es gibt zahllose Jobs für geringe Qualifizierung, die gab es schon immer. Und wenn ein entsprechendes Arbeitskräfteangebot da ist, wird die Nchfrage sogar noch steigen. So war es schon in den sechzigern, als 'Gastarbeiter' hergeholt wurden, um die einfachsten Jobs zu machen.

      Es gibt tausend Lösungen für die Migranten, aber Arbeitsverbot und Abschiebung sind das exakte Gegenteil davon.

      • M
        M.A.
        @bouleazero:

        Würde sich die Nachfrage an Arbeitskräften am Angebot orientieren, wie Sie es darstellen, dürfte es nirgends hohe Arbeitslosigkeitsquoten geben.

        Von daher, wieder eine ihrer Lügen aufgedeckt!

         

        Die Anfang der 60´ern reingeholten Gastarbeiter wollte am Ende des Jahrzehnts auch nicht mehr, Folge: Anwerbestop!

        Noch eine Ihrer Falschdarstellungen!

         

        Tausende Möglichkeiten gibt es auch nicht, im Grunde sind nur drei möglich - aber diese Realität wollen Sie ja nicht akzeptieren.