Elfter Jahrestag des Syrienkonflikts: Bis heute herrscht Krieg
Viele Syrer*innen erleben mit dem Ukraine-Krieg ein Déjà-Vu. Es mangelt an Nahrung und medizinischer Versorgung.
![Ein lachender kleiner Junge hält eine syrische Revolutionsfahne, inmitten einer Gruppe von ebenfalls die Revolutionsfahne, die drei statt zwei Sterne abbildet, schwingenden Menschen Ein lachender kleiner Junge hält eine syrische Revolutionsfahne, inmitten einer Gruppe von ebenfalls die Revolutionsfahne, die drei statt zwei Sterne abbildet, schwingenden Menschen](https://taz.de/picture/5455630/14/syrien-krieg-1.jpeg)
Die Lage der Syrer:innen hat sich seitdem kontinuierlich verschlechtert. Die Regierungsarmee ging brutal gegen die Zivilbevölkerung vor, 2013 starben Tausende von Menschen bei Chemiewaffenangriffen. Dschihadistische Gruppierungen kaperten Teile der Revolution, ab 2014 schwappte der „Islamische Staat“ aus dem Irak hinüber und gründete ein Kalifat auf syrischem Boden. Mit seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat stimmte Russland mit China immer wieder gegen eine Intervention. 2015 stieg Russland schließlich selbst in den Krieg ein.
Das derzeitige Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine dürfte bei vielen Syrer:innen ein schmerzhaftes Déjà-vu auslösen. In Syrien erprobte Russland seine Kriegsstrategie, nutzte die geächteten Cluster- und Aerosolbomben, griff Zivilisten an und machte ganze Stadtviertel dem Erdboden gleich. Und obwohl die Kämpfe weitgehend abgeflaut sind, ist der Krieg nicht vorbei: Im September 2021 dokumentierte Human Rights Watch insgesamt 46 syrisch-russische Luft- und Bodenangriffe in der von Rebellen geführten Stadt Idlib. Mindestens 224 Zivilist*innen starben, 561 wurden verletzt. Vor elf Tagen starben bei einem israelischen Drohnenangriff auf Damaskus zwei Zivilisten.
Einige Städte – darunter die Altstadt Aleppos, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört – sind bis heute zerstört, rund 6,8 Millionen Menschen außer Landes geflüchtet – ein Drittel der Vorkriegsbevölkerung – und mindestens 350.000 Menschen getötet worden, wobei die Dunkelziffer wohl deutlich höher liegt.
Auch wirtschaftlich geht es Syrien schlecht
Auch die Wirtschaft des Landes liegt am Boden. Syrien gehört zu den 10 Ländern mit der größten Ernährungsunsicherheit weltweit, sagt Joyce Msuya, stellvertretende Koordinatorin für humanitäre Hilfe der UN. Das Welternährungsprogramm (WFP) berechnet, dass ein Standard-Nahrungsmittelkorb in Syrien derzeit umgerechnet etwa 90 US-Dollar kostet – der höchste Preis seit Beginn der Aufzeichnungen des WFP zu Syrien im Jahr 2013. Der Durchschnittslohn für ungelernte Arbeitskräfte liegt bei etwa 3,80 Dollar am Tag. Wer also jeden Tag arbeitet, kann sich am Ende des Monats davon theoretisch nur einen einzigen Warenkorb leisten.
Auch Bildung ist kein Garant für materielle Sicherheit: Ein junger Arzt, der anonym bleiben möchte, erzählt, dass er als Festangestellter in einem staatlichen Krankenhaus im Jahr 2020 monatlich umgerechnet etwa 15 bis 20 Euro Lohn bekommen habe. Die meisten staatlichen Angestellten verdienten ähnlich wenig, sagt er. Mittlerweile lebt er in Deutschland.
Das Assad-Regime sitzt heute wieder fest im Sattel, aber bleibt international isoliert. Seit 2011 verlängert die EU immer wieder ihre Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Darin eingeschlossen sind etwa Investitionen in die Infrastruktur. Ölimporte aus Syrien sind gestattet, wenn zuvor die „Nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition“ konsultiert wird. Medizinische Produkte sind nur indirekt betroffen. Doch hohe Preise für Rohstoffe, Transport und Versicherungen erschweren die Eigenproduktion. Seit Beginn des Konflikts sind die medizinischen Importe des Landes um etwa 93 Millionen US-Dollar zurückgegangen.
In Syrien fehlt es an allem: an Nahrung, medizinischer Versorgung, intaktem Wohnraum, an Perspektive – und noch immer an Frieden.
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