Elektromobilität in Berlin: Aufgeladene Stimmung
E-Roller und Co. sollen bald bundesweit auf Gehwegen fahren. Verkehrssenatorin Günther will da nicht mitziehen. Auch Seniorenverbände warnen.
Elegant gleiten am Sonntagmittag 150 Demonstrant*innen auf elektronischen Skate- und Snowboards und motorisierten Tretrollern vom Brandenburger Tor zur Siegessäule. Im Kreisverkehr drehen sie eine Ehrenrunde, denn heute, auf der Demo, ist alles erlaubt. Eigentlich sind die Elektrofahrzeuge, auf denen sie fahren, aber noch gar nicht für den Straßenverkehr zugelassen.
Das soll sich bald ändern: Am 17. Mai will der Bundesrat über die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abstimmen. Unter Scheuers Verordnung fallen E-Skateboards, aber auch E-Scooter, die Tretroller mit elektronischem Antrieb. Fahrzeuge bis zu 12 km/h sollen laut dieser Verordnung auf Gehwegen fahren dürfen. Die schnellere Variante, die bis zu 20 km/h schnell ist, dürfte auf Radwegen oder Straßen fahren. Eine Fahrerlaubnis oder ein Helm sollen nicht verpflichtend sein.
Den Demoteilnehmer*innen reicht das nicht: „Elektrokleinstfahrzeuge sollen bis 25 km/h zugelassen werden“, fordert Lars Zemke von Electric Empire, dem Bundesverband für Elektrokleinstfahrzeuge. Außerdem sollen alle schon bisher produzierten Fahrzeuge zugelassen werden. Denn derzeit sind die Gefährte zwar im Internet erhältlich, doch sollte die Verordnung in Kraft treten, würde eine Betriebszulassung erforderlich – und die erfüllen viele der bereits angebotenen Fahrzeuge nicht, weil sie etwa schneller als die dann erlaubten 12 bzw. 20 km/h fahren oder keine Lichtanlage haben.
Anzugträger auf Tretrollern
Nach eigenen Angaben engagieren sich die Mitglieder des Verbands ehrenamtlich für die Belange von Elektrokleinstfahrzeug-Nutzer*innen. Anwesend sind am Sonntag aber auch Firmen, die hoffen, von der Neuregelung zu profitieren: Die Firma Melon verteilt kostenlos Helme an Demoteilnehmer*innen. Die E-Lobby hat ein starkes Argument: den Umweltschutz. E-Roller sollen eine Alternative zum Auto bieten, handlich zusammengeklappt lassen sie sich mit in öffentliche Verkehrsmittel nehmen. In Paris und Madrid düsen schon jetzt Anzugträger*innen mit Aktentaschen auf E-Rollern zur Arbeit.
Doch die Verordnung birgt etliche Probleme: „Wie soll man das denn überprüfen, ob jemand 6 oder 12 km/h mit dem Roller fährt?“, fragt Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr. Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) hat sich bereits gegen E-Tretroller auf Gehwegen ausgesprochen.
Diese Befürchtung teilen auch Vertreter*innen der Blinden- und Seniorenverbände, die sich gemeinsam mit Vertreter*innen von Fuß e. V. am vergangenen Dienstagabend im Invalidenpark zu einer Protestaktion vor dem Verkehrsministerium versammelten.
In einer Pressemitteilung von Fuß e. V. heißt es: „Das Spielbedürfnis einer kleinen Minderheit darf nicht über das Sicherheitsbedürfnis aller 80 Millionen Menschen in Deutschland gestellt werden.“
Auf der Kundgebung versucht ein Mann auf einem Tretroller, allerdings ohne E-Motor, die Demoteilnehmer*innen zu rammen – dazu läuft „Highway to Hell“ von AC/DC. Der Mann tut nur so, schließlich entsorgt er seinen Roller symbolisch in einer Pappbox mit der Aufschrift „Scheuermüll“ – eine Botschaft an Minister Scheuer. Dann ergreift Herbert Probst vom Berliner Seniorenbeirat das Wort: „Gerade die Gruppe der Senioren ist die, die am meisten zu Fuß geht.“
Der Gehweg als Schutzzone
Beschneide man das Sicherheitsgefühl dieser Gruppe, schließe man sie vom öffentlichen Leben aus. „Wir sind keine Fortschrittsverhinderer, aber wir wollen einen attraktiven Ort für alle.“ Joachim Günzel vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin pflichtet ihm bei: „Wir können die E-Roller nicht mal hören, weil sie kein eigenes Geräusch haben.“
Die Berliner Grünen-Fraktion fordert ebenfalls ein Gehwegverbot für E-Roller. „Der Gehweg ist ein geschützter Raum und ein Aufenthaltsraum. Hier ist mit weniger Konzentration der Verkehrsteilnehmer zu rechnen“, sagt Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher. Trotzdem seien E-Roller eine gute Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr.
Aber werden aufgrund der E-Roller Menschen aufs Auto verzichten, die zuvor den Nahverkehr gemieden haben, nur weil sie die letzten Meter zum Bus, anstatt zu laufen, nun mit dem E-Roller zurücklegen können? Die Frage ist also: Wer soll die E-Roller in Berlin überhaupt nutzen? Da ist sich Moritz auch nicht so sicher. Trotzdem, sagt er: Es gehe darum, attraktive Alternativen gegenüber dem Auto zu schaffen.
Sollte die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung im Bundesrat mehrheitlich beschlossen werden, gilt sie für alle Bundesländer. Fraglich bleibt, ob sich Berlins volle Gehwege mit denen in Bielefeld vergleichen lassen. Nicht ohne Grund diskutiere man ja auch eine Öffnungsklausel, „um den Ländern Vorschriften ihrer Gehwege selbst zu überlassen“, so Thomsen aus der Verkehrsverwaltung.
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